WAS
UNS VERBINDET
Zwischen Nähe und Selbstbehauptung
Ein
stilles, poetisches Drama über Nähe, Selbstbehauptung und
die feinen Risse menschlicher Beziehungen: Carine Tardieus Was uns
verbindet erzählt von weiblicher Freiheit jenseits romantischer
Klischees – zart, klug und zutiefst menschlich. Ein Film, der
das Politische im Privaten entdeckt und Fürsorge als Akt der
Selbstbestimmung neu denkt.
Es
sind die leisen Zwischentöne, die Carine Tardieus jüngsten
Film Was uns verbindet (L’Attachement) so bemerkenswert machen
– ein Werk, das weit mehr ist als eine fein gezeichnete Studie
über Beziehungen und emotionale Abhängigkeiten. Es ist ein
zutiefst humanistisches, zugleich aber radikal feministisches Drama,
das am 6. November auf DVD und digital für das Heimkino erschienen
ist und damit endlich einem breiteren Publikum zugänglich wird.
In einer Zeit, in der die Kinolandschaft häufig von lauten Stimmen
und kalkulierter Emotionalität dominiert wird, wagt Tardieu das
Gegenteil: Sie flüstert, wo andere schreien – und erreicht
gerade dadurch eine eindringliche Klarheit. Im Zentrum des Films steht
Gabrielle (Valeria Bruni Tedeschi), eine Frau um die fünfzig,
die ein stilles, geordnetes Leben führt – bis die neuen
Nachbarn in ihr Dasein einbrechen: Claire (Vimala Pons) und Simon
(Pio Marmaï), ein junges Paar, dessen Unruhe und Begehren Gabrielles
emotionale Statik aufbrechen.
Was
zunächst wie eine beiläufige Nachbarschaftsgeschichte beginnt,
entfaltet sich rasch zu einer vielschichtigen Reflexion über
weibliche Unabhängigkeit, Fürsorge und das Spannungsverhältnis
zwischen emotionaler Nähe und Selbstaufgabe. Tardieus filmischer
Blick ist dezidiert weiblich – nicht im Sinne eines didaktischen
Programms, sondern durch die Sensibilität, mit der sie weibliche
Erfahrung sichtbar macht. Gabrielle ist keine klassische Heldin, keine
Märtyrerin und schon gar keine gebrochene Figur, die erlöst
werden muss. Sie ist ein Mensch, der seine Freiheit behauptet, indem
er sie infrage stellt. In der Art, wie Tardieu die Kamera führt
– unaufdringlich, beobachtend, fast dokumentarisch –,
wird die weibliche Perspektive selbst zur Methode: Sie verweigert
sich der Objektivierung und legt den Fokus auf Wahrnehmung, nicht
auf Projektion.
Die
Inszenierung meidet jede Dramatisierung, vertraut stattdessen auf
Andeutung und Gestus. Wenn Gabrielle in stiller Kontemplation den
Blick durch ihr Haus oder über den Garten schweifen lässt,
dann wird der Raum zum Spiegel einer inneren Topografie: Hier materialisiert
sich die Frage, wie viel Freiheit im Alleinsein liegt – und
wie viel Einsamkeit. Tardieus Film verhandelt Weiblichkeit nicht als
Zuschreibung, sondern als Handlungsspielraum. Das titelgebende „Verbinden“
ist dabei immer auch ein „Entbinden“: von gesellschaftlichen
Erwartungen, romantischen Narrativen und der unheilvollen Gleichsetzung
von Liebe und Besitz. Bemerkenswert ist, wie der Film das Politische
im Privaten verankert.
In
Gabrielles Zögern, ihrer vorsichtigen Zuwendung zu den Nachbarn,
liegt ein stiller Widerstand gegen die tradierten Muster, die Frauen
zu Kümmernden und Vermittlerinnen machen. Was uns verbindet plädiert
für eine neue Ethik des Miteinanders, in der Fürsorge nicht
automatisch Selbstverleugnung bedeutet. Damit steht der Film in einer
Reihe zeitgenössischer französischer Werke – etwa
Céline Sciammas Petite maman oder Alice Diops Saint Omer –,
die Weiblichkeit als komplexe, widersprüchliche und zugleich
zutiefst schöpferische Kraft begreifen. Valeria Bruni Tedeschi
verleiht Gabrielle eine beeindruckende Ambivalenz. Ihre Darstellung
ist durchzogen von einer stillen Spannung zwischen Kontrolle und Erschütterung,
zwischen Fürsorge und Rückzug. Pio Marmaï und Vimala
Pons fungieren weniger als Gegenspieler denn als Katalysatoren –
sie öffnen emotionale Räume, die Gabrielle lange verschlossen
hielt. Dass Tardieu diesen Prozess ohne Sentimentalität, aber
mit großer Zärtlichkeit inszeniert, verleiht dem Film seine
poetische Kraft.
Auch
formal überzeugt Was uns verbindet durch seine feinsinnige Gestaltung:
Das Spiel mit Licht und Schatten, die wechselnden Farbtemperaturen
zwischen Innen- und Außenräumen, die fast musikalische
Rhythmik der Montage – all das unterstützt die zentrale
Frage nach Identität und Bindung. Die Welt dieses Films ist keine
fest umrissene, sondern eine atmende, fließende – ein
Resonanzraum für menschliche Erfahrung. So wird Was uns verbindet
zu einem Werk über die Kunst des Loslassens, über die Stärke,
sich selbst nicht zu verlieren, wenn man anderen die Tür öffnet.
In einer patriarchal geprägten Filmtradition, die Frauen häufig
als Muse, Mutter oder moralisches Korrektiv zeichnet, bietet Tardieus
Regiearbeit eine alternative Grammatik der Nähe – eine,
die aus Empathie Selbstbestimmung gewinnt. Carine Tardieu gelingt
mit Was uns verbindet ein stilles, kraftvolles Stück Kino, das
weniger Antworten gibt, als es Fragen stellt – und gerade darin
seine Relevanz beweist. Es ist ein Film über die alltägliche
Revolution weiblicher Selbstbehauptung, über Zärtlichkeit
als Form des Widerstands und über das fragile Gleichgewicht zwischen
Freiheit und Verbindung. Ein Werk, das – sanft, poetisch, klug
– daran erinnert, dass Unabhängigkeit nicht im Rückzug
liegt, sondern in der Fähigkeit, Nähe neu zu definieren.
WAS UNS VERBINDET
ET:
06.11.25: DVD & digital | FSK 6
R: Carine Tardieu | D: Valeria Bruni Tedeschi, Pio Marmaï,
Vimala Pons
Frankreich, Belgien 2024 | Alamode Filmdistribution