Der
dreijährige Pu Yi wird 1908 auf Befehl der Witwe des Kaisers
in die Verbotene Stadt gebracht. Das Kind wird zum Kaiser gekrönt
und wächst von der Außenwelt abgeschirmt in einem goldenen
Käfig auf. 1500 Diener stehen ihm stets zur Verfügung. Sie
verfolgen jeden seiner Schritte und werden für Untaten an seiner
Stelle bestraft. Außerhalb der verbotenen Stadt entmachtet die
Revolution den Kaiser, aber innerhalb der Palastmauern bleibt alles
beim Alten.
Am
1. Juli bietet sich im Rahmen der „Best of Cinema“-Reihe
erneut die seltene Gelegenheit, Bernardo Bertoluccis monumentales
Meisterwerk „Der letzte Kaiser“ auf der großen Leinwand
zu erleben. Dieser Filmklassiker von 1987 ist weit mehr als eine historische
Biografie; er ist ein visuell atemberaubendes und emotional packendes
Epos, das nicht nur die außergewöhnliche Lebensgeschichte
von Pu Yi, dem letzten Kaiser Chinas, nachzeichnet, sondern auch eine
tiefgründige Reflexion über Macht, Identität und den
unaufhaltsamen Lauf der Geschichte liefert. Seine filmhistorische
Bedeutung ist unbestreitbar und manifestiert sich in seinen neun Oscars
– ein Zeugnis seiner herausragenden künstlerischen Leistung.
„Der letzte Kaiser“ beginnt mit der Inthronisierung des
dreijährigen Pu Yi im Jahre 1908 und begleitet ihn durch die
turbulentesten Phasen der chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts:
vom Fall der Qing-Dynastie und der Ausrufung der Republik über
seine Zeit als Marionettenherrscher in der Mandschurei unter japanischer
Besatzung bis hin zu seiner Umerziehung im kommunistischen China und
seinem späten Leben als einfacher Gärtner. Bertolucci inszeniert
Pu Yis Leben als eine faszinierende und tragische Entwicklung vom
göttlichen Herrscher in einem „goldenen Käfig“
der Verbotenen Stadt zum demütigen Bürger. Die Kameraführung,
oft majestätisch und doch intim, fängt die Isolation und
das absurde Spektakel seines frühen Lebens ebenso eindringlich
ein wie die brutale Realität des Machtverlusts. Die schauspielerischen
Leistungen sind dabei herausragend. John Lone verleiht dem erwachsenen
Pu Yi eine beeindruckende Mischung aus Verletzlichkeit, Arroganz und
Melancholie. Seine Augen spiegeln die innere Zerrissenheit eines Mannes
wider, der dazu bestimmt war, alles zu besitzen und doch nichts zu
kontrollieren. Die visuelle Pracht von „Der letzte Kaiser“
ist legendär. Bertolucci war der erste westliche Filmemacher,
der die Genehmigung erhielt, in der Verbotenen Stadt in Peking zu
drehen, und er nutzte diese einzigartige Gelegenheit, um Bilder von
beispielloser Größe und Authentizität zu schaffen.
Die
prunkvollen Sets, die über 19.000 authentischen Kostüme
und die sorgfältig choreografierten Massenszenen (mit tausenden
Statisten) sind ein Fest für die Augen und transportieren das
Publikum unmittelbar in die opulenten, doch zunehmend zerfallenden
Welten des kaiserlichen Chinas. Der Einsatz von Farbe, Licht und Schatten
ist meisterhaft, jede Einstellung wirkt wie ein Gemälde, das
die emotionale und politische Atmosphäre der jeweiligen Zeitspanne
einfängt. Nicht weniger beeindruckend ist die kongeniale Filmmusik
von Ryuichi Sakamoto, David Byrne und Cong Su, die eine unvergessliche
Klanglandschaft schafft. Sie vereint östliche und westliche musikalische
Elemente und untermalt die epische Erzählung mit einer emotionalen
Tiefe, die sowohl die Tragik als auch die Schönheit von Pu Yis
Leben widerspiegelt. Die Musik ist nicht nur Begleitung, sondern ein
integraler Bestandteil der filmischen Erfahrung, der die Handlung
vorantreibt und die Stimmung verdichtet. Die Bedeutung von „Der
letzte Kaiser“ für die Filmgeschichte ist vielschichtig.
Er setzte neue Maßstäbe für das historische Epos und
bewies, dass ein intimes Charakterporträt auch auf einer grandiosen
Leinwand funktionieren kann. Der Film ebnete den Weg für westliche
Produktionen in China und trug maßgeblich dazu bei, die chinesische
Geschichte einem globalen Publikum näherzubringen. Seine neun
Oscars, darunter für den Besten Film und die Beste Regie, waren
eine wohlverdiente Anerkennung seiner künstlerischen und technischen
Brillanz. Darüber hinaus transzendiert der Film seine historische
Spezifik und wird zu einer universellen Parabel über die Natur
der Macht, die Vergänglichkeit von Ruhm und die Suche nach Identität
in einer sich ständig wandelnden Welt. Pu Yis Leben ist eine
Metapher für das Schicksal vieler Individuen, die in den Mahlstrom
historischer Umbrüche geraten. Der Film zwingt uns, über
die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv, über Freiheit
und Determinismus nachzudenken. Er ist ein Meisterwerk, das in seiner
opulenten Detailverliebtheit und seiner tiefgründigen Reflexion
noch heute relevant ist und die Frage stellt, was einen Menschen wirklich
ausmacht, wenn alle äußeren Insignien der Macht und des
Status fallen.
DER LETZTE KAISER
Wiederaufführungstermin:
01.07.25 | FSK 12
R: Bernardo Bertolucci | D: John Lone, Joan Chen, Peter O'Toole
Frankreich, Hong-Kong, Italien, Großbritannien 1987 | StudioCanal
Deutschland