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DVD & BLU-RAY | 19.11.2025

Die Eleganz des Denkens
„Der junge Inspektor Morse“ als modernes Fernsehkunstwerk

Ein melancholischer Blick auf Oxford, ein brillanter Kopf im Zwiespalt – „Der junge Inspektor Morse“ verbindet klassische Krimikunst mit tiefgründiger Charakterzeichnung. Die nun erscheinende DVD-Gesamtbox feiert ein Serienjuwel, das Intellekt und Emotion in seltener Harmonie vereint.

von Franziska Keil


© iTV

Wenn man auf die Geschichte des britischen Fernsehens blickt, so stößt man unweigerlich auf jene Serien, die das Genre des Krimis weit über das reine Rätselspiel hinaus erhoben haben – Werke, in denen Verbrechen und Moral, Intelligenz und Einsamkeit zu einer fast literarischen Einheit verschmelzen. „Der junge Inspektor Morse“ gehört zweifellos zu diesen seltenen Errungenschaften. Nun erscheint die Serie, die mit ihrer Mischung aus klassischer Erzähltradition und modernem psychologischem Tiefgang seit Jahren ein internationales Publikum fesselt, erstmals als vollständige Gesamtbox auf 22 DVDs bei Edel Motion – inklusive umfangreichem Bonusmaterial, das nicht nur für Sammler, sondern für Liebhaber der britischen Fernsehkunst von unschätzbarem Wert ist. Schon das Ursprungswerk „Inspector Morse“ (1987–2000) gilt als ein Meilenstein des „intelligenten Krimis“: eine Serie, die nicht den Täter, sondern die menschliche Schwäche in den Mittelpunkt stellte. „Der junge Inspektor Morse“ (Endeavour) führt diesen Ansatz fort – und zugleich zurück zu den Anfängen. Der von Shaun Evans mit feiner, fast schüchterner Intensität verkörperte junge Endeavour Morse ist kein Held, sondern ein Suchender, dessen analytischer Geist stets an seine eigene Verletzlichkeit grenzt. Evans gelingt es meisterhaft, die Keimzelle jener Figur freizulegen, die später – im Körper des älteren John Thaw – zu einem der komplexesten Ermittler der TV-Geschichte werden sollte. Dass Morse hier nicht aus der Feder von Colin Dexter stammt, sondern aus der Imagination des Drehbuchautors Russell Lewis, tut der Authentizität keinen Abbruch. Lewis entwirft jede Episode wie ein Kreuzworträtsel – nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Die Serie ist durchzogen von Anspielungen, Zitaten und filmischen „Easter Eggs“, die das Werk zu einer Hommage an Literatur, Musik, Philosophie und die britische Kultur der 1960er Jahre machen.


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Jede Folge ist ein intellektuelles Vergnügen, ein cineastisches Palimpsest, das dazu einlädt, immer wieder neue Details zu entdecken. Doch „Der junge Inspektor Morse“ ist mehr als nur ein nostalgisches Period Piece. In seinem eleganten Retro-Stil – den makellosen Kostümen, den glänzenden Jaguar-Karosserien, dem Nikotindunst über den Teetassen – spiegelt sich ein tiefer gesellschaftlicher Wandel. Die Serie seziert den Verfall alter Hierarchien: das bröckelnde Empire, die Erosion patriarchaler Strukturen, die leisen Aufbrüche der Moderne. Sie zeigt, wie sich Moral, Klasse und Autorität im Übergang zur Spätmoderne neu definieren müssen. Diese gesellschaftliche Schärfe unterscheidet „Der junge Inspektor Morse“ von vielen nostalgischen Formaten. Sie verleiht ihm jene Relevanz, die es braucht, um nicht bloß zu erinnern, sondern zu reflektieren. Unter der glänzenden Oberfläche der Universitätsstadt Oxford brodelt eine dunkle, unaufgelöste Spannung – zwischen Ideal und Realität, Ordnung und Chaos, Wissen und Macht. Was diese Serie zu einem Kunstwerk erhebt, ist ihre Stimmung. In ihr vereinen sich Kriminalhandlung und Poesie, Ratio und Sehnsucht. Morse ist ein Romantiker der Vernunft, ein Mann, der lieber denkt als lebt – und doch in jeder Episode mit den eigenen Emotionen konfrontiert wird.


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Seine Liebe zur Musik, sein Stolz, seine Einsamkeit: all das formt ein psychologisches Porträt, das sich über die Jahre zu einem der berührendsten Charakterstudien des modernen Fernsehens entwickelt hat. Hinzu kommt die unverwechselbare visuelle Sprache – das Licht über den alten Mauern Oxfords, die melancholische Farbpalette zwischen Sepia und Rauchblau, die Kompositionen, die fast wie Gemälde wirken. „Der junge Inspektor Morse“ ist nicht einfach ein Krimi, sondern ein ästhetisches Erlebnis, das mit jeder Folge lehrt, wie Denken und Fühlen, Logik und Leidenschaft in ein feines Gleichgewicht gebracht werden können. Dass Colin Dexter in seinem Testament verfügte, Shaun Evans solle der letzte Morse bleiben, ist mehr als eine Anekdote – es ist eine Würdigung. Sie bestätigt, dass diese Serie, entstanden als Prequel, das Erbe ihres Originals nicht verwässert, sondern vertieft hat. Mit der Veröffentlichung der kompletten DVD-Gesamtbox am 21. November 2025 wird dieses Kapitel nun geschlossen – als Hommage an eine Ära des britischen Fernsehens, in der Intelligenz, Haltung und Stil noch Selbstverständlichkeit waren. „Der junge Inspektor Morse“ ist damit weit mehr als ein Prequel. Es ist eine Meditation über Erinnerung, Wahrheit und die Kunst des Zweifelns – ein stilles Meisterwerk, das die Vergangenheit ehrt, ohne in ihr zu erstarren.


DER JUNGE INSPEKTOR MORSE - Gesamtbox [22 DVDs]

ET: 21.11.25: DVD | FSK 16
D: Anton Lesser, Jack Bannon, James Bradshaw, Roger Allam
Großbritannien 2025 | Edel Motion

Extras: - Über drei Stunden Interviews mit Cast & Crew sowie Einblicke hinter die Kulissen;
Die Dokumentation ”Der junge Inspektor Morse – Eine letzte Reise“; Die Pilotfolge der Ursprungsserie ”Inspector Morse“:
Die Toten von Jericho; Ein umfangreiches Booklet mit Informationen zur Serie, den Hauptdarstellern,
dem Serienschöpfer Colin Dexter und den Verbindungen zwischen ”Inspector Morse“, „Lewis“ und ”
Der junge Inspektor Morse“; Fünf exklusive Sammelkarten


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