Ein radikal
entgrenzter Märchenstoff wird zur feministischen Versuchsanordnung:
„The Death of Snow White“ zerlegt vertraute Mythen von
Schönheit, Macht und Weiblichkeit mit drastischer Körperlichkeit.
Jenseits von Disney-Glättung und Nostalgie legt der Film die
patriarchalen Strukturen offen, die das Märchen seit jeher durchziehen.
Ein provokantes, widersprüchliches Werk, das weniger gefallen
will als herausfordert – und gerade darin seine kulturkritische
Relevanz entfaltet.
Mit
„The Death of Snow White“, der seit dem 04. Dezember für
das Heimkino erhältlich ist, wagt Regisseur Jason Brooks eine
radikale, bewusst transgressive Neuinterpretation eines der kanonischsten
Märchen der westlichen Kulturgeschichte. Was auf den ersten Blick
wie ein provokantes Exploitation-Projekt wirken mag – angereichert
mit Gewalt, Nacktheit und drastischen Bildern – entpuppt sich
bei genauerer Betrachtung als bemerkenswert ambivalentes, stellenweise
sogar produktives Experiment, das sich für eine feministische
Deutung überraschend offen zeigt. Brooks’ Film positioniert
sich explizit jenseits der ästhetischen und moralischen Glättung,
die klassische wie zeitgenössische Mainstream-Adaptionen von
Schneewittchen prägt. Statt Reinheit, Anmut und passiver Weiblichkeit
rückt er Körperlichkeit, Verletzbarkeit und Macht in den
Mittelpunkt. Gerade in dieser bewussten Überzeichnung offenbart
sich ein kritisches Potenzial: Weibliche Körper sind hier nicht
mehr unsichtbar idealisiert, sondern brutal exponiert – als
Schlachtfeld patriarchaler Fantasien, aber auch als Ort widerständiger
Transformation. Die titelgebende Figur Schneewittchen erscheint zunächst
als klassische Märchenheldin, doch ihre narrative Funktion verschiebt
sich zunehmend. Sie ist nicht länger bloß Objekt rivalisierender
Begehrens- und Herrschaftsstrukturen, sondern wird zur Zeugin und
schließlich zur Akteurin eines Systems, das weibliche Existenz
auf Schönheit, Reinheit und Verfügbarkeit reduziert. Der
Film zeigt diese Reduktion nicht affirmativ, sondern überzeichnet
sie ins Groteske: Die Gewalt gegen Frauenkörper wird derart exzessiv
ausgestellt, dass sie nicht mehr konsumierbar, sondern irritierend
wirkt. Besonders deutlich wird dies an der Figur der Bösen Königin.
Ihre obsessiv betriebene Selbstverjüngung, gespeist aus dem Blut
junger Frauen, ist weniger als individuelles Monsterporträt zu
lesen denn als extreme Allegorie eines gesellschaftlichen Schönheitsregimes.
In feministischer Perspektive erscheint sie nicht bloß als Antagonistin
Schneewittchens, sondern als tragische Produktfigur derselben patriarchalen
Ordnung, die Frauen gegeneinander ausspielt und ihren Wert an Jugend
und körperlicher Attraktivität misst.
Dass
ihre Macht ausschließlich über den weiblichen Körper
– den eigenen wie den fremden – vermittelt wird, legt
die strukturelle Gewalt dieser Logik schonungslos offen. Auffällig
ist dabei, dass der Film konsequent auf männliche Erlösungsfantasien
verzichtet. Der Prinz bleibt eine randständige, fast hilflose
Figur, während Solidarität, Schutz und Gemeinschaft in den
Verbannungsräumen jenseits des Palastes entstehen. Die Zuflucht
bei den Ausgestoßenen – hier bewusst als marginalisierte
Gemeinschaft inszeniert – lässt sich als Gegenentwurf zur
höfischen Machtstruktur lesen: ein Raum, in dem Weiblichkeit
nicht ornamental, sondern existenziell verhandelt wird. Formal bewegt
sich „The Death of Snow White“ sichtbar an den Grenzen
seiner Produktionsmittel, doch gerade diese Unfertigkeit verleiht
dem Film eine rohe Direktheit. Die Ästhetik schwankt zwischen
Fantasy-Pastiche, Horror-Exzess und Theaterhaftigkeit, was seine feministischen
Implikationen nicht schwächt, sondern verstärkt: Der Film
verweigert sich der Illusion perfekter Geschlossenheit – so
wie er auch die Mär vom harmonischen, moralisch eindeutigen Märchen
zerlegt. Aus feministischer Sicht ist besonders bemerkenswert, dass
Sexualisierung hier nicht verführerisch, sondern unerquicklich
inszeniert wird. Nacktheit erscheint nicht als Versprechen, sondern
als Zumutung; Gewalt nicht als Spektakel, sondern als Überforderung.
Damit unterläuft der Film jene Blickregime, die er zugleich zitiert.
Die Überzeichnung kippt in Kritik, das Exzessive in Reflexion.
„The Death of Snow White“ ist kein makelloses Werk, aber
ein interessantes. Seine Stärke liegt nicht in formaler Eleganz
oder narrativer Präzision, sondern in seiner Bereitschaft, das
Märchen als kulturelles Machtinstrument offenzulegen. Indem der
Film die vertraute Geschichte in ein Reich aus Blut, Körpern
und Schreien überführt, zwingt er zur Auseinandersetzung
mit den Geschlechterbildern, die diesem Mythos seit Jahrhunderten
eingeschrieben sind. So bleibt „The
Death of Snow White“ weniger als definitive Neuerzählung
denn als verstörende Intervention in einen scheinbar unschuldigen
Kanon in Erinnerung. Ein Film, der provoziert, irritiert und gerade
dadurch sichtbar macht, wie politisch selbst – oder gerade –
die ältesten Geschichten sind.
THE DEATH OF SNOW WHITE
ET:
04.12.25: DVD, Blu-ray und digital | FSK 18
R: Jason Brooks | D: Sanae Loutsis, Chelsea Edmundson
USA 2025 | Busch Media Group