KINO | 25.06.2025

DER LETZTE KAISER

Der dreijährige Pu Yi wird 1908 auf Befehl der Witwe des Kaisers in die Verbotene Stadt gebracht. Das Kind wird zum Kaiser gekrönt und wächst von der Außenwelt abgeschirmt in einem goldenen Käfig auf. 1500 Diener stehen ihm stets zur Verfügung. Sie verfolgen jeden seiner Schritte und werden für Untaten an seiner Stelle bestraft. Außerhalb der verbotenen Stadt entmachtet die Revolution den Kaiser, aber innerhalb der Palastmauern bleibt alles beim Alten.

von Richard-Heinrich Tarenz


© STUDIOCANAL GmbH

Am 1. Juli bietet sich im Rahmen der „Best of Cinema“-Reihe erneut die seltene Gelegenheit, Bernardo Bertoluccis monumentales Meisterwerk „Der letzte Kaiser“ auf der großen Leinwand zu erleben. Dieser Filmklassiker von 1987 ist weit mehr als eine historische Biografie; er ist ein visuell atemberaubendes und emotional packendes Epos, das nicht nur die außergewöhnliche Lebensgeschichte von Pu Yi, dem letzten Kaiser Chinas, nachzeichnet, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über Macht, Identität und den unaufhaltsamen Lauf der Geschichte liefert. Seine filmhistorische Bedeutung ist unbestreitbar und manifestiert sich in seinen neun Oscars – ein Zeugnis seiner herausragenden künstlerischen Leistung. „Der letzte Kaiser“ beginnt mit der Inthronisierung des dreijährigen Pu Yi im Jahre 1908 und begleitet ihn durch die turbulentesten Phasen der chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts: vom Fall der Qing-Dynastie und der Ausrufung der Republik über seine Zeit als Marionettenherrscher in der Mandschurei unter japanischer Besatzung bis hin zu seiner Umerziehung im kommunistischen China und seinem späten Leben als einfacher Gärtner. Bertolucci inszeniert Pu Yis Leben als eine faszinierende und tragische Entwicklung vom göttlichen Herrscher in einem „goldenen Käfig“ der Verbotenen Stadt zum demütigen Bürger. Die Kameraführung, oft majestätisch und doch intim, fängt die Isolation und das absurde Spektakel seines frühen Lebens ebenso eindringlich ein wie die brutale Realität des Machtverlusts. Die schauspielerischen Leistungen sind dabei herausragend. John Lone verleiht dem erwachsenen Pu Yi eine beeindruckende Mischung aus Verletzlichkeit, Arroganz und Melancholie. Seine Augen spiegeln die innere Zerrissenheit eines Mannes wider, der dazu bestimmt war, alles zu besitzen und doch nichts zu kontrollieren. Die visuelle Pracht von „Der letzte Kaiser“ ist legendär. Bertolucci war der erste westliche Filmemacher, der die Genehmigung erhielt, in der Verbotenen Stadt in Peking zu drehen, und er nutzte diese einzigartige Gelegenheit, um Bilder von beispielloser Größe und Authentizität zu schaffen.


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Die prunkvollen Sets, die über 19.000 authentischen Kostüme und die sorgfältig choreografierten Massenszenen (mit tausenden Statisten) sind ein Fest für die Augen und transportieren das Publikum unmittelbar in die opulenten, doch zunehmend zerfallenden Welten des kaiserlichen Chinas. Der Einsatz von Farbe, Licht und Schatten ist meisterhaft, jede Einstellung wirkt wie ein Gemälde, das die emotionale und politische Atmosphäre der jeweiligen Zeitspanne einfängt. Nicht weniger beeindruckend ist die kongeniale Filmmusik von Ryuichi Sakamoto, David Byrne und Cong Su, die eine unvergessliche Klanglandschaft schafft. Sie vereint östliche und westliche musikalische Elemente und untermalt die epische Erzählung mit einer emotionalen Tiefe, die sowohl die Tragik als auch die Schönheit von Pu Yis Leben widerspiegelt. Die Musik ist nicht nur Begleitung, sondern ein integraler Bestandteil der filmischen Erfahrung, der die Handlung vorantreibt und die Stimmung verdichtet. Die Bedeutung von „Der letzte Kaiser“ für die Filmgeschichte ist vielschichtig. Er setzte neue Maßstäbe für das historische Epos und bewies, dass ein intimes Charakterporträt auch auf einer grandiosen Leinwand funktionieren kann. Der Film ebnete den Weg für westliche Produktionen in China und trug maßgeblich dazu bei, die chinesische Geschichte einem globalen Publikum näherzubringen. Seine neun Oscars, darunter für den Besten Film und die Beste Regie, waren eine wohlverdiente Anerkennung seiner künstlerischen und technischen Brillanz. Darüber hinaus transzendiert der Film seine historische Spezifik und wird zu einer universellen Parabel über die Natur der Macht, die Vergänglichkeit von Ruhm und die Suche nach Identität in einer sich ständig wandelnden Welt. Pu Yis Leben ist eine Metapher für das Schicksal vieler Individuen, die in den Mahlstrom historischer Umbrüche geraten. Der Film zwingt uns, über die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv, über Freiheit und Determinismus nachzudenken. Er ist ein Meisterwerk, das in seiner opulenten Detailverliebtheit und seiner tiefgründigen Reflexion noch heute relevant ist und die Frage stellt, was einen Menschen wirklich ausmacht, wenn alle äußeren Insignien der Macht und des Status fallen.


DER LETZTE KAISER

Wiederaufführungstermin: 01.07.25 | FSK 12
R: Bernardo Bertolucci | D: John Lone, Joan Chen, Peter O'Toole
Frankreich, Hong-Kong, Italien, Großbritannien 1987 | StudioCanal Deutschland


 


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