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DVD & BLU-RAY | 28.11.2025

THE GENTLEMAN

Ein fein komponiertes Kriminaldrama, das Stilbewusstsein und moralische Ambivalenz zu einem doppelbödigen ästhetischen Spiel verschränkt. "The Gentleman" entlarvt die Maskerade männlicher Machtperformanz, indem es Eleganz und Abgrund kunstvoll ineinander spiegelt. So entsteht ein Werk, das weniger Genreunterhaltung als kritische Studie über Inszenierung, Identität und die Verführbarkeit des Blicks ist.

von Franziska Keil


© Mikel Blasco

Der ehemalige US-Soldat Theo (Ron Perlman) lebt zurückgezogen in den Schatten seiner Vergangenheit. Seine einzigen Lichtblicke sind die wöchentlichen Gespräche mit der Prostituierten Olga, die er dafür bezahlt, mit ihm über das Leben zu sprechen, das er einst führte. Nach dem brutalen Mord an Olga wird Theos Trauer zur treibenden Kraft eines gnadenlosen Rachefeldzugs. Schon bald gerät er ins Visier des alkoholkranken Inspektors Iborra und desgnadenlosen Auftragskillers Herodes. Zwischen Trauer und Gewalt steuert Theo auf ein blutiges Finale zu, das keine Unschuldigen kennt.

Mit der Heimkinoveröffentlichung von „The Gentleman“ am 20. November findet ein Film Aufmerksamkeit, der durch seine stilbewusste Inszenierung und sein selbstbewusstes Changieren zwischen Coolness-Geste und erzählerischer Überzeichnung auffiel. Der Film, angelegt als bissige Mischung aus Kriminalgroteske und existenzieller Charakterstudie, verfolgt einen Weg, der bewusst an ikonische Gangsterästhetiken anknüpft, sich dabei aber zugleich ironisch von ihnen distanziert. Das Ergebnis ist ein Werk, das sich nicht allein über seinen Plot definiert, sondern über ein ästhetisches Klima, in dem Stil, Habitus und moralische Ambivalenzen zu gleichberechtigten Akteuren werden.

Im Zentrum steht ein Protagonist, der weniger als psychologisch durchdrungene Figur erscheint, denn als Projektionsfläche für Fragen nach Status, Macht und Identität. Seine elegante Selbstkontrolle, sein kalkulierter Habitus der Überlegenheit und sein inszenierter Gentleman-Gestus bilden die Achsen, um die sich der gesamte Film dreht. Doch gerade im Heimkino, wo die Aufmerksamkeit stärker auf Details gelenkt wird, tritt deutlicher hervor, wie fragil diese Fassade ist: Zwischen den noblen Oberflächen und den moralisch ruinösen Entscheidungen klafft ein Abgrund, den die Kamera immer wieder genüsslich ausleuchtet. Die ästhetische Raffinesse – klare Achsen, kontrollierte Bewegungen, betont geschliffene Dialogrhythmen – dient nicht allein der Stilisierung, sondern enthüllt im gleichen Atemzug das Unheimliche und Unstete hinter der Perfektion.


© Mikel Blasco

Die Stärke des Films liegt in seiner souveränen Beherrschung von Kontrasten: Er spielt mit der Glätte seiner Welt, um die Risse sichtbarer zu machen. Während die montierten Machtspiele und elegant orchestrierten Konfrontationen eine fast opernhafte Größe erreichen, dringt die Inszenierung zugleich zu existenziellen Fragen vor – nach Selbstbestimmung, Loyalität und dem Preis eines Lebens, das sich ausschließlich aus Inszenierung speist. Aus dieser Spannung speist sich die eigentliche Faszination: „The Gentleman“ ist weniger ein Gangsterfilm als ein Essay über Männlichkeitsperformances im Zeitalter hyperästhetischer Selbstentwürfe. Gleichwohl birgt genau diese enge Bindung an Stil und Attitüde auch die Schwächen des Films.

Mitunter wirkt das selbstreflexive Spiel der Figuren, die sich als Akteure ihrer eigenen Mythen inszenieren, so überladen, dass erzählerische Stringenz zugunsten formaler Selbstbespiegelung zurücktritt. Die Handlung verliert gelegentlich an Schärfe, weil der Film seiner eigenen Eleganz allzu bereitwillig verfällt. Doch selbst in diesen Momenten bleibt unverkennbar, dass die Überzeichnung Teil des Konzepts ist: „The Gentleman“ will nicht realistisch sein, sondern hyperreal – ein konstruiertes Gefüge, das gerade durch seine Künstlichkeit die Mechanik von Macht und Performanz offenlegt.

Dass diese Spannung trägt, ist nicht zuletzt den Darstellerinnen und Darstellern zu verdanken, deren Spiel genau jene Mischung aus Distanz und Intensität verkörpert, die die gesamte Inszenierung prägt. Ihre Figuren gleiten zwischen ironischer Selbstbeobachtung und eruptiver Körperlichkeit, was dem Film eine zusätzliche erzählerische und atmosphärische Dynamik verleiht. So hinterlässt „The Gentleman“ im Heimkino denselben Eindruck wie auf der großen Leinwand – jedoch vertieft durch die Möglichkeit, sich intensiver auf die Details der Inszenierung einzulassen: Es ist ein Werk, das sich zwischen stilistischer Virtuosität und kritischer Brechung bewegt, das seine Zuschauer*innen zugleich verführt und irritiert und in genau dieser Doppelbewegung seine eigentliche Stärke entfaltet. Eine elegante, bewusst artifizielle Studie über Macht, Masken und die Verführbarkeit des Blicks – und damit ein filmisches Erlebnis, das auch jenseits seiner Genregrenzen eine nachhaltige Faszination ausübt.


THE GENTLEMAN

ET: 20.11.25: DVD, Blu-ray, TvOD | FSK 16
R: Gabriel Beristain | D: Ron Perlman, Megan Montaner, Hovik Keuchkerian
Spanien, Mexiko 2025 | PLAION PICTURES


 


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