Mit „Rote
Sterne überm Feld“ gelingt Laura Laabs ein furioses Regiedebüt
zwischen Geschichtserzählung und Erinnerungsexperiment. Der Film,
der am 6. November startet, verbindet politische Tiefenschärfe
mit visueller Kühnheit – ein cineastisches Ereignis, das
den deutschen Erinnerungsdiskurs neu belebt.
Mit
„Rote Sterne überm Feld“, der am 6. November in den
Kinos startet, legt Laura Laabs ein Regiedebüt vor, das sich
nicht mit den sicheren Wegen des deutschen Erzählkinos begnügt.
Ihr Film, der bereits beim Filmfestival Max Ophüls Preis mit
dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet wurde, ist ein kühnes,
manchmal wuchtiges, aber stets faszinierendes Experiment: eine filmische
Zeitreise durch die Schattenzonen der deutschen Geschichte, die den
Blick nicht auf die großen politischen Narrative, sondern auf
die blinden Flecken der Erinnerung richtet. Laabs’ Werk ist
dabei kein lineares Geschichtsdrama, sondern eine archäologische
Spurensuche im kollektiven Gedächtnis, die sich jeder einfachen
Kategorisierung verweigert. Ausgangspunkt ist ein makabres Fundstück:
Ein verwestes Skelett wird in der Nähe eines Dorfes entdeckt
– eine Leiche ohne klare zeitliche Zuordnung. Der Fund wird
zum Katalysator einer Erzählung, die zwischen Jahrzehnten, Ideologien
und Identitäten changiert. Stammt das Skelett aus den Wirren
des Zweiten Weltkriegs, den Schattenjahren der DDR oder den politisch
aufgeladenen 1990er Jahren, als das Land in seinen „blühenden
Landschaften“ den eigenen Narben begegnete? Laura Laabs nutzt
diesen erzählerischen Aufhänger, um eine filmische Topografie
des deutschen Nachkriegstraumas zu entwerfen – ein Mosaik aus
Erinnerung, Mythos und medialer Rekonstruktion. Ihr Ansatz ist dabei
radikal visuell: Verschiedene Bildformate und Stilregister überlagern
sich zu einem assoziativen Strom von Eindrücken. Szenen im grobkörnigen
4:3-Fernsehformat evozieren dokumentarische Authentizität, während
das weite Cinemascope-Bild die Gegenwart in epischer Distanz zeigt.
Dazwischen liegt ein Schwarz-Weiß-Kapitel, das den Zweiten Weltkrieg
als Ursprung nationaler und individueller Schuld auslotet –
nüchtern, fast klinisch, und dennoch von schmerzhafter Schönheit.
Inhaltlich wie formal knüpft Laabs damit an eine Tradition an,
die vom essayistischen Kino eines Alexander Kluge bis zu den Reflexionen
über Erinnerung bei Christian Petzold reicht, jedoch mit einer
unverkennbar eigenen Handschrift: verspielt, weiblich, unruhig, voller
intellektueller Neugier. Ihr Film will nicht erklären, sondern
verunsichern – ein ästhetischer Gegenentwurf zu jenem Geschichtskino,
das historische Stoffe oft in musealer Statik erstarren lässt.
Im Zentrum steht die Frage, wie Gegenwart und Vergangenheit einander
fortwährend spiegeln. Wenn Laabs die Mythen um Bad Kleinen –
jenen realen Ort, an dem 1993 ein missglückter Zugriff auf Mitglieder
der RAF blutig endete – mit aktuellen Szenen aus der ostdeutschen
Provinz verwebt, dann nicht, um Verschwörungstheorien zu nähren,
sondern um zu zeigen, wie Narrative entstehen, verfestigt und weitergetragen
werden.
Die
kollektive Erinnerung, so deutet der Film an, ist keine chronologische
Linie, sondern ein Palimpsest: Schicht um Schicht überlagert,
durchzogen von Leerstellen und Projektionen. Diese multiperspektivische
Erzählweise verlangt dem Publikum einiges ab. Laabs springt zwischen
Epochen, Tonlagen und Stilen, kontrastiert agitatorische Momente mit
groteskem Humor, Tragödie mit Anarchie. Dass der Film in seiner
130-minütigen Laufzeit gelegentlich ausfranst, gehört zu
seinem Wesen: Er ist kein geschlossenes System, sondern eine offene
Struktur, ein ästhetisches Labor des Erinnerns. Dabei erweist
sich Laura Laabs als scharfsinnige Beobachterin der ostdeutschen Gegenwart.
Ihre Figuren – Männer mit Reichsadler-Tätowierungen,
Frauen zwischen Resignation und Aufbruch, Jugendliche zwischen Rebellion
und Orientierungslosigkeit – sind keine Karikaturen, sondern
Spiegel eines ambivalenten Milieus, in dem Geschichte und Identität
noch immer verhandelt werden. Laabs blickt auf diese Welt mit Skepsis,
aber auch mit Empathie; sie verzichtet auf moralische Überlegenheit
und sucht stattdessen nach den Rissen im Selbstbild eines Landes,
das sich allzu gern als aufgearbeitet begreift. Formal ist „Rote
Sterne überm Feld“ ein Fest für Cinephile: Die Montage
springt zwischen dokumentarischen Fragmenten und surrealen Momenten,
die Musik changiert zwischen Ostalgie-Schlager und avantgardistischem
Klangexperiment, und die Kamera von Nina König findet in jedem
Zeitsprung neue Texturen und Stimmungen. Die Inszenierung der Landschaft
– Felder, Wälder, Ruinen – hat etwas Mythisches:
Sie sind nicht bloß Schauplätze, sondern Träger einer
historischen Aura, Orte, an denen die Vergangenheit buchstäblich
unter der Erde ruht. Dass Laura Laabs mit diesem Film Risiken eingeht,
macht „Rote Sterne überm Feld“ zu einem jener seltenen
deutschen Debüts, die nicht um Sicherheit, sondern um Relevanz
ringen. Es ist ein Film, der sich nicht in didaktischen Diskursen
verliert, sondern über seine Form und Sinnlichkeit nach Wahrheit
sucht – in einem Land, das noch immer zwischen Erinnern und
Vergessen schwankt. So entsteht ein Werk, das nicht nur von der Vergangenheit
erzählt, sondern sie im Akt des Erzählens neu erschafft.
„Rote Sterne überm Feld“ ist kein klassischer Geschichtsfilm,
sondern ein Film über die Geschichte des Erinnerns selbst: über
das Bedürfnis, Sinn zu stiften, wo nur Fragmente geblieben sind.
ROTE STERNE ÜBERM FELD
Start:
06.11.25 | FSK 12
R: Laura Laabs| D: Hannah Ehrlichmann, Jule Böwe, Hermann Beyer
Deutschland 2025 | Farbfilm