In
seiner opulenten Neuinterpretation von „Das Phantom der Oper“
entwirft Dario Argento ein ästhetisch eigensinniges, zugleich
kontroverses Kapitel moderner Horrorfilmgeschichte. Die neue Mediabook-Edition
erlaubt eine erneute, differenzierte Würdigung dieses oft unterschätzten
Werks zwischen barocker Sinnlichkeit und radikalem Stilwillen.
Wenn
„Das Phantom der Oper“ von Dario Argento am 11. Dezember
als Mediabook (4K-UHDs + zwei Blu-rays) erneut in die Öffentlichkeit
tritt, geschieht mehr als ein reiner Re-Release. Die Edition lenkt
den Blick zurück auf ein Werk, das bei seiner Erstveröffentlichung
1998 vielfach missverstanden wurde – sowohl von seinem eigenen
Fanlager als auch von den Kritikern. Heute, mit Abstand und einem
geschärften Verständnis für Argentos Spätphase,
zeigt sich ein Film, der weit mehr ist als ein verunglückter
Versuch, Gaston Leroux’ Erzählung neu zu adaptieren: Er
ist ein ästhetisches Experiment, eine Revision des Opernmythos
und zugleich ein filmhistorisches Dokument eines Übergangs. Sein
Phantom ist kein entstellter Außenseiter, der seine Deformation
hinter einer ikonischen Maske verbirgt. Stattdessen ist es eine Figur,
deren „Verstörung“ nicht äußerlich, sondern
psychisch verlagert wird. Argento inszeniert das Unheimliche als inneren
Riss, nicht als sichtbare Wunde – ein Ansatz, der das klassische
Motiv entmythologisiert und gleichzeitig psychologisiert. Die Herkunft
des Phantoms – von Ratten großgezogen, ein Wesen zwischen
Mensch und Tier – verschiebt den Stoff endgültig in die
Sphäre des animalischen Instinkts. Das Bild ist in seiner Symbolik
überdeutlich, aber gerade dadurch typisch für Argentos barocke
Erzählweise: Das Phantom wird zur Allegorie des Unbeherrschten,
des Triebhaften, des aus den Katakomben der menschlichen Psyche hervordrängenden
Begehrens. Argentos Interesse gilt weniger der stringenten Narration
als der sensorischen Verdichtung. Die Bathhouse-Szene, die rattenmechaniken,
die grotesken Visionen – all dies erscheint zunächst fragmentiert,
beinahe überladen, doch gerade diese Überfülle ist
ein bewusstes Stilmittel. Der Film nimmt sich Freiheiten, löst
sich immer wieder vom Kernplot und driftet in visuelle Miniaturen
ab, die den Stoff ästhetisch überhöhen. Die Kritik
bemängelte seinerzeit eine gewisse Unverbundenheit dieser Episoden,
doch rückblickend zeigen sie Argentos konsequente Weigerung,
das Opernmaterial naturalistisch zu zähmen. Stattdessen verwandelt
er „Das Phantom der Oper“ in ein Tableau aus Albtraumfragmenten,
melodramatischen Gesten und surrealen Atmosphären. Der Film wird
so zu einer Art barocker Übermalung des Originals – wuchernd,
exzentrisch, manchmal unbeholfen, aber stets voller formaler Energie.
Das Zusammenspiel der Figuren unterstreicht diese Hybridität.
Julian Sands gibt dem Phantom eine überraschend komplexe Präsenz:
mal romantisch, mal besessen, mal abgründig-kindlich.
Asia
Argentos Christine dagegen bleibt bewusst brüchig, stärker
Figur als psychologisch ausgearbeiteter Charakter – ein ästhetischer
Kontrast, der die Beziehung zwischen beiden ungleich, aber erzählerisch
produktiv macht. Die Kritik an ihrer gesanglichen Darstellung wirkt
nachvollziehbar, ist aber cineastisch weniger bedeutsam als die Atmosphäre,
die aus der Reibung der Figuren entsteht. Argento operiert nicht mit
psychologischer Tiefe, sondern mit archetypischen Affekten –
und darin liegt eine bewusste Entscheidung: Die Oper bleibt Oper,
auch im Film, überzeichnet, künstlich, pathetisch. Besonders
markant ist die Position des Films im historischen Moment zwischen
analogem Genrekino und aufkommender digitaler Postproduktion. Die
Effekte – mechanische Creature-Elemente, klassische Make-up-Arbeiten,
aber auch frühe CGI-Komponenten – erzeugen eine ästhetische
Ambivalenz, die heute fast dokumentarischen Wert besitzt. Die berühmt-berüchtigte
Kronleuchter-Sequenz ist ein Beispiel dafür: ambitioniert, aber
sichtbar limitiert durch die Technologie ihrer Zeit. Gerade diese
Reibung zwischen alt und neu macht „Das Phantom der Oper“
filmhistorisch wertvoll. Er steht am Ende des handwerklichen Horrorfilms
der 70er und 80er und am Beginn einer CGI-geprägten Ära
– ein Übergang, der im Werk Argentos besonders deutlich
sichtbar wird. Ennio Morricones Score wirkt für viele überraschend
unaufdringlich, fast minimalistisch. Doch diese Zurückhaltung
verstärkt das Melodramatische, ohne es zu dominieren. Stattdessen
entsteht ein Klangraum, der den Film eher durchdringt als trägt
– ein Unterschied zu Morricones ikonischen Arbeiten, der sich
als bewusste Entscheidung im Kontext der Opernästhetik lesen
lässt. Auch wenn der Film nicht zu Argentos herausragendsten
Werken zählt, besitzt er einen wichtigen Stellenwert in der Genregeschichte
und im Kanon des Regisseurs.
FAZIT
„Das Phantom der Oper“ ist kein makelloses Meisterwerk
– aber ein Film, der durch seine Widersprüche, seine ästhetische
Ungebundenheit und seine radikale Neuinterpretation eines Kulturmythos
eine unverwechselbare Position einnimmt. In seiner Mischung aus Übertreibung,
Bruchstückhaftigkeit und sinnlichem Exzess zeigt er ein Kino,
das sich nicht der Erwartungsökonomie beugt, sondern seinen eigenen
Gesetzmäßigkeiten folgt. Die neue Mediabook-Edition bietet
nun die Möglichkeit, diesen Film endlich in der angemessenen
Tiefe zu würdigen – als faszinierendes, widerspenstiges
und filmhistorisch relevantes Werk eines Regisseurs, der selbst im
Spätwerk nicht aufhörte, Grenzen zu verschieben.
DAS PHANTOM DER OPER
ET:
11.12.25: DVD und digital | FSK 16
R: Dario Argento | D: Julian Sands, Asia Argento, Andrea Di Stefano
Italien 1998 | PLAION PICTURES