Während
eines Sturms wird die Tierärztin Ada auf einer Weide vom Blitz
getroffen. Als sie nach Wochen aus dem Koma erwacht, ist ihr Körper
hypersensibel gegenüber Elektrizität. In einer Selbsthilfegruppe
des Arztes Juan findet sie Halt und merkt bald, dass der Kontakt mit
Strom sexuelle Erregung in ihr auslöst. Fortan wandelt sie auf
einem schmalen Grat zwischen Lust und Lebensgefahr.
Mit
der Heimkino-Veröffentlichung am 4. September 2025 betritt Electrophilia
der argentinischen Regisseurin Lucía Puenzo den öffentlichen
Diskurs – ein Film, der sich nicht damit begnügt, erotische
Spannung und phantastische Elemente zu verschränken, sondern
einen radikal feministischen Blick auf Körperlichkeit, Begehren
und Autonomie wagt. Puenzo, die bereits mit „Dive“ internationale
Aufmerksamkeit erlangte, setzt erneut auf die erzählerische Kraft
einer Figur, deren Existenz von gesellschaftlichen Zuschreibungen
und biologischen Grenzerfahrungen gleichermaßen geprägt
wird. Im Zentrum steht Ada, eine Tierärztin, die nach einem Blitzschlag
aus dem Koma erwacht und fortan auf elektrische Ströme mit erregungsähnlichen
Empfindungen reagiert. Der Körper, der im westlichen Kino so
oft Objekt des Begehrens oder der Kontrolle ist, wird hier zum Subjekt
einer neuen Erfahrung – zum Resonanzraum für Lust und Schmerz,
für Gefahr und Selbstermächtigung. Puenzo deutet diese Verwandlung
nicht als bloßes Spektakel, sondern als Metapher für die
weibliche Erfahrung, sich von äußeren Zuschreibungen zu
lösen und den eigenen Körper zurückzuerobern. Die Stärke
des Films liegt darin, dass er weibliche Lust nicht pathologisiert,
sondern in ihrer Ambivalenz ernst nimmt. Adas Suche nach Antworten
führt sie in eine Selbsthilfegruppe – ein Raum, der nicht
von Stigmatisierung, sondern von kollektiver Anerkennung geprägt
ist. Feministisch gelesen, verweist dies auf die politische Dimension
weiblicher Solidarität: Die Erfahrung, nicht allein zu sein,
wird zum Gegenentwurf zu einer Gesellschaft, die weibliche Körper
allzu oft normiert und diszipliniert.
Die
erotische Dimension von „Electrophilia“ ist nicht voyeuristisch,
sondern introspektiv. Es geht weniger um den Blick des Anderen als
um die Innenschau einer Frau, die ihre Lust inmitten von Gefahr und
Fremdheit neu definiert. Damit unterscheidet sich der Film fundamental
von jenen erotischen Dramen, die weibliche Sexualität lediglich
als Projektion männlicher Fantasien inszenieren. Puenzo verknüpft
naturalistische Szenen – das nüchterne Setting der Tierarztpraxis,
die weiten Landschaften – mit hoch aufgeladenen Momenten sensorischer
Intensität. Lichtblitze, Stromgeräusche,
visuelle Überlagerungen: All dies formt eine Bildsprache, die
Adas Empfindungen erfahrbar macht. Besonders eindrucksvoll ist dabei
die Balance zwischen sinnlicher Überwältigung und erzählerischer
Präzision. Die ästhetische Radikalität ist nie Selbstzweck,
sondern stets Ausdruck einer inneren Transformation. Mariana Di Girolamo
verleiht Ada eine faszinierende Präsenz, die zugleich verletzlich
und unerschütterlich wirkt. Ihr Spiel lotet die Spannweite zwischen
Scham, Verwirrung und selbstbewusster Lust aus, ohne jemals in Klischees
zu verfallen. In der Beziehung zu Juan entstehen Momente von Nähe,
die nicht durch klassische Romantik, sondern durch die Anerkennung
von Differenz geprägt sind – ein subtiler Kommentar zur
Möglichkeit, Intimität jenseits normativer Erwartungen zu
denken. „Electrophilia“ ist kein einfacher Film, und er
will es auch nicht sein. Er konfrontiert das Publikum mit der Zumutung,
Lust als riskantes Terrain zu akzeptieren, in dem Gefahr und Selbstermächtigung
untrennbar verschränkt sind. Diese Ambivalenz ist es, die den
Film so relevant macht: Er öffnet einen Diskursraum, in dem Fragen
nach weiblicher Autonomie, nach der gesellschaftlichen Deutungshoheit
über Körper und nach der politischen Dimension des Begehrens
neu verhandelt werden.
ELECTROPHILIA
ET:
04.09.25: DVD und Blu-ray | FSK 16
R: Lucia Puenzo | D: Mariana Di Girólamo, Germán
Palacios, Guillermo Pfening
Argentinien 2023 | Busch Media Group