Leonora
im Morgenlicht
Die Selbstbefreiung im Spiegel des Surrealen
Ein
Leben zwischen Surrealismus, Selbstbehauptung und seelischer Zerrissenheit:
"Leonora im Morgenlicht" erhellt die innere Welt einer der
faszinierendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit feministischer
Präzision zeichnet der Film den Weg einer Frau nach, die sich
gegen männliche Vereinnahmung und historische Gewalt behauptet.
Ein atmosphärisch kraftvolles Porträt, das jetzt für
das Heimkino erscheint und Carringtons Mythos in neuem Licht erkennen
lässt.
Wenn
ein Film den Anspruch erhebt, einer Künstlerin gerecht zu werden,
deren Werk zwischen Mythopoetik, feministischer Selbstbehauptung und
existenzieller Verwandlung oszilliert, dann muss er sich an der Fähigkeit
messen lassen, diese innere Bewegtheit sichtbar zu machen. „Leonora
im Morgenlicht“, der am 20. November auf DVD und digital für
das Heimkino erscheint, ist ein solcher Versuch – und zugleich
ein Film, der die Herausforderung annimmt, eine der faszinierendsten
Figuren des 20. Jahrhunderts in ihrer Zerrissenheit, ihrem Eigensinn
und ihrer schöpferischen Wucht zu umkreisen. Leonora Carrington,
enfant terrible der europäischen Surrealist:innen, spätere
Ikone der mexikanischen Kunst, Weltenwanderin zwischen Trauma, Befreiung
und künstlerischer Rebellion, wird hier als eine Figur inszeniert,
die nicht nur an den äußeren Verwerfungen des Jahrhunderts,
sondern auch an strukturellen Geschlechterordnungen reibt. Der Film
begreift Carrington nicht primär als museale Randfigur eines
männlich dominierten Kunstzirkels, sondern als Frau, die ihren
eigenen Mythos erschafft – und die in den Zwischenräumen
des Patriarchats jene poetische Autonomie sucht, die ihr die Geschichte
stets zu verweigern schien.
Das
Regieduo Lena Vurma und Thor Klein entscheidet sich für eine
episodische, achronologische Struktur – ein Ansatz, der sich
produktiv auf Carringtons Lebensweg überträgt, der selbst
von Brüchen, Fluchten und Wiedergeburten geprägt ist. Der
Film springt zwischen den surrealistischen Salons im Paris der 1930er,
der entgrenzten Freiheit Südfrankreichs, den Abgründen einer
psychiatrischen Zwangseinweisung während des Krieges und dem
schillernden Exil in Mexiko. Diese fragmentierende Erzählweise
ist ästhetisch mehr als Manier: Sie evoziert das Gefühl
einer Identität, die nie stillstehen durfte, die stets neu zusammengesetzt
werden musste. Gleichzeitig arbeitet „Leonora im Morgenlicht“
mit einer klar feministischen Perspektive, indem es die Mechanismen
der männlichen Vereinnahmung offenlegt. Max Ernst erscheint nicht
als monströse Figur, sondern als Repräsentant eines Systems,
das die kreative Potenz einer Frau nur in Relation zu einem Künstler-Genie
wahrzunehmen bereit ist. Die Szenen, in denen Carrington sich gegen
die Reduktion auf die Rolle der „Muse“ wehrt, markieren
die entscheidenden Momente ihrer Selbstbehauptung – auch wenn
die filmische Umsetzung nicht immer die gewünschte dialogische
Tiefe entfaltet.
Stärke
gewinnt der Film dort, wo er Carringtons psychische Erschütterungen
nicht pathologisiert, sondern als Ausdruck eines weiblichen Subjekts
begreift, das auf strukturelle und gesellschaftliche Gewalt reagiert.
Die Sequenzen in der Nervenheilanstalt, die Visionen und Albträume,
das Aufscheinen mythischer Tiergestalten und mexikanischer Gottheiten
– all dies liest sich als filmische Strategie, um Carringtons
innere Kämpfe mit den äußeren Zumutungen zu verschränken.
Gerade der Mexiko-Part entfaltet einen Sog, weil die Umgebung –
Las Pozas als verwunschene Skulpturenlandschaft – zu einem Resonanzraum
für Carringtons geistige und künstlerische Echokammer wird.
Hier verdichten sich die repetitiven Verletzungen patriarchaler Strukturen
zu einem poetischen Eigensinn: der Geburt einer Mythologie, die Leonora
Carrington später zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen
des Surrealismus machen sollte.
Der
vielleicht größte Schwachpunkt des Films liegt in der erstaunlichen
Abwesenheit von Carringtons tatsächlicher Kunst. Nur spärlich
gewährt er Einblicke in die Bildwelten, aus denen ihre besondere
Form des feministischen Surrealismus erwuchs. Für ein Porträt
einer Malerin wirkt dies wie eine widersprüchliche Leerstelle.
Und doch lässt sich dieses Manko auch als bewusste Entscheidung
lesen: Der Film will nicht illustrieren, sondern das psychische Territorium
ausleuchten, aus dem Carringtons Werk hervorging. Aus feministischer
Sicht birgt diese Leerstelle jedoch Ambivalenz. Einerseits verweigert
sich der Film der bekannten musealen Vereinnahmung; andererseits riskiert
er, Carringtons schöpferische Sprache gerade dort unsichtbar
zu machen, wo die Selbstbefreiung der Künstlerin am stärksten
materielle Form annahm. Mit Olivia Vinall findet der Film eine Darstellerin,
die Carringtons Zerbrechlichkeit eindrucksvoll verkörpert. Ihr
Spiel ist innerlich, zurückgenommen, fast geisterhaft –
ein Ansatz, der nicht immer Identifikation ermöglicht, aber Carringtons
„Zwischenweltlichkeit“ durchaus trifft. Dass manche Dialoge
hölzern wirken, liegt weniger an Vinall als an der bisweilen
überdidaktischen Textgestaltung.
FAZIT
„Leonora
im Morgenlicht“ ist kein traditionelles Künstlerinnenbiopic,
sondern ein Versuch, die inneren und äußeren Räume
eines feministischen Widerstands spürbar zu machen. Der Film
zeigt, wie eine Frau im malerischen wie realen Exil ihre eigene Stimme
findet – gegen die Zumutungen einer patriarchalen Kunstwelt,
gegen die Gewalt politischer Systeme, gegen die Dämonen einer
zerrissenen Seele. Es ist ein atmosphärisch kraftvolles Werk,
reich an symbolischen Bildern und historischen Texturen, das sich
der Herausforderung stellt, ein Leben zu zeigen, das selbst wie ein
surrealistischer Traum erscheint – und das dennoch eine exemplarische
weibliche Selbstbefreiung erzählt. In dieser Lichtung zwischen
Mythos, Trauma und künstlerischer Autonomie findet der Film seinen
stärksten Ausdruck: als poetisches, feministisches Porträt
einer Frau, die im Surrealen ihre Wahrheit suchte – und fand.
LEONORA IM MORGENLICHT
ET:
20.11.25: DVD & digital | FSK 12
R: Thorsten Klein, Lena Vurma | D: Olivia Vinall, Alexander Scheer,
Ryan Gage
Deutschland, Mexiko, Rumänien, Großbritannien 2025 |
Alamode Filmdistribution