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DVD & BLU-RAY | 03.09.2025

ELECTROPHILIA

Während eines Sturms wird die Tierärztin Ada auf einer Weide vom Blitz getroffen. Als sie nach Wochen aus dem Koma erwacht, ist ihr Körper hypersensibel gegenüber Elektrizität. In einer Selbsthilfegruppe des Arztes Juan findet sie Halt und merkt bald, dass der Kontakt mit Strom sexuelle Erregung in ihr auslöst. Fortan wandelt sie auf einem schmalen Grat zwischen Lust und Lebensgefahr.

von Franziska Keil


© Busch Media Group

Mit der Heimkino-Veröffentlichung am 4. September 2025 betritt Electrophilia der argentinischen Regisseurin Lucía Puenzo den öffentlichen Diskurs – ein Film, der sich nicht damit begnügt, erotische Spannung und phantastische Elemente zu verschränken, sondern einen radikal feministischen Blick auf Körperlichkeit, Begehren und Autonomie wagt. Puenzo, die bereits mit „Dive“ internationale Aufmerksamkeit erlangte, setzt erneut auf die erzählerische Kraft einer Figur, deren Existenz von gesellschaftlichen Zuschreibungen und biologischen Grenzerfahrungen gleichermaßen geprägt wird. Im Zentrum steht Ada, eine Tierärztin, die nach einem Blitzschlag aus dem Koma erwacht und fortan auf elektrische Ströme mit erregungsähnlichen Empfindungen reagiert. Der Körper, der im westlichen Kino so oft Objekt des Begehrens oder der Kontrolle ist, wird hier zum Subjekt einer neuen Erfahrung – zum Resonanzraum für Lust und Schmerz, für Gefahr und Selbstermächtigung. Puenzo deutet diese Verwandlung nicht als bloßes Spektakel, sondern als Metapher für die weibliche Erfahrung, sich von äußeren Zuschreibungen zu lösen und den eigenen Körper zurückzuerobern. Die Stärke des Films liegt darin, dass er weibliche Lust nicht pathologisiert, sondern in ihrer Ambivalenz ernst nimmt. Adas Suche nach Antworten führt sie in eine Selbsthilfegruppe – ein Raum, der nicht von Stigmatisierung, sondern von kollektiver Anerkennung geprägt ist. Feministisch gelesen, verweist dies auf die politische Dimension weiblicher Solidarität: Die Erfahrung, nicht allein zu sein, wird zum Gegenentwurf zu einer Gesellschaft, die weibliche Körper allzu oft normiert und diszipliniert.


© Busch Media Group

Die erotische Dimension von „Electrophilia“ ist nicht voyeuristisch, sondern introspektiv. Es geht weniger um den Blick des Anderen als um die Innenschau einer Frau, die ihre Lust inmitten von Gefahr und Fremdheit neu definiert. Damit unterscheidet sich der Film fundamental von jenen erotischen Dramen, die weibliche Sexualität lediglich als Projektion männlicher Fantasien inszenieren. Puenzo verknüpft naturalistische Szenen – das nüchterne Setting der Tierarztpraxis, die weiten Landschaften – mit hoch aufgeladenen Momenten sensorischer Intensität. Lichtblitze, Stromgeräusche, visuelle Überlagerungen: All dies formt eine Bildsprache, die Adas Empfindungen erfahrbar macht. Besonders eindrucksvoll ist dabei die Balance zwischen sinnlicher Überwältigung und erzählerischer Präzision. Die ästhetische Radikalität ist nie Selbstzweck, sondern stets Ausdruck einer inneren Transformation. Mariana Di Girolamo verleiht Ada eine faszinierende Präsenz, die zugleich verletzlich und unerschütterlich wirkt. Ihr Spiel lotet die Spannweite zwischen Scham, Verwirrung und selbstbewusster Lust aus, ohne jemals in Klischees zu verfallen. In der Beziehung zu Juan entstehen Momente von Nähe, die nicht durch klassische Romantik, sondern durch die Anerkennung von Differenz geprägt sind – ein subtiler Kommentar zur Möglichkeit, Intimität jenseits normativer Erwartungen zu denken. „Electrophilia“ ist kein einfacher Film, und er will es auch nicht sein. Er konfrontiert das Publikum mit der Zumutung, Lust als riskantes Terrain zu akzeptieren, in dem Gefahr und Selbstermächtigung untrennbar verschränkt sind. Diese Ambivalenz ist es, die den Film so relevant macht: Er öffnet einen Diskursraum, in dem Fragen nach weiblicher Autonomie, nach der gesellschaftlichen Deutungshoheit über Körper und nach der politischen Dimension des Begehrens neu verhandelt werden.


ELECTROPHILIA

ET: 04.09.25: DVD und Blu-ray | FSK 16
R: Lucia Puenzo | D: Mariana Di Girólamo, Germán Palacios, Guillermo Pfening
Argentinien 2023 | Busch Media Group


 


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