Johanne
verliebt sich zum ersten Mal, und zwar in ihre Lehrerin. Ihre intensiven
Fantasien und Gefühle hält sie schriftlich fest, um sie
nicht zu vergessen. Als ihre Mutter und ihre Großmutter die
Texte lesen, sind sie zunächst schockiert über den intimen
Inhalt, erkennen aber bald das literarische Potenzial. Während
sie darüber debattieren, ob sie es veröffentlichen sollen,
werden alle drei Frauen mit ihren eigenen unerfüllten Träumen
und Sehnsüchten konfrontiert.
In
einem filmischen Raum zwischen Innenwelt und Imagination entfaltet
Dag Johan Haugerud mit „Oslo-Stories: TRÄUME“ das
dritte Kapitel seiner leisen, aber tiefgründigen Oslo-Trilogie.
Der Film erscheint am 07. August für das Heimkino – eine
Veröffentlichung, die dem stillen Nachhall dieses außergewöhnlichen
Werks nur gerecht wird. Denn was Haugerud hier entwirft, ist kein
gewöhnliches Coming-of-Age, sondern eine stille, tief poetische
Meditation über Weiblichkeit, Sprachmacht und die fragile Architektur
von Erinnerung und Fiktion. Im Zentrum steht die 17-jährige Johanne
(intensiv gespielt von Ella Øverbye), deren literarische Stimme
den erzählerischen Rahmen vorgibt – zunächst in Form
eines fiktionalisierten Manuskripts, das sie über ihre Liebe
zu ihrer Lehrerin Johanna (Selome Emnetu) verfasst. Was als private
Imagination beginnt, entfaltet sich zunehmend als vielschichtiges
Spiel mit Perspektiven, Realitätsebenen und literarischer Autonomie.
Johanne schreibt sich frei – nicht nur von den Erwartungen ihrer
Umwelt, sondern auch von den Zuschreibungen, die ihre Jugend, ihr
Begehren und ihre Kreativität einzukreisen versuchen. Haugerud
verzichtet dabei auf plakative Narrative. Stattdessen lässt er
Sprache und Bild subtil changieren: Was ist wahr, was ist erdacht?
Wo endet die Erinnerung, wo beginnt der Wunsch? Die sich auflösenden
Grenzen machen den Film zu einer vielschichtigen Reflexion über
die Kraft der Fiktion – als Flucht, als Spiegel, als Selbstermächtigung.
Der feministische Subtext durchzieht „Träume“ in
jeder Szene: Nicht laut, sondern mit der Kraft präziser Beobachtung
und kluger Figurenzeichnung. Die Konfrontation mit Johannes Textwerk
entfaltet bei Mutter (Ane Dahl Torp) und Großmutter (Anne Marit
Jacobsen) je eigene Resonanzen – zwischen Verletzung, Bewunderung
und einem kaum artikulierten Neid auf jene künstlerische Freiheit,
die der jungen Frau scheinbar selbstverständlich zusteht. In
dieser familiären Triade spiegelt sich das Fortwirken weiblicher
Narrative, das Weiterreichen ungesagter Hoffnungen und das stete Ringen
um Selbstdefinition. „Träume“ erzählt damit
auch von intergenerationellen Dialogen, in denen sich feminines Begehren
nicht nur auf den erotischen, sondern ebenso auf den kreativen Raum
bezieht.
Haugerud
gelingt es, die Idee des Schreibens als Akt der Selbstwerdung sichtbar
zu machen – nicht als Pathos, sondern als zartes Aufbegehren.
Die visuelle Sprache des Films unterstreicht dessen leise Intensität.
Kamerafrau Cecilie Semec gestaltet mit ruhigen Einstellungen, natürlichem
Licht und einer reduzierten Farbpalette eine ästhetische Klarheit,
die ebenso Raum für Projektion wie für Introspektion bietet.
In Verbindung mit Jens Christian Fodstads bewusst unaufdringlichem
Schnitt entfaltet sich eine filmische Dramaturgie, die weniger auf
Ereignis, als auf Empfindung zielt. Haugeruds Entscheidung, zwischen
narrativer Linearität und literarischem Fragment zu oszillieren,
ist mehr als ein stilistisches Mittel. Es ist eine bewusste Öffnung:
hin zu einem Kino, das nicht festlegt, sondern einlädt. Das Fragen
stellt, statt Antworten zu liefern. Und das seinen Zuschauer\:innen
zutraut, mit emotionaler wie intellektueller Offenheit zu lesen –
Bilder, Sätze, Blicke. Mit der anstehenden Veröffentlichung
für das Heimkino erhält „Träume“ eine weitere
Dimension: Die Intimität der privaten Rezeption kommt der Textur
des Films entgegen. Wer diesen Film sieht, braucht kein Spektakel,
sondern Raum zur Resonanz. In der Stille des Wohnzimmers, im gedimmten
Licht, im Dialog mit eigenen Erinnerungen und Sehnsüchten entfaltet
sich „Träume“ vielleicht sogar noch stärker
als auf der großen Leinwand. Er ist kein Film, der wirkt –
er bleibt.
Oslo-Stories:
TRÄUME“ ist ein filmisches Kleinod von großer intellektueller
wie emotionaler Tiefe. Es erzählt von junger Liebe, literarischer
Reife und der Ambivalenz des Erinnerns – ohne Urteil, aber mit
Haltung. Haugerud schenkt uns einen Film, der das Leise nicht fürchtet,
sondern als Kraft begreift. Einen Film, der seine weiblichen Protagonistinnen
nicht nur darstellt, sondern ernst nimmt. Und einen Film, der das
Schreiben, das Lesen, das Erzählen – und das Leben –
als Akte der Selbstwerdung feiert. Ein Werk, das bleibt. Und das uns,
in all seiner poetischen Zurückhaltung, viel mehr erzählt
als manch lauter Film.
OSLO-STORIES: TRÄUME
ET:
07.08.25: DVD & digital | FSK 6
R: Dag Johan Haugerud | D: Ella Øverbye, Ane Dahl Torp,
Selome Emnetu
Norwegen 2025 | Alamode Filmdistribution