FILME | SERIEN | MUSIK | BÜCHER | PANORAMA | INTERVIEWS


DVD & BLU-RAY | 07.08.2025

Oslo-Stories: TRÄUME

Johanne verliebt sich zum ersten Mal, und zwar in ihre Lehrerin. Ihre intensiven Fantasien und Gefühle hält sie schriftlich fest, um sie nicht zu vergessen. Als ihre Mutter und ihre Großmutter die Texte lesen, sind sie zunächst schockiert über den intimen Inhalt, erkennen aber bald das literarische Potenzial. Während sie darüber debattieren, ob sie es veröffentlichen sollen, werden alle drei Frauen mit ihren eigenen unerfüllten Träumen und Sehnsüchten konfrontiert.

von Franziska Keil


© Alamode Film

In einem filmischen Raum zwischen Innenwelt und Imagination entfaltet Dag Johan Haugerud mit „Oslo-Stories: TRÄUME“ das dritte Kapitel seiner leisen, aber tiefgründigen Oslo-Trilogie. Der Film erscheint am 07. August für das Heimkino – eine Veröffentlichung, die dem stillen Nachhall dieses außergewöhnlichen Werks nur gerecht wird. Denn was Haugerud hier entwirft, ist kein gewöhnliches Coming-of-Age, sondern eine stille, tief poetische Meditation über Weiblichkeit, Sprachmacht und die fragile Architektur von Erinnerung und Fiktion. Im Zentrum steht die 17-jährige Johanne (intensiv gespielt von Ella Øverbye), deren literarische Stimme den erzählerischen Rahmen vorgibt – zunächst in Form eines fiktionalisierten Manuskripts, das sie über ihre Liebe zu ihrer Lehrerin Johanna (Selome Emnetu) verfasst. Was als private Imagination beginnt, entfaltet sich zunehmend als vielschichtiges Spiel mit Perspektiven, Realitätsebenen und literarischer Autonomie. Johanne schreibt sich frei – nicht nur von den Erwartungen ihrer Umwelt, sondern auch von den Zuschreibungen, die ihre Jugend, ihr Begehren und ihre Kreativität einzukreisen versuchen. Haugerud verzichtet dabei auf plakative Narrative. Stattdessen lässt er Sprache und Bild subtil changieren: Was ist wahr, was ist erdacht? Wo endet die Erinnerung, wo beginnt der Wunsch? Die sich auflösenden Grenzen machen den Film zu einer vielschichtigen Reflexion über die Kraft der Fiktion – als Flucht, als Spiegel, als Selbstermächtigung. Der feministische Subtext durchzieht „Träume“ in jeder Szene: Nicht laut, sondern mit der Kraft präziser Beobachtung und kluger Figurenzeichnung. Die Konfrontation mit Johannes Textwerk entfaltet bei Mutter (Ane Dahl Torp) und Großmutter (Anne Marit Jacobsen) je eigene Resonanzen – zwischen Verletzung, Bewunderung und einem kaum artikulierten Neid auf jene künstlerische Freiheit, die der jungen Frau scheinbar selbstverständlich zusteht. In dieser familiären Triade spiegelt sich das Fortwirken weiblicher Narrative, das Weiterreichen ungesagter Hoffnungen und das stete Ringen um Selbstdefinition. „Träume“ erzählt damit auch von intergenerationellen Dialogen, in denen sich feminines Begehren nicht nur auf den erotischen, sondern ebenso auf den kreativen Raum bezieht.


© Alamode Film

Haugerud gelingt es, die Idee des Schreibens als Akt der Selbstwerdung sichtbar zu machen – nicht als Pathos, sondern als zartes Aufbegehren. Die visuelle Sprache des Films unterstreicht dessen leise Intensität. Kamerafrau Cecilie Semec gestaltet mit ruhigen Einstellungen, natürlichem Licht und einer reduzierten Farbpalette eine ästhetische Klarheit, die ebenso Raum für Projektion wie für Introspektion bietet. In Verbindung mit Jens Christian Fodstads bewusst unaufdringlichem Schnitt entfaltet sich eine filmische Dramaturgie, die weniger auf Ereignis, als auf Empfindung zielt. Haugeruds Entscheidung, zwischen narrativer Linearität und literarischem Fragment zu oszillieren, ist mehr als ein stilistisches Mittel. Es ist eine bewusste Öffnung: hin zu einem Kino, das nicht festlegt, sondern einlädt. Das Fragen stellt, statt Antworten zu liefern. Und das seinen Zuschauer\:innen zutraut, mit emotionaler wie intellektueller Offenheit zu lesen – Bilder, Sätze, Blicke. Mit der anstehenden Veröffentlichung für das Heimkino erhält „Träume“ eine weitere Dimension: Die Intimität der privaten Rezeption kommt der Textur des Films entgegen. Wer diesen Film sieht, braucht kein Spektakel, sondern Raum zur Resonanz. In der Stille des Wohnzimmers, im gedimmten Licht, im Dialog mit eigenen Erinnerungen und Sehnsüchten entfaltet sich „Träume“ vielleicht sogar noch stärker als auf der großen Leinwand. Er ist kein Film, der wirkt – er bleibt.

Oslo-Stories: TRÄUME“ ist ein filmisches Kleinod von großer intellektueller wie emotionaler Tiefe. Es erzählt von junger Liebe, literarischer Reife und der Ambivalenz des Erinnerns – ohne Urteil, aber mit Haltung. Haugerud schenkt uns einen Film, der das Leise nicht fürchtet, sondern als Kraft begreift. Einen Film, der seine weiblichen Protagonistinnen nicht nur darstellt, sondern ernst nimmt. Und einen Film, der das Schreiben, das Lesen, das Erzählen – und das Leben – als Akte der Selbstwerdung feiert. Ein Werk, das bleibt. Und das uns, in all seiner poetischen Zurückhaltung, viel mehr erzählt als manch lauter Film.


OSLO-STORIES: TRÄUME

ET: 07.08.25: DVD & digital | FSK 6
R: Dag Johan Haugerud | D: Ella Øverbye, Ane Dahl Torp, Selome Emnetu
Norwegen 2025 | Alamode Filmdistribution


AGB | IMPRESSUM