In „After
the Hunt“ entfaltet Luca Guadagnino ein brillantes Drama über
Macht, Moral und die fragile Architektur akademischer Wahrheiten.
Zwischen feministischem Selbstanspruch und emotionalen Ambivalenzen
entsteht ein fesselndes Panorama eines Campus im Ausnahmezustand.
Ein Werk von verstörender Intensität – und eines,
das seine Zuschauer weit über den Kinosaal hinaus begleitet.
Wenn
Luca Guadagninos „After the Hunt“ am 16. Oktober in den
Kinos startet, begegnet man einem Film, der sich weniger als kohärenter
Dramathriller denn als vielschichtiges Seelenpanorama eines Campus
im Ausnahmezustand begreift. Was auf den ersten Blick wie ein kontroverses
#MeToo-Drama anmutet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Reflexion
über Macht, Begehrensstrukturen und die fragile Architektur moralischer
Gewissheiten. Guadagnino wählt dabei eine Form der Überwältigung
– gestisch, atmosphärisch, tonal –, die sich nicht
scheut, Ambivalenzen offen zu halten. Dieses Wagnis gibt dem Film
seine intellektuelle Spannung, auch wenn es die klassische Stringenz
zugunsten schillernder, manchmal widerspenstiger Ausdrucksstärken
opfert. Im Zentrum steht Alma Imhoff, von Julia Roberts mit einer
Mischung aus Souveränität, Verletzbarkeit und unaufdringlicher
Ironie verkörpert. Sie ist eine Philosophin von akademischer
Strahlkraft: gefürchtet, verehrt, angefeindet. Ihre studentische
Bewunderin Maggie (Ayo Edebiri) sieht in ihr eine Art moralisches
Leuchtfeuer – zugleich eine Projektionsfläche, auf die
sie all jene Sehnsüchte richtet, die in der hyperkompetitiven
Umgebung Yales kaum artikulierbar erscheinen. Zwischen beiden entwickelt
sich ein dynamisches Spannungsfeld, das nicht in klassischen Mustern
von Mentorschaft und Verehrung verbleibt, sondern zunehmend die Frage
nach Machtumkehrungen und emotionalen Abhängigkeiten aufruft.
Der dramatische Katalysator ist ein nächtliches Ereignis, eine
Anschuldigung, die den akademischen Mikrokosmos erschüttert und
das Verhältnis von Loyalität, Integrität und Wahrheit
neu austariert. Guadagnino entfaltet dieses Szenario nicht als investigativen
Whodunit, sondern als moralisches Labyrinth. Die Figuren bewegen sich
darin wie auf einer Bühne, deren Boden ständig verrückt
wird. Andrew Garfield als Kollege Hank – charmant, labil, latent
übergriffig – und Michael Stuhlbarg als Almas Ehemann Frederik,
dessen psychologische Feinzeichnung bewusst brüchig gehalten
ist, verstärken diese Atmosphäre, in der Identität
und Haltung permanent ins Rutschen geraten. Guadagninos Inszenierung
arbeitet mit Überzeichnung, bewusst gesetzten Überwältigungsmomenten
und einer Klangarchitektur, die beinahe körperlich wirkt.
Die
dröhnenden musikalischen Motive, das unruhige Pulsieren der Soundkulisse
– sie sind weniger Kommentar denn Ausdruck eines Systems, das
unter Hochspannung steht. Visuell kontrastiert dies mit der streng
geordneten, beinahe sakralen Architektur des Campus. Die ikonischen
Yale-Räume – Bibliotheken, Hörsäle, Innenhöfe
– werden zu Resonanzräumen für die Zerklüftung
der Figuren. Hier trifft Tradition auf Gegenwart, Hierarchie auf Aufbegehren,
akademisches Prestige auf moralische Unsicherheit. Feministisch gelesen,
setzt „After the Hunt“ gerade dort an, wo einfache Täter-Opfer-Schemata
versagen. Guadagnino interessiert sich für die Risse in den feministischen
Selbstbildern seiner Protagonistin: Alma ist zugleich Vorbild und
blinde Stelle, Stütze und Einfallstor für Machtprojektionen.
Der Film zeigt, wie prekär es ist, wenn gesellschaftliche Ansprüche
an feministische Integrität auf persönliche Ambivalenzen
treffen. Dabei stellt er Fragen, die bewusst offenbleiben: Wie navigiert
eine Frau, die stets als Instanz der Klarheit galt, durch ein moralisches
Feld voller Unschärfen? Und wie viel emotionale Wahrheit verträgt
ein akademisches System, das sich selbst gern als Leuchtturm der Rationalität
begreift? Dass „After the Hunt“ mit seinen kontrastreichen
Rhythmen, seiner überbordenden Klanglichkeit und seinem insistierenden
Ton zuweilen sperrig wirkt, gehört zur ästhetischen Strategie.
Er ist weniger ein Film, der glatte Antworten anbietet, als vielmehr
ein dialektisches Werk, das die Zuschauenden dazu zwingt, sich zwischen
widersprüchlichen Wahrheiten zu verorten. Die finale Konfrontation,
eher leise als spektakulär, verweigert bewusst die kathartische
Explosion und verweigert damit jene narrative Eindeutigkeit, die Campusdramen
traditionell anbieten. In dieser Verweigerung liegt zugleich die Stärke
des Films: „After the Hunt“ ist ein Drama, das nicht auflöst,
sondern nachhallt – ein Kino der fortgesetzten Auseinandersetzung.
Guadagnino zeigt nicht, wie moralische Klarheit entsteht, sondern
wie prekär sie ist. Und gerade dadurch gewinnt der Film eine
eigene, eigensinnige Intensität: Er spiegelt eine akademische
Welt, die unter dem Druck der Gegenwart ihre Gewissheiten verliert
– und setzt seine Figuren der Zumutung aus, neu über Verantwortung,
Begehren und Wahrhaftigkeit nachzudenken.
AFTER THE HUNT
Start:
16.10.25 | FSK 12
R: Luca Guadagnino | D: Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield
USA, Italien 2025 | Sony Pictures Germany