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KINO | 15.10.2025

Jane Austen und das Chaos in meinem Leben

Ein Film über das Schreiben, der selbst wie ein fein gearbeitetes Manuskript wirkt: „Jane Austen und das Chaos in meinem Leben“ verbindet literarische Selbstsuche mit sanftem Humor. Laura Pianis Debüt entfaltet eine kluge Reflexion über weibliche Kreativität und narrative Tradition, getragen von einer einnehmenden Hauptfigur.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Splendid Film

Es gehört zu den charmanten Ironien dieses Films, dass er ausgerechnet unter dem Banner einer der prägendsten Autorinnen der Weltliteratur den Zauber des Schreibens und die Krisen des Selbstfindens zugleich umarmt und unterläuft. „Jane Austen und das Chaos in meinem Leben“, das Regiedebüt der französischen Autorin Laura Piani, die jahrelang selbst im Buchhandel tätig war, entfaltet sich als warmherzige, leichtfüßig inszenierte Reflexion über Kreativität, Identität und romantische Verwirrung – und damit als Werk, das sich durchaus in die Tradition jener feinsinnigen Erzählungen stellt, die seine Protagonistin zutiefst verehrt. Agathe, wunderbar nuanciert verkörpert von Camille Rutherford, ist eine Heldin des leisen Widerstands. Als Buchhändlerin lebt sie tagtäglich mit Literatur, ohne sich zu trauen, ihre eigene Stimme zu behaupten. Erst ein impulsiver, gut gemeinter Verrat ihres besten Freundes Félix bringt sie in die Jane Austen Writers’ Residency – einen Ort, der ebenso Inspirationsquelle wie Spiegelkabinett für die eigene Unsicherheit wird. Piani verortet ihre Hauptfigur in einem Spannungsfeld aus künstlerischem Druck, emotionalem Durcheinander und einem Trauma, das lange wie ein verschlossener Raum im Hintergrund bleibt. Doch statt das Psychologische schwer zu belasten, arbeitet die Regisseurin mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit, die die Introspektion nicht erdrückt, sondern durchlässig macht. Agathes Reise bleibt stets innerlich pulsierend, aber niemals erdrückend – ein Balanceakt, der erstaunlich viel Reife für ein Debüt erkennen lässt. Die dramaturgische Achse des Films – die Begegnung zwischen Agathe und Oliver, einem snobistisch wirkenden Austen-Nachfahren – wäre in weniger sensiblen Händen schnell zur reinen Klischee-Geste verkommen. Doch Piani nutzt das bekannte Muster (Antipathie vor Anziehung) als Spielfeld für feine Beobachtungen über Erwartungshaltungen, kreative Konkurrenz und weibliche Autonomie.


© Splendid Film

Zudem durchzieht den Film eine subtile Metaebene: Austen, die einst Frauenfiguren aus der Passivität befreite, wird hier zur unsichtbaren Mentorin, die einer modernen Frau hilft, ihre Stimme jenseits romantischer Zuschreibungen zu entwickeln. Die filmische Auseinandersetzung mit literarischen Fragen – wie politisch Literatur sein darf oder muss, welche Rolle Geschlecht im Kanon spielt – bleibt zwar episodisch, doch sie verleiht der Erzählung Struktur und Resonanz. Der Film lebt entscheidend vom Zusammenspiel seines Ensembles. Pablo Pauly bringt als Félix einen warmherzigen Impuls zwischen Freundschaftsdrama und verletzlicher Sehnsucht ein. Charlie Ansons Oliver ist eine reizvoll unperfekte Figur, die sich erst nach und nach öffnet. Zusammen erschaffen die Darstellerinnen und Darsteller eine Welt, in der kleine Gesten, stille Blicke und humorvolle Brüche mehr erzählen als große dramatische Ausbrüche. Laura Piani beweist ein ausgeprägtes Gespür für Rhythmus und Leichtigkeit. Die Regie ist niemals aufdringlich, aber stets präsent; sie öffnet Räume für Humor, Melancholie und unerwartete Verspieltheit. Dass die Geschichte gelegentlich in Genrekonventionen verfällt oder sprachliche Inkonsistenzen zeigt, ist angesichts der atmosphärischen Geschlossenheit leicht zu verzeihen. „Jane Austen und das Chaos in meinem Leben“ ist keine revolutionäre Liebeskomödie, aber ein erstaunlich reifes, feinfühliges Regiedebüt, das die Schwierigkeiten des kreativen Werdens ebenso ernst nimmt wie die emotionalen Irrwege, die dazugehören. Der Film vereint literarische Leidenschaft, humorvolle Selbstironie und eine moderne Betrachtung weiblicher Selbstbestimmung zu einem Werk, das mit Austen zwar spielt, aber nie imitieren möchte. Stattdessen hinterlässt er einen warmen Nachhall – wie ein gutes Buch, das man nach dem Zuschlagen noch eine Weile in der Hand hält, weil man seine Welt nicht ganz verlassen möchte.


JANE AUSTEN UND DAS CHAOS IN MEINEM LEBEN

Start: 16.10.25 | FSK 0
R: Laura Piani | D: Camille Rutherford, Pablo Pauly, Charlie Anson
Frankreich 2024 | Splendid Film GmbH


 


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