KINO | 25.06.2025

ONE TO ONE: JOHN & YOKO

Am 30. August 1972 spielte John Lennon in New York City sein einziges vollständiges Konzert nach dem Ausstieg bei den Beatles: das One to One-Benefizkonzert im Madison Square Garden – ein mitreißender Auftritt von ihm und Yoko Ono. Dieses legendäre musikalische Ereignis dient Kevin Macdonald als Ausgangspunkt für seinen Dokumentarfilm, der einen eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen und auf 18 prägende Monate von John und Yoko gewährt.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 1970 Yoko Ono Lennon

Am 26. Juni findet „One To One: John & Yoko“, die Dokumentation von Kevin Macdonald und Sam Rice-Edwards, seinen Weg in die deutschen Kinos und beweist eindrucksvoll, dass selbst scheinbar ausgiebig beleuchtete Kapitel der Popgeschichte noch überraschende Facetten bergen können. Entgegen einer anfänglichen Skepsis, ob die Welt tatsächlich eine weitere filmische Auseinandersetzung mit John Lennon benötige, entfaltet diese Dokumentation eine erfrischend unkonventionelle Perspektive auf die turbulente Post-Beatles-Ära des Künstlers und seiner Partnerin Yoko Ono. Der Film ist eine vitale Zeitkapsel, die Lennon in einer seiner wohl faszinierendsten und radikalsten Phasen einfängt. Die Dokumentation verlagert den Fokus auf die frühen 1970er Jahre, eine Periode, in der John Lennon und Yoko Ono sich anschickten, in New York Fuß zu fassen. Es war eine Zeit des ungestümen Aufbruchs, geprägt von Lennons erbittertem Kampf gegen die Abschiebung durch die Nixon-Regierung und, parallel dazu, den Wirren seines sogenannten „Lost Weekend“. Doch entgegen der gängigen Annahme, Lennon habe sich in dieser Phase vorrangig zurückgezogen, enthüllt „One To One“ ein Bild des Künstlers, der sich mit unbändiger Energie in das politische Geschehen stürzte. Der Film präsentiert ihn als einen rastlosen Verfechter progressiver linker Anliegen, der sich scheinbar jeder Woche einer neuen Bewegung verschrieb. Macdonald und Rice-Edwards gelingt es meisterhaft, Archivmaterial mit einer bisher unerschlossenen Fülle an Telefongesprächen zu verweben. Dies ermöglicht einen intimen Einblick, wie Lennon und Ono ihren immensen Prominentenstatus gezielt einsetzten, um sich mit einer illustren Schar von Querdenkern und Aktivisten zu umgeben – von der poetischen Kraft Allen Ginsbergs bis zur provokanten Energie Jerry Rubins. Der Film beleuchtet dabei nicht nur die öffentlichen Auftritte, sondern auch die oft skurrilen Nebenschauplätze ihres Aktivismus, wie die Episode um den Aktivisten AJ Weberman und seine exzentrische Mission, Bob Dylans Müll zu durchwühlen. Diese intimen Einblicke verleihen der ohnehin schon reichhaltigen Geschichte eine zusätzliche Ebene der Menschlichkeit und Absurdität. Ein zentraler Ankerpunkt der Dokumentation ist das legendäre „One to One“-Benefizkonzert zugunsten behinderter Kinder der Willowbrook State School.


© Brian Hamill

Dieses Konzert, Lennons erster vollständiger Auftritt seit der Beatles-Ära und, wie sich später herausstellen sollte, sein letztes Konzert überhaupt, wird im Film mit einer neuen, energiegeladenen Präsenz präsentiert. Die originale, als „schlammig“ beschriebene Aufnahme von Phil Spector wurde meisterhaft restauriert, wodurch das Filmmaterial nun eine frische, forsche Ausstrahlung besitzt. Diese technische Aufwertung ermöglicht es dem Publikum, die Intensität und die rohe Energie dieses historischen Ereignisses in vollem Umfang zu erfahren. „One To One“ zeichnet das Konzert nicht nur als musikalisches Highlight nach, sondern bettet es in das stürmische politische Klima der USA ein. Durch eine innovative, dem „Channel Surfing“ nachempfundene Ästhetik springt der Film von Werbespots zu erschütternden Aufnahmen der Attica-Gefängnisrevolte oder des fast tödlichen Attentats auf den Gouverneur George Wallace. Diese Montagetechnik veranschaulicht nicht nur das mediale Umfeld der Zeit, sondern unterstreicht auch Lennons tiefe Verstrickung in die damaligen gesellschaftlichen Umwälzungen. Er war nicht nur Beobachter, sondern ein aktiver Teil des „Maelstroms“ des politischen Geschehens. „One To One: John & Yoko“ ist eine Bereicherung für die Filmgeschichte der Musikdokumentation. Inmitten einer Flut von nostalgischen Rückblicken gelingt es Macdonald und Rice-Edwards, vertrautes Material mit einer solch ansteckenden Lebendigkeit zu präsentieren, dass Lennon erneut als eine vitale, sprühende Kraft erscheint. Die Dokumentation fängt ihn in einer Phase ein, in der er sich befreit und ungezügelt fühlte, lebend „wie ein Student“ in einem bescheidenen Loft in Greenwich Village. Er wird als eine Figur voller Charisma dargestellt, die mit Leidenschaft gegen Ungerechtigkeiten ankämpft und Funken sprüht. Der Film widerlegt die Annahme, dass über John Lennon bereits alles gesagt sei, und beweist, dass es im Bereich der Musikdokumentation immer noch Raum für neue Perspektiven und frische Interpretationen gibt. Er zeichnet ein vielschichtiges Porträt eines Mannes, der sich selbst neu erfand und dessen Engagement über die Musik hinausging. „One To One: John & Yoko“ ist ein mitreißendes Werk, das nicht nur Fans von John Lennon begeistert, sondern auch ein Zeugnis der Zeitgeschichte und der anhaltenden Relevanz künstlerischen Engagements ist. Es ist eine faszinierende Reise ins Herz des kreativen und politischen Bebens, die man sich nicht entgehen lassen sollte.


ONE TO ONE: JOHN & YOKO

Start: 26.06.25 | FSK 12
R: Kevin Macdonald, Sam Rice-Edwards | Dokumentation
Großbritannien 2024 | Piece of Magic Entertainment


 


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