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DVD & BLU-RAY | 13.11.2025

WAS UNS VERBINDET
Zwischen Nähe und Selbstbehauptung

Ein stilles, poetisches Drama über Nähe, Selbstbehauptung und die feinen Risse menschlicher Beziehungen: Carine Tardieus Was uns verbindet erzählt von weiblicher Freiheit jenseits romantischer Klischees – zart, klug und zutiefst menschlich. Ein Film, der das Politische im Privaten entdeckt und Fürsorge als Akt der Selbstbestimmung neu denkt.

von Franziska Keil


© Alamode Film

Es sind die leisen Zwischentöne, die Carine Tardieus jüngsten Film Was uns verbindet (L’Attachement) so bemerkenswert machen – ein Werk, das weit mehr ist als eine fein gezeichnete Studie über Beziehungen und emotionale Abhängigkeiten. Es ist ein zutiefst humanistisches, zugleich aber radikal feministisches Drama, das am 6. November auf DVD und digital für das Heimkino erschienen ist und damit endlich einem breiteren Publikum zugänglich wird. In einer Zeit, in der die Kinolandschaft häufig von lauten Stimmen und kalkulierter Emotionalität dominiert wird, wagt Tardieu das Gegenteil: Sie flüstert, wo andere schreien – und erreicht gerade dadurch eine eindringliche Klarheit. Im Zentrum des Films steht Gabrielle (Valeria Bruni Tedeschi), eine Frau um die fünfzig, die ein stilles, geordnetes Leben führt – bis die neuen Nachbarn in ihr Dasein einbrechen: Claire (Vimala Pons) und Simon (Pio Marmaï), ein junges Paar, dessen Unruhe und Begehren Gabrielles emotionale Statik aufbrechen.

Was zunächst wie eine beiläufige Nachbarschaftsgeschichte beginnt, entfaltet sich rasch zu einer vielschichtigen Reflexion über weibliche Unabhängigkeit, Fürsorge und das Spannungsverhältnis zwischen emotionaler Nähe und Selbstaufgabe. Tardieus filmischer Blick ist dezidiert weiblich – nicht im Sinne eines didaktischen Programms, sondern durch die Sensibilität, mit der sie weibliche Erfahrung sichtbar macht. Gabrielle ist keine klassische Heldin, keine Märtyrerin und schon gar keine gebrochene Figur, die erlöst werden muss. Sie ist ein Mensch, der seine Freiheit behauptet, indem er sie infrage stellt. In der Art, wie Tardieu die Kamera führt – unaufdringlich, beobachtend, fast dokumentarisch –, wird die weibliche Perspektive selbst zur Methode: Sie verweigert sich der Objektivierung und legt den Fokus auf Wahrnehmung, nicht auf Projektion.

Die Inszenierung meidet jede Dramatisierung, vertraut stattdessen auf Andeutung und Gestus. Wenn Gabrielle in stiller Kontemplation den Blick durch ihr Haus oder über den Garten schweifen lässt, dann wird der Raum zum Spiegel einer inneren Topografie: Hier materialisiert sich die Frage, wie viel Freiheit im Alleinsein liegt – und wie viel Einsamkeit. Tardieus Film verhandelt Weiblichkeit nicht als Zuschreibung, sondern als Handlungsspielraum. Das titelgebende „Verbinden“ ist dabei immer auch ein „Entbinden“: von gesellschaftlichen Erwartungen, romantischen Narrativen und der unheilvollen Gleichsetzung von Liebe und Besitz. Bemerkenswert ist, wie der Film das Politische im Privaten verankert.


© Alamode Film

In Gabrielles Zögern, ihrer vorsichtigen Zuwendung zu den Nachbarn, liegt ein stiller Widerstand gegen die tradierten Muster, die Frauen zu Kümmernden und Vermittlerinnen machen. Was uns verbindet plädiert für eine neue Ethik des Miteinanders, in der Fürsorge nicht automatisch Selbstverleugnung bedeutet. Damit steht der Film in einer Reihe zeitgenössischer französischer Werke – etwa Céline Sciammas Petite maman oder Alice Diops Saint Omer –, die Weiblichkeit als komplexe, widersprüchliche und zugleich zutiefst schöpferische Kraft begreifen. Valeria Bruni Tedeschi verleiht Gabrielle eine beeindruckende Ambivalenz. Ihre Darstellung ist durchzogen von einer stillen Spannung zwischen Kontrolle und Erschütterung, zwischen Fürsorge und Rückzug. Pio Marmaï und Vimala Pons fungieren weniger als Gegenspieler denn als Katalysatoren – sie öffnen emotionale Räume, die Gabrielle lange verschlossen hielt. Dass Tardieu diesen Prozess ohne Sentimentalität, aber mit großer Zärtlichkeit inszeniert, verleiht dem Film seine poetische Kraft.

Auch formal überzeugt Was uns verbindet durch seine feinsinnige Gestaltung: Das Spiel mit Licht und Schatten, die wechselnden Farbtemperaturen zwischen Innen- und Außenräumen, die fast musikalische Rhythmik der Montage – all das unterstützt die zentrale Frage nach Identität und Bindung. Die Welt dieses Films ist keine fest umrissene, sondern eine atmende, fließende – ein Resonanzraum für menschliche Erfahrung. So wird Was uns verbindet zu einem Werk über die Kunst des Loslassens, über die Stärke, sich selbst nicht zu verlieren, wenn man anderen die Tür öffnet. In einer patriarchal geprägten Filmtradition, die Frauen häufig als Muse, Mutter oder moralisches Korrektiv zeichnet, bietet Tardieus Regiearbeit eine alternative Grammatik der Nähe – eine, die aus Empathie Selbstbestimmung gewinnt. Carine Tardieu gelingt mit Was uns verbindet ein stilles, kraftvolles Stück Kino, das weniger Antworten gibt, als es Fragen stellt – und gerade darin seine Relevanz beweist. Es ist ein Film über die alltägliche Revolution weiblicher Selbstbehauptung, über Zärtlichkeit als Form des Widerstands und über das fragile Gleichgewicht zwischen Freiheit und Verbindung. Ein Werk, das – sanft, poetisch, klug – daran erinnert, dass Unabhängigkeit nicht im Rückzug liegt, sondern in der Fähigkeit, Nähe neu zu definieren.


WAS UNS VERBINDET

ET: 06.11.25: DVD & digital | FSK 6
R: Carine Tardieu | D: Valeria Bruni Tedeschi, Pio Marmaï, Vimala Pons
Frankreich, Belgien 2024 | Alamode Filmdistribution


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