Abel
Ferraras „King of New York“ kehrt zum 35. Jubiläum
in prächtiger 4K-Edition zurück – als düstere
Großstadtoper zwischen Macht und Moral. Christopher Walken brilliert
als Gangster-Messias in einem Film, der das Genre neu definierte.
Ein kompromissloses Meisterwerk über Schuld, Erlösung und
den Glanz der Verdammten.
Wenn
Abel Ferraras „King of New York“ heute, 35 Jahre nach
seiner Uraufführung, als limitiertes 4K UHD Mediabook für
das Heimkino neu aufgelegt wird, ist das nicht nur eine Hommage an
einen stilprägenden Film, sondern an ein Kino, das sich seiner
moralischen Ambivalenz nie schämte. Dieses Werk aus dem Jahr
1990 markiert einen entscheidenden Moment in der filmischen Darstellung
des amerikanischen Gangsters – eine Zeit, in der die Mythen
des Verbrechens sich zu entkleiden begannen, um die Leere darunter
sichtbar zu machen. Ferraras Film, der in Cannes einst ausgebuht und
von Teilen der Kritik als exzessiv verrufen wurde, gilt heute als
eine Art Scharnierpunkt zwischen den klassischen Gangsterfilmen Scorseses
und De Palmas und der urbanen Verrohung eines Kinos, das die 1990er-Jahre
prägen sollte. In „King of New York“ verdichtet sich
das Verbrecherdrama zu einer fiebrigen Großstadtvision –
poetisch und brutal, überhöht und real zugleich, getragen
von einer fiebrigen Intensität, die nur Ferrara entfesseln konnte.
Im
Mittelpunkt steht Frank White, gespielt von einem hypnotisch-kühlen
Christopher Walken, der nach Jahren im Gefängnis nach Manhattan
zurückkehrt, um „seine“ Stadt zurückzuerobern.
Doch sein Ziel ist nicht bloß Macht oder Reichtum – er
will die Korrumpierten mit ihren eigenen Waffen schlagen, ein urbaner
Robin Hood im Armani-Anzug, der die Profite aus dem Drogenhandel nutzt,
um ein Krankenhaus für die Armen zu finanzieren. Ferrara interessiert
sich dabei weniger für die Logik des Verbrechens als für
die Spiritualität des Bösen. Frank White ist kein Gangster
im klassischen Sinne, sondern eine Art moderner Messias, der sich
zwischen Macht und Erlösung verzehrt. Diese sakrale Dimension
zieht sich durch das gesamte Werk Ferraras, vom frühen „Ms.
45“ über „Bad Lieutenant“ bis hin zu „The
Addiction“. In „King of New York“ erreicht sie eine
fast opernhafte Form: Nacht für Nacht durchquert Walkens Figur
das neongetränkte Manhattan wie ein Wiedergänger, dessen
Gesicht von innerer Zerrissenheit gezeichnet ist. In Walkens Blick
liegt weniger Kalkül als Erlösungssucht – die Idee,
durch Gewalt eine Ordnung wiederherzustellen, die die Gesellschaft
selbst längst verloren hat.
Die
Kamera von Bozidar Nikolic übersetzt diesen moralischen Zwiespalt
in eine visuelle Sprache von überwältigender Wucht. Das
New York des Films ist ein Ort, der sich zwischen Traum und Alptraum
entfaltet: Tunnel aus Licht und Schatten, Regen, Stahl, Glas, alles
in flirrendem Blau und gebrochenem Gold. Kaum ein anderer Film der
späten 1980er und frühen 1990er Jahre hat die Stadt so als
existentiellen Schauplatz begriffen – nicht als Metropole, sondern
als Spiegel einer verdorbenen Seele. Auch musikalisch brennt sich
Ferraras Werk ins Gedächtnis. Joe Delias Jazz- und Hip-Hop-inspirierte
Kompositionen verleihen dem Film eine fiebrige Rhythmik, die seine
Zeitgenossen weit hinter sich lässt. In einer Ära, in der
der Mainstreamfilm die Gewaltästhetik zunehmend zur Pose erhob,
zwingt Ferrara sie zurück in den Bereich des Spirituellen. „King
of New York“ ist in diesem Sinne kein Film über Drogen,
Macht und Polizei – sondern über Sünde, Schuld und
die Sehnsucht nach Vergebung.
Besonders
bemerkenswert ist, wie Ferrara und Walken es schaffen, das Gangster-Genre
zu dekonstruieren, ohne es zu verleugnen. Der Film erkennt die Faszination
seiner eigenen Oberfläche – die coolen Anzüge, die
Luxuslimousinen, das magnetische Charisma seiner Hauptfigur –
und legt gleichzeitig ihre innere Fäulnis frei. Walkens Frank
White ist ein Mann, der glaubt, er könne das System von innen
heilen, nur um zu erkennen, dass es ihn verschlingt. In der zweiten
Hälfte des Films wird die moralische Front zunehmend porös.
Die Polizisten, die White jagen – verkörpert von David
Caruso, Wesley Snipes und Victor Argo – verlieren zunehmend
ihre Integrität, während Whites Vision groteske Formen annimmt.
Ferrara inszeniert diese Eskalation nicht als klassische Actiondramaturgie,
sondern als griechische Tragödie: eine Spirale aus Macht, Gewalt
und religiöser Hybris.
Filmhistorisch
ist „King of New York“ von unschätzbarer Bedeutung.
Er steht am Übergang vom Neon-Noir der 1980er Jahre zu jener
postmodernen Gangster-Ästhetik, die später Filme wie „Pulp
Fiction“, „Heat“ oder „Training Day“
prägen sollte. Seine moralische Komplexität, die kompromisslose
Körperlichkeit seiner Gewalt und seine spirituelle Unterströmung
machen ihn zum missing link zwischen Scorsese und Tarantino –
zwischen metaphysischer Schwere und popkulturellem Zynismus. Dass
der Film heute, zum 35. Jubiläum, in restaurierter 4K-Fassung
erscheint, ist mehr als ein nostalgischer Akt. Es ist eine Wiederentdeckung.
Die gestochen scharfen Bilder lassen Ferraras Vision in ihrer ganzen
Dunkelheit und Schönheit neu erstrahlen – ein Beweis dafür,
dass großes Kino nicht nur in Perfektion, sondern im Widerspruch
entsteht.
„King
of New York“ bleibt ein Monument des modernen Gangsterfilms
– ein Werk, das Macht als spirituelle Krankheit begreift und
doch Mitgefühl für die Verdammten aufbringt. Ferraras Film
ist kein Abgesang auf den Verbrecherkönig, sondern ein Requiem
für eine Stadt, die sich selbst verloren hat.
KING OF NEW YORK
ET:
17.10.25: Limitiertes 4K UHD Mediabook | FSK 16
R: Abel Ferrara | D: Christopher Walken, David Caruso, Laurence
Fishburne
Großbritannien, Italien, USA 1990 | Pandastorm Pictures
Extras:
Audiokommentare von Abel Ferrara und Patrick Lohmeier (Bahnhofskino),
Interviews mit Abel Ferrara,
Christopher Walken und Paul Calderon, Dokumentarfilm über
Abel Ferrara, Video-Essay, Trailersammlung