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DVD & BLU-RAY | 21.11.2025

NIRVANA – DIE ZUKUNFT IST EIN SPIEL

Ein visionärer Cyberpunk-Klassiker kehrt zurück: "Nirvana – Die Zukunft ist ein Spiel" entfaltet in seiner Neuveröffentlichung eine geradezu unheimliche Aktualität. Salvatores’ filmische Zukunftsreflexion verbindet philosophische Tiefe mit ästhetischer Kühnheit und markiert einen Wendepunkt im europäischen Sci-Fi-Kino. Ein Werk, das den digitalen Zweifel unserer Gegenwart bereits vorweggenommen hat – und heute stärker leuchtet als je zuvor.

von Franziska Keil


© Pandastorm

Wenn Gabriele Salvatores’ „Nirvana – Die Zukunft ist ein Spiel“ heute, knapp drei Jahrzehnte nach seiner Uraufführung, als Mediabook mit umfangreichen Extras wiederveröffentlicht wird – erhältlich ab dem 21. November –, dann kehrt ein Werk ins kulturelle Gedächtnis zurück, das in seiner Zeit visionär war und bis heute eine irritierende, fast prophetische Kraft besitzt. Salvatores schuf 1997 einen Science-Fiction-Film, der weit über die damals gängigen Genremuster hinausreichte: ein Cyberpunk-Vexierspiel über Identität, Virtualität und die Erosion des Authentischen, das zugleich emotional geerdet bleibt. In einer Gegenwart, die längst von digitaler Selbstvervielfältigung geprägt ist, entfaltet „Nirvana“ eine fast unheimliche Aktualität.

Der Film folgt dem Spieleentwickler Jimi (Christopher Lambert), dessen neuestes Videospiel „Nirvana“ plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Der Protagonist des Spiels – Solo, ein digitaler Bewusstseinsfunke – erkennt seine eigene Künstlichkeit und fleht Jimi an, ihn aus diesem endlosen Loop aus Pixeln und Skriptlogiken zu befreien. Was wie ein hybrides Experiment aus Cyber-Noir und metaphysischem Thriller beginnt, entfaltet sich zunehmend als existenzielles Drama über Schöpfung und Verantwortung. Die Frage, ob ein künstlich geschaffenes Bewusstsein ein Recht auf Erlösung oder Endlichkeit besitzt, war in den späten 1990ern noch eine philosophische Abstraktion – heute, da KI-Systeme und digitale Avatare unsere Wahrnehmung herausfordern, wirkt sie wie ein Vorgriff auf aktuelle Debatten.


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Salvatores verankert diese Reflexionen in einer Atmosphäre, die an William Gibson ebenso erinnert wie an Jean Baudrillard. Die Zukunft ist hier kein Hochglanz-Paradies, sondern ein verschachtelter Stadtdschungel aus Neonlicht, Überwachung und allgegenwärtiger Datenflut – ein Setting, das nicht nur visuell beeindruckt, sondern konsequent den inneren Zustand seiner Figuren spiegelt: entwurzelt, fragmentiert, auf der Suche nach einem Rest von Authentizität. Jimi wird zum Wanderer zwischen den Welten, ein Mensch, der seine Stimme erst findet, indem er sich einem künstlichen Geschöpf zuwendet.

Besonders bemerkenswert ist Salvatores’ Umgang mit dem Verhältnis von realer und virtueller Welt. Die Grenzen zwischen beiden lösen sich immer weiter auf, bis es unmöglich erscheint, eine klare Linie zu ziehen. Die innere Wahrheit, so suggeriert der Film, liegt nicht im Medium, sondern in der Intensität der Erfahrung – eine Haltung, die Nirvana deutlich von zeitgenössischen „Techno-Thrillern“ unterscheidet. Wo andere Filme Moralpanik oder Zukunftsangst schürten, sucht Salvatores nach poetischen Momenten der Selbstbegegnung im digitalen Raum.

Filmhistorisch ist „Nirvana“ ein Sonderfall: Er entstand zeitgleich mit „Dark City“, war älter als „The Matrix“ und bot dennoch bereits jene Mischung aus metaphysischem Drama, visueller Opulenz und digitalem Zweifel, die später das neue Sci-Fi-Kino prägen sollte. Als europäische Produktion wagte „Nirvana“ zudem die Synthese von Hollywood-Blockbusterästhetik und arthausiger Introspektion – ein Risiko, das heute, rückblickend, als wegweisend erscheint. Dass Salvatores den damals rasanten technologischen Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Spiegel menschlicher Unsicherheiten begreift, macht den Film zu einem Werk, das sowohl mit technologischer Zukunft als auch mit zeitlosen Fragen verhandelt.


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Mit seiner Wiederveröffentlichung im Mediabook gewinnt „Nirvana“ eine Gelegenheit zur Neubewertung. Die Extras – Interviews, Hintergrundmaterial, vermutlich restaurierte Bildfassungen – ermöglichen eine historische und ästhetische Kontextualisierung, die die Bedeutung des Films in all ihren Facetten sichtbar macht. Denn „Nirvana“ ist nicht nur ein Cyberpunk-Drama, sondern ein Stück Filmgeschichte, das die geistigen Strömungen seiner Zeit aufnimmt und gleichzeitig weit voraus denkt.

Heute, da Algorithmen zu Mitschöpfern unserer Realität geworden sind, lässt sich Salvatores’ Werk als melancholische Warnung, als philosophische Einladung und als cineastische Besonderheit zugleich lesen. „Nirvana – Die Zukunft ist ein Spiel“ erinnert uns daran, dass jede digitale Welt – so künstlich sie sein mag – ein Echo unserer Sehnsüchte, Ängste und ethischen Dilemmata trägt. Und gerade deshalb besitzt dieser Filmklassiker eine bestechende Relevanz, die weder verblasst noch von seiner futuristischen Ästhetik überstrahlt wird.


NIRVANA – DIE ZUKUNFT IST EIN SPIEL

ET: 07.11.25: digital / 21.11.25: Mediabook | FSK 12
R: Gabriele Salvatores | D: Christopher Lambert, Diego Abatantuono, Sergio Rubini
Italien, Frankreich, Großbritannien 1996 | Pandastorm

Extras: Science-Fiction ganz Intim - Gedanken zu Nirvana;
Nirvana's Spezialeffekte; Nirvana X-ROM; Spezialeffekt Workflow; Deutscher Trailer


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