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KINO | 15.10.2025

AFTER THE HUNT

In „After the Hunt“ entfaltet Luca Guadagnino ein brillantes Drama über Macht, Moral und die fragile Architektur akademischer Wahrheiten. Zwischen feministischem Selbstanspruch und emotionalen Ambivalenzen entsteht ein fesselndes Panorama eines Campus im Ausnahmezustand. Ein Werk von verstörender Intensität – und eines, das seine Zuschauer weit über den Kinosaal hinaus begleitet.

von Richard-Heinrich Tarenz


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Wenn Luca Guadagninos „After the Hunt“ am 16. Oktober in den Kinos startet, begegnet man einem Film, der sich weniger als kohärenter Dramathriller denn als vielschichtiges Seelenpanorama eines Campus im Ausnahmezustand begreift. Was auf den ersten Blick wie ein kontroverses #MeToo-Drama anmutet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Reflexion über Macht, Begehrensstrukturen und die fragile Architektur moralischer Gewissheiten. Guadagnino wählt dabei eine Form der Überwältigung – gestisch, atmosphärisch, tonal –, die sich nicht scheut, Ambivalenzen offen zu halten. Dieses Wagnis gibt dem Film seine intellektuelle Spannung, auch wenn es die klassische Stringenz zugunsten schillernder, manchmal widerspenstiger Ausdrucksstärken opfert. Im Zentrum steht Alma Imhoff, von Julia Roberts mit einer Mischung aus Souveränität, Verletzbarkeit und unaufdringlicher Ironie verkörpert. Sie ist eine Philosophin von akademischer Strahlkraft: gefürchtet, verehrt, angefeindet. Ihre studentische Bewunderin Maggie (Ayo Edebiri) sieht in ihr eine Art moralisches Leuchtfeuer – zugleich eine Projektionsfläche, auf die sie all jene Sehnsüchte richtet, die in der hyperkompetitiven Umgebung Yales kaum artikulierbar erscheinen. Zwischen beiden entwickelt sich ein dynamisches Spannungsfeld, das nicht in klassischen Mustern von Mentorschaft und Verehrung verbleibt, sondern zunehmend die Frage nach Machtumkehrungen und emotionalen Abhängigkeiten aufruft. Der dramatische Katalysator ist ein nächtliches Ereignis, eine Anschuldigung, die den akademischen Mikrokosmos erschüttert und das Verhältnis von Loyalität, Integrität und Wahrheit neu austariert. Guadagnino entfaltet dieses Szenario nicht als investigativen Whodunit, sondern als moralisches Labyrinth. Die Figuren bewegen sich darin wie auf einer Bühne, deren Boden ständig verrückt wird. Andrew Garfield als Kollege Hank – charmant, labil, latent übergriffig – und Michael Stuhlbarg als Almas Ehemann Frederik, dessen psychologische Feinzeichnung bewusst brüchig gehalten ist, verstärken diese Atmosphäre, in der Identität und Haltung permanent ins Rutschen geraten. Guadagninos Inszenierung arbeitet mit Überzeichnung, bewusst gesetzten Überwältigungsmomenten und einer Klangarchitektur, die beinahe körperlich wirkt.


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Die dröhnenden musikalischen Motive, das unruhige Pulsieren der Soundkulisse – sie sind weniger Kommentar denn Ausdruck eines Systems, das unter Hochspannung steht. Visuell kontrastiert dies mit der streng geordneten, beinahe sakralen Architektur des Campus. Die ikonischen Yale-Räume – Bibliotheken, Hörsäle, Innenhöfe – werden zu Resonanzräumen für die Zerklüftung der Figuren. Hier trifft Tradition auf Gegenwart, Hierarchie auf Aufbegehren, akademisches Prestige auf moralische Unsicherheit. Feministisch gelesen, setzt „After the Hunt“ gerade dort an, wo einfache Täter-Opfer-Schemata versagen. Guadagnino interessiert sich für die Risse in den feministischen Selbstbildern seiner Protagonistin: Alma ist zugleich Vorbild und blinde Stelle, Stütze und Einfallstor für Machtprojektionen. Der Film zeigt, wie prekär es ist, wenn gesellschaftliche Ansprüche an feministische Integrität auf persönliche Ambivalenzen treffen. Dabei stellt er Fragen, die bewusst offenbleiben: Wie navigiert eine Frau, die stets als Instanz der Klarheit galt, durch ein moralisches Feld voller Unschärfen? Und wie viel emotionale Wahrheit verträgt ein akademisches System, das sich selbst gern als Leuchtturm der Rationalität begreift? Dass „After the Hunt“ mit seinen kontrastreichen Rhythmen, seiner überbordenden Klanglichkeit und seinem insistierenden Ton zuweilen sperrig wirkt, gehört zur ästhetischen Strategie. Er ist weniger ein Film, der glatte Antworten anbietet, als vielmehr ein dialektisches Werk, das die Zuschauenden dazu zwingt, sich zwischen widersprüchlichen Wahrheiten zu verorten. Die finale Konfrontation, eher leise als spektakulär, verweigert bewusst die kathartische Explosion und verweigert damit jene narrative Eindeutigkeit, die Campusdramen traditionell anbieten. In dieser Verweigerung liegt zugleich die Stärke des Films: „After the Hunt“ ist ein Drama, das nicht auflöst, sondern nachhallt – ein Kino der fortgesetzten Auseinandersetzung. Guadagnino zeigt nicht, wie moralische Klarheit entsteht, sondern wie prekär sie ist. Und gerade dadurch gewinnt der Film eine eigene, eigensinnige Intensität: Er spiegelt eine akademische Welt, die unter dem Druck der Gegenwart ihre Gewissheiten verliert – und setzt seine Figuren der Zumutung aus, neu über Verantwortung, Begehren und Wahrhaftigkeit nachzudenken.


AFTER THE HUNT

Start: 16.10.25 | FSK 12
R: Luca Guadagnino | D: Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield
USA, Italien 2025 | Sony Pictures Germany


 


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