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DVD & BLU-RAY | 26.09.2025

KLEINE DINGE WIE DIESE
Ein stiller Aufschrei in sanften Tönen

Ein stiller Film über moralische Zivilcourage: „Kleine Dinge wie diese“ macht das Unsichtbare sichtbar – und verwandelt alltägliches Schweigen in ein leises, zutiefst bewegendes Bekenntnis zur Menschlichkeit. Cillian Murphy brilliert in einem Werk von seltener emotionaler Klarheit.

von Franziska Keil


© PLAION PICTURES

Es gibt Filme, die nicht durch spektakuläre Bilder oder aufdringliche Dramatik wirken, sondern durch das, was sie unausgesprochen lassen. „Kleine Dinge wie diese“ – die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Claire Keegan – gehört zu dieser seltenen Gattung. Der Film, der nun für das Heimkino erschienen ist, entfaltet seine Kraft in der Stille, in den feinen Gesten und in der unerschütterlichen Menschlichkeit seines Protagonisten. Regisseur Tim Mielants hat aus Keegans konzentrierter Prosa ein filmisches Kammerspiel gemacht, das zugleich persönliche Schuld und gesellschaftliche Verdrängung beleuchtet – und dabei zu einem der eindringlichsten moralischen Dramen der letzten Jahre wird.

Im Zentrum steht der Kohlenhändler Bill Furlong, gespielt von Cillian Murphy, dessen zurückhaltendes Spiel den Ton des gesamten Films prägt. Furlong lebt mit seiner Frau und den Töchtern in einer irischen Kleinstadt Anfang der 1980er Jahre. Weihnachten steht bevor, die Häuser sind geschmückt, der Alltag scheint in beschaulicher Routine zu verlaufen. Doch unter der Oberfläche dieses Idylls brodelt etwas Dunkles. Beim Ausliefern von Kohle an ein nahegelegenes Kloster, das von Nonnen geführt wird, stößt Furlong auf ein schreckliches Geheimnis: junge Frauen, die dort unter Zwang festgehalten und zur Arbeit gezwungen werden – Opfer der berüchtigten Magdalenenheime, jener realen Institutionen, in denen unverheiratete Mütter und „gefallene Mädchen“ in Irland jahrzehntelang interniert und misshandelt wurden.

Die Entdeckung bringt Furlong an die Grenze seiner eigenen moralischen Komfortzone. Er, selbst aus bescheidenen Verhältnissen und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen, erkennt in den Schicksalen der jungen Frauen sein eigenes Erbe wieder – und damit auch die Verstrickung einer ganzen Gesellschaft in ein System des Schweigens. Der Film entwickelt aus diesem inneren Konflikt keine melodramatische Erlösungsgeschichte, sondern eine präzise psychologische Studie über Zivilcourage und Verantwortung.

Tim Mielants und Kamerafrau Frank van den Eeden nutzen das visuelle Vokabular des Films mit großer Sensibilität. Die Bilder sind von einem gedämpften Grau-Blau-Ton geprägt, der das winterliche Irland nicht nur als Ort der Kälte, sondern auch der moralischen Erstarrung erscheinen lässt. Licht bricht selten, und wenn, dann in Form kleiner, fast unscheinbarer Gesten – etwa wenn Furlong einer Nonne kurz in die Augen blickt oder die Hand einer jungen Frau berührt, die in der Dunkelheit kauert. Solche Momente sind das filmische Äquivalent zu Keegans präziser Sprache: Sie öffnen Räume, ohne sie auszuleuchten.


© PLAION PICTURES

Murphy, der den Film auch produzierte, spielt Furlong mit einer zurückgenommenen Intensität, die zwischen äußerer Ruhe und innerem Aufruhr pendelt. Sein Gesicht, gezeichnet von Müdigkeit und Mitgefühl, ist ein Spiegel der kollektiven moralischen Lähmung, die das Irland jener Jahre prägte. Emily Watson als gestrenge Oberin des Klosters steht ihm mit beeindruckender Kälte gegenüber: Ihre Nonne ist keine Karikatur des Bösen, sondern die fleischgewordene Selbstgerechtigkeit einer Kirche, die sich im Besitz der Wahrheit wähnt.

Das Drehbuch – sensibel adaptiert von Enda Walsh – bleibt der literarischen Vorlage in ihrer Konzentration und ihrem moralischen Ernst treu. Es erlaubt keine sentimentalen Abkürzungen, keine überzeichnete Empörung. Stattdessen führt es uns schrittweise in die Mechanismen einer Gesellschaft, die Schuld durch Routine kaschiert. In diesem Sinn ist „Kleine Dinge wie diese“ nicht nur ein Film über individuelle Courage, sondern auch über strukturelle Blindheit: das Schweigen, das in kleinen Städten, in Familien und hinter Klostermauern gleichermaßen herrscht.

Formal knüpft der Film an die Tradition des britisch-irischen Sozialrealismus an, doch er verleiht ihr eine poetische Dimension, die an Terence Davies oder Ken Loach in seinen stillsten Momenten erinnert. Mielants verzichtet auf das Spektakel der Anklage und findet seine Wahrhaftigkeit in der Zartheit. Jede Bewegung, jeder Blick wird bedeutsam, weil er ein moralisches Gewicht trägt. Wenn Furlong am Ende eine Entscheidung trifft, die sein Leben verändert, geschieht das leise – aber in dieser Stille liegt der eigentliche Aufschrei.

„Kleine Dinge wie diese“ ist ein Film, der sich nicht aufdrängt, sondern einnistet: in Gedanken, in Schuldgefühlen, in Fragen, die man nicht mehr loswird. Er erzählt von der Kraft des Einzelnen, dem Unrecht nicht länger zuzusehen – und davon, wie Mut in seiner stillsten Form am lautesten klingen kann.


KRIEG DER WELTEN

ET: 25.09.25: EST / TVoD / DVD / Blu-ray | FSK 12
R: Tim Mielants | D: Cillian Murphy, Eileen Walsh, Emily Watson
Irland 2024 | PLAION PICTURES


 


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