„Wilma
will mehr“ erzählt leise, aber beharrlich von weiblicher
Selbstermächtigung nach dem historischen Bruch der Wiedervereinigung.
Zwischen Arbeitsmigration, ostdeutscher Erfahrung und feministischer
Praxis entfaltet sich ein Film von großer gesellschaftlicher
Sensibilität. Ein präzises Charakterporträt, das am
Rand der großen Geschichte jene Stimmen hörbar macht, die
allzu oft übergangen wurden.
Mit
„Wilma will mehr“ legt Maren-Kea Freese einen Film vor,
der sich der feministischen Perspektive nicht über programmatische
Parolen nähert, sondern über gelebte Biografien, soziale
Realität und eine Protagonistin, deren Emanzipation weniger behauptet
als praktiziert wird. Seit dem 11. Dezember für das Heimkino
erhältlich, erweist sich der Film als stille, aber nachhaltige
Intervention in den deutschen Erinnerungskanon nach der Wiedervereinigung
– und als bemerkenswertes Beispiel eines Feminismus der Erfahrung.
Im Zentrum steht Wilma, eine technisch hochqualifizierte Frau aus
der Lausitz, deren Lebensleistung nach dem Mauerfall schlagartig entwertet
wird. Der Film macht diesen Bruch nicht nur ökonomisch, sondern
zutiefst geschlechtsspezifisch erfahrbar. Wilmas Kündigung ist
kein individuelles Scheitern, sondern Ausdruck eines Systems, das
weibliche Fachkompetenz – insbesondere aus der DDR – im
vereinten Deutschland marginalisiert. Feministisch gelesen entlarvt
der Film hier die strukturelle Unsichtbarmachung von Frauenarbeit,
die sich nicht in akademischen oder symbolischen Räumen vollzieht,
sondern in Werkstätten, Hinterzimmern und prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Auch Wilmas private Krise folgt keiner melodramatischen Dramaturgie,
sondern verweist auf tradierte Geschlechterasymmetrien. Ihr Ehemann
erscheint nicht als klassischer Antagonist, sondern als Symptom einer
männlichen Überforderung, die auf Kosten weiblicher Stabilitätsarbeit
geht. Dass Wilma diesen Zustand nicht länger kompensiert, sondern
verlässt, markiert den ersten emanzipatorischen Akt des Films.
Feministische Selbstbestimmung zeigt sich hier nicht als laute Revolte,
sondern als konsequente Handlung. Der Ortswechsel nach Wien öffnet
den Film für eine transnationale feministische Lesart. Wilma
wird zur Arbeitsmigrantin, zur Fremden, zur einzigen Frau unter männlichen
Tagelöhnern. Ihre technische Kompetenz bleibt unbestritten, doch
sie muss sich in einer Umgebung behaupten, die ihr Geschlecht permanent
markiert. Der Film beobachtet diese Situationen mit großer Zurückhaltung
und vermeidet Opferinszenierungen. Wilma ist weder gebrochen noch
naiv; sie navigiert die neuen Machtverhältnisse mit Pragmatismus,
Humor und einer bemerkenswerten inneren Autonomie.
Besonders
interessant ist die Konfrontation unterschiedlicher feministischer
Selbstverständnisse. Die westlich-akademisch geprägte Vermieterin
verkörpert einen theoretischen Feminismus, der sich über
Begriffe, Diskurse und Konzepte definiert. Wilma hingegen steht für
einen ostdeutschen Erfahrungsfeminismus, der ohne Etikettierung auskommt.
Ihre Emanzipation ist nicht diskursiv, sondern funktional: Sie arbeitet,
organisiert, hilft, repariert – und behauptet sich. Der Film
stellt diese beiden Modelle nicht gegeneinander aus, sondern lässt
sie produktiv aufeinandertreffen. In feministischer Hinsicht überzeugt
„Wilma will mehr“ durch seine Inszenierung des Körpers.
Wilmas Körper ist kein Objekt des Begehrens, sondern ein Träger
von Arbeit, Geschichte und Transformation. Besonders in den Tanzmomenten
wird sichtbar, wie sich innere Erstarrung löst und Selbstwahrnehmung
neu ordnet. Diese Szenen sind keine ästhetische Verzierung, sondern
filmische Verdichtung eines zentralen feministischen Gedankens: dass
Selbstbestimmung auch körperlich erfahren wird. Fritzi Haberlandts
Darstellung ist dabei von zentraler Bedeutung. Sie verkörpert
Wilma ohne Sentimentalität, aber mit großer Empathie. Ihre
spröde Präsenz widersetzt sich gängigen weiblichen
Rollenbildern des deutschen Kinos und etabliert eine Figur, deren
Stärke aus Genauigkeit, Beobachtung und innerer Klarheit erwächst.
Feministisch betrachtet ist dies eine bewusste Abkehr von Narrativen
der Opferung oder Überhöhung. Dass dem Film eine klassische
dramaturgische Zuspitzung fehlt, lässt sich durchaus positiv
lesen. „Wilma will mehr“ verweigert den dramatischen Ausnahmezustand
zugunsten eines Alltagsfeminismus, der gerade in seiner Unaufgeregtheit
überzeugt. Die politische Dimension liegt nicht im Konflikt,
sondern im Bestehen, nicht im Triumph, sondern im Weitergehen. So
ist „Wilma will mehr“ ein leiser, aber wichtiger Film.
Er gibt jenen Frauen Raum, deren Lebensgeschichten nach 1990 oft nur
als Randnotiz verhandelt wurden, und formuliert eine feministische
Perspektive, die aus Arbeit, Erfahrung und Solidarität erwächst.
In seiner Genauigkeit und seinem Respekt vor der Figur liegt seine
große Stärke – und seine nachhaltige gesellschaftliche
Relevanz.
WILMA WILL MEHR
ET:
11.12.25: DVD und VoD | FSK 0
R: Maren-Kea Freese | D: Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber
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