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DVD & BLU-RAY | 08.10.2025

MONSIEUR AZNAVOUR

Ein Künstlerporträt, das weniger erzählt als empfindet: „Monsieur Aznavour“ verwandelt die Biografie eines Chanson-Giganten in ein filmisches Seelenlied. Mit poetischer Präzision fängt das Drama die fragile Kraft eines Lebens zwischen Herkunft, Kunst und Selbstbehauptung ein.

von Franziska Keil


© Antoine Agoudjian

Es gibt Biografien, die nicht nach einer konventionellen Nacherzählung verlangen, sondern nach einem filmischen Raum, der die innere Bewegung eines Lebens zur eigentlichen Dramaturgie erhebt. „Monsieur Aznavour“, der am 10. Oktober auf DVD, Blu-ray und digital für das Heimkino erscheint, gehört zu jener seltenen Art von Filmen, die sich weniger darum bemühen, Vollständigkeit zu behaupten, als die Essenz eines Künstlers sichtbar zu machen. Grand Corps Malade und Mehdi Idir gelingt es, Charles Aznavours Lebenswelt nicht zu illustrieren, sondern zu interpretieren – und dabei das Flüchtige, Zerbrechliche, aber auch das Unbezwingbare seiner Kunst einzufangen. Der Film beginnt nicht mit einer Heldensaga, sondern mit einem Gefühl: jenem leisen Fremdsein, das Aznavour – Sohn armenischer Geflüchteter – ein Leben lang begleitete und das zu einer inneren Triebkraft seiner späteren Karriere wurde. Die Regisseure verankern diese Spannung zwischen Herkunft und öffentlicher Persona in einem fein abgestimmten Wechselspiel aus Licht, Bewegung und Musik. Paris erscheint nicht als romantisierte Kulisse, sondern als vibrierendes Gewebe aus Möglichkeiten, Zufällen und Enttäuschungen, das den jungen Charles formt, bevor er sich selbst zu formen beginnt. Tahar Rahim als Aznavour trifft den Ton dieser inneren Zerrissenheit mit bewundernswerter Präzision. Sein Spiel lebt vom Understatement: einem gesenkten Blick, einem kaum merklichen Atemzug, einer Geste, die die Angst vor dem Scheitern ebenso verrät wie die Sehnsucht nach Anerkennung. Rahim macht sichtbar, was Aznavours Lieder immer schon transportierten – die unauflösbare Verbindung von Verletzlichkeit und Stolz. „Monsieur Aznavour“ vermeidet die üblichen biografischen Stationendramaturgien und entfaltet stattdessen die Entwicklung eines Künstlers fast musikalisch – als Variation eines Themas. Die Kamera folgt Aznavours Stimmen, bevor sie seinen Erfolgen folgt: der Unsicherheit, der Wut über Ablehnung, dem Mut, die eigene Schwäche zum Stilmittel zu erklären. Damit vollzieht der Film jene radikale Entscheidung nach, die Aznavour einst zu einem der unverwechselbarsten Interpreten seiner Generation machte: Er vertraute dem Unperfekten, dem Rauhen, dem Ungekünstelten.


© Caroline Bazin

Dafür setzen die Regisseure auf eine visuelle Sprache, die rhythmisch mit den Songs korrespondiert. Statt opulenter Bühnenbilder dominieren intime Räume – Hinterzimmer, Studios, kleine Clubs. Orte, an denen Aznavours Stimme noch gegen die Welt ankämpft, bevor sie diese einzunehmen beginnt. Es sind diese Zwischenmomente, die der Film mit besonderer Hingabe ausleuchtet und die sein erzählerisches Herz bilden. Was „Monsieur Aznavour“ darüber hinaus bemerkenswert macht, ist die sensible Verknüpfung von privater Biografie und kollektiver Erfahrung. Der Film betrachtet Aznavours Weg als Sohn von Flüchtlingen nicht als exotisches Detail, sondern als politisches Substrat seiner Kunst. Die Frage nach Zugehörigkeit, die Angst vor dem Vergessen, die Suche nach einer Stimme – all das erhält eine gesellschaftliche Resonanz, ohne je plakativen Charakter anzunehmen. Die Regisseure verorten Aznavours intime Lieder in einem historischen Kontext, der ihre Dringlichkeit nachvollziehbar macht. Gleichzeitig gelingt es dem Film, Aznavours Aufstieg nicht als mechanische Abfolge von Erfolgen, sondern als schmerzhafte Selbstbehauptung darzustellen. Die emotionalen Brüche seiner Beziehungen – zur Familie, zu Weggefährten, zu Frauen, die sein Leben begleiteten – erscheinen als Spiegel seiner künstlerischen Entwicklung. Seine Musik entsteht stets in der Nähe der Wunde, nie aus der Pose. Formal setzt „Monsieur Aznavour“ auf eine poetisch verdichtete Ästhetik, die an die Struktur eines Chansons erinnert: kurze Szenen, starke atmosphärische Brüche, ein Spiel aus Wiederholung und Variation. Diese filmische Musikalität ist das eigentliche Kunststück der Regie. In der Montage finden sich Echoeffekte, die Themen neu rahmen; im Licht gestaltet sich Aznavours Innerlichkeit sichtbar – mal warm und nah, mal hart und unversöhnlich. Das Ergebnis ist ein Film, der zwar Biografie erzählt, aber vor allem Seelenlandschaft zeichnet. Er sucht nicht das Große, Lautstarke, Lineare, sondern den Zwischenraum, in dem ein Lied entsteht, das Millionen berührt.


MONSIEUR AZNAVOUR

ET: 10.10.25: DVD, Blu-ray und digital | FSK 6
R: Mehdi Idir, Grand Corps Malade | D: Tahar Rahim, Bastien Bouillon, Marie-Julie Baup
Frankreich 2024 | Weltkino


 


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