Am
30. August 1972 spielte John Lennon in New York City sein einziges
vollständiges Konzert nach dem Ausstieg bei den Beatles: das
One to One-Benefizkonzert im Madison Square Garden – ein mitreißender
Auftritt von ihm und Yoko Ono. Dieses legendäre musikalische
Ereignis dient Kevin Macdonald als Ausgangspunkt für seinen Dokumentarfilm,
der einen eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen und auf 18 prägende
Monate von John und Yoko gewährt.
Am
26. Juni findet „One To One: John & Yoko“, die Dokumentation
von Kevin Macdonald und Sam Rice-Edwards, seinen Weg in die deutschen
Kinos und beweist eindrucksvoll, dass selbst scheinbar ausgiebig beleuchtete
Kapitel der Popgeschichte noch überraschende Facetten bergen
können. Entgegen einer anfänglichen Skepsis, ob die Welt
tatsächlich eine weitere filmische Auseinandersetzung mit John
Lennon benötige, entfaltet diese Dokumentation eine erfrischend
unkonventionelle Perspektive auf die turbulente Post-Beatles-Ära
des Künstlers und seiner Partnerin Yoko Ono. Der Film ist eine
vitale Zeitkapsel, die Lennon in einer seiner wohl faszinierendsten
und radikalsten Phasen einfängt. Die Dokumentation verlagert
den Fokus auf die frühen 1970er Jahre, eine Periode, in der John
Lennon und Yoko Ono sich anschickten, in New York Fuß zu fassen.
Es war eine Zeit des ungestümen Aufbruchs, geprägt von Lennons
erbittertem Kampf gegen die Abschiebung durch die Nixon-Regierung
und, parallel dazu, den Wirren seines sogenannten „Lost Weekend“.
Doch entgegen der gängigen Annahme, Lennon habe sich in dieser
Phase vorrangig zurückgezogen, enthüllt „One To One“
ein Bild des Künstlers, der sich mit unbändiger Energie
in das politische Geschehen stürzte. Der Film präsentiert
ihn als einen rastlosen Verfechter progressiver linker Anliegen, der
sich scheinbar jeder Woche einer neuen Bewegung verschrieb. Macdonald
und Rice-Edwards gelingt es meisterhaft, Archivmaterial mit einer
bisher unerschlossenen Fülle an Telefongesprächen zu verweben.
Dies ermöglicht einen intimen Einblick, wie Lennon und Ono ihren
immensen Prominentenstatus gezielt einsetzten, um sich mit einer illustren
Schar von Querdenkern und Aktivisten zu umgeben – von der poetischen
Kraft Allen Ginsbergs bis zur provokanten Energie Jerry Rubins. Der
Film beleuchtet dabei nicht nur die öffentlichen Auftritte, sondern
auch die oft skurrilen Nebenschauplätze ihres Aktivismus, wie
die Episode um den Aktivisten AJ Weberman und seine exzentrische Mission,
Bob Dylans Müll zu durchwühlen. Diese intimen Einblicke
verleihen der ohnehin schon reichhaltigen Geschichte eine zusätzliche
Ebene der Menschlichkeit und Absurdität. Ein zentraler Ankerpunkt
der Dokumentation ist das legendäre „One to One“-Benefizkonzert
zugunsten behinderter Kinder der Willowbrook State School.
Dieses
Konzert, Lennons erster vollständiger Auftritt seit der Beatles-Ära
und, wie sich später herausstellen sollte, sein letztes Konzert
überhaupt, wird im Film mit einer neuen, energiegeladenen Präsenz
präsentiert. Die originale, als „schlammig“ beschriebene
Aufnahme von Phil Spector wurde meisterhaft restauriert, wodurch das
Filmmaterial nun eine frische, forsche Ausstrahlung besitzt. Diese
technische Aufwertung ermöglicht es dem Publikum, die Intensität
und die rohe Energie dieses historischen Ereignisses in vollem Umfang
zu erfahren. „One
To One“ zeichnet das Konzert nicht nur als musikalisches Highlight
nach, sondern bettet es in das stürmische politische Klima der
USA ein. Durch eine innovative, dem „Channel Surfing“
nachempfundene Ästhetik springt der Film von Werbespots zu erschütternden
Aufnahmen der Attica-Gefängnisrevolte oder des fast tödlichen
Attentats auf den Gouverneur George Wallace. Diese Montagetechnik
veranschaulicht nicht nur das mediale Umfeld der Zeit, sondern unterstreicht
auch Lennons tiefe Verstrickung in die damaligen gesellschaftlichen
Umwälzungen. Er war nicht nur Beobachter, sondern ein aktiver
Teil des „Maelstroms“ des politischen Geschehens. „One
To One: John & Yoko“ ist eine Bereicherung für die
Filmgeschichte der Musikdokumentation. Inmitten einer Flut von nostalgischen
Rückblicken gelingt es Macdonald und Rice-Edwards, vertrautes
Material mit einer solch ansteckenden Lebendigkeit zu präsentieren,
dass Lennon erneut als eine vitale, sprühende Kraft erscheint.
Die Dokumentation fängt ihn in einer Phase ein, in der er sich
befreit und ungezügelt fühlte, lebend „wie ein Student“
in einem bescheidenen Loft in Greenwich Village. Er wird als eine
Figur voller Charisma dargestellt, die mit Leidenschaft gegen Ungerechtigkeiten
ankämpft und Funken sprüht. Der Film widerlegt die Annahme,
dass über John Lennon bereits alles gesagt sei, und beweist,
dass es im Bereich der Musikdokumentation immer noch Raum für
neue Perspektiven und frische Interpretationen gibt. Er zeichnet ein
vielschichtiges Porträt eines Mannes, der sich selbst neu erfand
und dessen Engagement über die Musik hinausging. „One To
One: John & Yoko“ ist ein mitreißendes Werk, das nicht
nur Fans von John Lennon begeistert, sondern auch ein Zeugnis der
Zeitgeschichte und der anhaltenden Relevanz künstlerischen Engagements
ist. Es ist eine faszinierende Reise ins Herz des kreativen und politischen
Bebens, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
ONE TO ONE: JOHN & YOKO
Start:
26.06.25 | FSK 12
R: Kevin Macdonald, Sam Rice-Edwards | Dokumentation
Großbritannien 2024 | Piece of Magic Entertainment