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DVD & BLU-RAY | 16.10.2025

Der Glanz der Verdammten
KING OF NEW YORK

Abel Ferraras „King of New York“ kehrt zum 35. Jubiläum in prächtiger 4K-Edition zurück – als düstere Großstadtoper zwischen Macht und Moral. Christopher Walken brilliert als Gangster-Messias in einem Film, der das Genre neu definierte. Ein kompromissloses Meisterwerk über Schuld, Erlösung und den Glanz der Verdammten.

von Franziska Keil


© Pandastorm Pictures

Wenn Abel Ferraras „King of New York“ heute, 35 Jahre nach seiner Uraufführung, als limitiertes 4K UHD Mediabook für das Heimkino neu aufgelegt wird, ist das nicht nur eine Hommage an einen stilprägenden Film, sondern an ein Kino, das sich seiner moralischen Ambivalenz nie schämte. Dieses Werk aus dem Jahr 1990 markiert einen entscheidenden Moment in der filmischen Darstellung des amerikanischen Gangsters – eine Zeit, in der die Mythen des Verbrechens sich zu entkleiden begannen, um die Leere darunter sichtbar zu machen. Ferraras Film, der in Cannes einst ausgebuht und von Teilen der Kritik als exzessiv verrufen wurde, gilt heute als eine Art Scharnierpunkt zwischen den klassischen Gangsterfilmen Scorseses und De Palmas und der urbanen Verrohung eines Kinos, das die 1990er-Jahre prägen sollte. In „King of New York“ verdichtet sich das Verbrecherdrama zu einer fiebrigen Großstadtvision – poetisch und brutal, überhöht und real zugleich, getragen von einer fiebrigen Intensität, die nur Ferrara entfesseln konnte.

Im Mittelpunkt steht Frank White, gespielt von einem hypnotisch-kühlen Christopher Walken, der nach Jahren im Gefängnis nach Manhattan zurückkehrt, um „seine“ Stadt zurückzuerobern. Doch sein Ziel ist nicht bloß Macht oder Reichtum – er will die Korrumpierten mit ihren eigenen Waffen schlagen, ein urbaner Robin Hood im Armani-Anzug, der die Profite aus dem Drogenhandel nutzt, um ein Krankenhaus für die Armen zu finanzieren. Ferrara interessiert sich dabei weniger für die Logik des Verbrechens als für die Spiritualität des Bösen. Frank White ist kein Gangster im klassischen Sinne, sondern eine Art moderner Messias, der sich zwischen Macht und Erlösung verzehrt. Diese sakrale Dimension zieht sich durch das gesamte Werk Ferraras, vom frühen „Ms. 45“ über „Bad Lieutenant“ bis hin zu „The Addiction“. In „King of New York“ erreicht sie eine fast opernhafte Form: Nacht für Nacht durchquert Walkens Figur das neongetränkte Manhattan wie ein Wiedergänger, dessen Gesicht von innerer Zerrissenheit gezeichnet ist. In Walkens Blick liegt weniger Kalkül als Erlösungssucht – die Idee, durch Gewalt eine Ordnung wiederherzustellen, die die Gesellschaft selbst längst verloren hat.

Die Kamera von Bozidar Nikolic übersetzt diesen moralischen Zwiespalt in eine visuelle Sprache von überwältigender Wucht. Das New York des Films ist ein Ort, der sich zwischen Traum und Alptraum entfaltet: Tunnel aus Licht und Schatten, Regen, Stahl, Glas, alles in flirrendem Blau und gebrochenem Gold. Kaum ein anderer Film der späten 1980er und frühen 1990er Jahre hat die Stadt so als existentiellen Schauplatz begriffen – nicht als Metropole, sondern als Spiegel einer verdorbenen Seele. Auch musikalisch brennt sich Ferraras Werk ins Gedächtnis. Joe Delias Jazz- und Hip-Hop-inspirierte Kompositionen verleihen dem Film eine fiebrige Rhythmik, die seine Zeitgenossen weit hinter sich lässt. In einer Ära, in der der Mainstreamfilm die Gewaltästhetik zunehmend zur Pose erhob, zwingt Ferrara sie zurück in den Bereich des Spirituellen. „King of New York“ ist in diesem Sinne kein Film über Drogen, Macht und Polizei – sondern über Sünde, Schuld und die Sehnsucht nach Vergebung.


© Pandastorm Pictures

Besonders bemerkenswert ist, wie Ferrara und Walken es schaffen, das Gangster-Genre zu dekonstruieren, ohne es zu verleugnen. Der Film erkennt die Faszination seiner eigenen Oberfläche – die coolen Anzüge, die Luxuslimousinen, das magnetische Charisma seiner Hauptfigur – und legt gleichzeitig ihre innere Fäulnis frei. Walkens Frank White ist ein Mann, der glaubt, er könne das System von innen heilen, nur um zu erkennen, dass es ihn verschlingt. In der zweiten Hälfte des Films wird die moralische Front zunehmend porös. Die Polizisten, die White jagen – verkörpert von David Caruso, Wesley Snipes und Victor Argo – verlieren zunehmend ihre Integrität, während Whites Vision groteske Formen annimmt. Ferrara inszeniert diese Eskalation nicht als klassische Actiondramaturgie, sondern als griechische Tragödie: eine Spirale aus Macht, Gewalt und religiöser Hybris.

Filmhistorisch ist „King of New York“ von unschätzbarer Bedeutung. Er steht am Übergang vom Neon-Noir der 1980er Jahre zu jener postmodernen Gangster-Ästhetik, die später Filme wie „Pulp Fiction“, „Heat“ oder „Training Day“ prägen sollte. Seine moralische Komplexität, die kompromisslose Körperlichkeit seiner Gewalt und seine spirituelle Unterströmung machen ihn zum missing link zwischen Scorsese und Tarantino – zwischen metaphysischer Schwere und popkulturellem Zynismus. Dass der Film heute, zum 35. Jubiläum, in restaurierter 4K-Fassung erscheint, ist mehr als ein nostalgischer Akt. Es ist eine Wiederentdeckung. Die gestochen scharfen Bilder lassen Ferraras Vision in ihrer ganzen Dunkelheit und Schönheit neu erstrahlen – ein Beweis dafür, dass großes Kino nicht nur in Perfektion, sondern im Widerspruch entsteht.

„King of New York“ bleibt ein Monument des modernen Gangsterfilms – ein Werk, das Macht als spirituelle Krankheit begreift und doch Mitgefühl für die Verdammten aufbringt. Ferraras Film ist kein Abgesang auf den Verbrecherkönig, sondern ein Requiem für eine Stadt, die sich selbst verloren hat.


KING OF NEW YORK

ET: 17.10.25: Limitiertes 4K UHD Mediabook | FSK 16
R: Abel Ferrara | D: Christopher Walken, David Caruso, Laurence Fishburne
Großbritannien, Italien, USA 1990 | Pandastorm Pictures

Extras: Audiokommentare von Abel Ferrara und Patrick Lohmeier (Bahnhofskino), Interviews mit Abel Ferrara,
Christopher Walken und Paul Calderon, Dokumentarfilm über Abel Ferrara, Video-Essay, Trailersammlung


 


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