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KINO | 05.11.2025

ROTE STERNE ÜBERM FELD

Mit „Rote Sterne überm Feld“ gelingt Laura Laabs ein furioses Regiedebüt zwischen Geschichtserzählung und Erinnerungsexperiment. Der Film, der am 6. November startet, verbindet politische Tiefenschärfe mit visueller Kühnheit – ein cineastisches Ereignis, das den deutschen Erinnerungsdiskurs neu belebt.

von Franziska Keil


© FARBFILM VERLEIH

Mit „Rote Sterne überm Feld“, der am 6. November in den Kinos startet, legt Laura Laabs ein Regiedebüt vor, das sich nicht mit den sicheren Wegen des deutschen Erzählkinos begnügt. Ihr Film, der bereits beim Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet wurde, ist ein kühnes, manchmal wuchtiges, aber stets faszinierendes Experiment: eine filmische Zeitreise durch die Schattenzonen der deutschen Geschichte, die den Blick nicht auf die großen politischen Narrative, sondern auf die blinden Flecken der Erinnerung richtet. Laabs’ Werk ist dabei kein lineares Geschichtsdrama, sondern eine archäologische Spurensuche im kollektiven Gedächtnis, die sich jeder einfachen Kategorisierung verweigert. Ausgangspunkt ist ein makabres Fundstück: Ein verwestes Skelett wird in der Nähe eines Dorfes entdeckt – eine Leiche ohne klare zeitliche Zuordnung. Der Fund wird zum Katalysator einer Erzählung, die zwischen Jahrzehnten, Ideologien und Identitäten changiert. Stammt das Skelett aus den Wirren des Zweiten Weltkriegs, den Schattenjahren der DDR oder den politisch aufgeladenen 1990er Jahren, als das Land in seinen „blühenden Landschaften“ den eigenen Narben begegnete? Laura Laabs nutzt diesen erzählerischen Aufhänger, um eine filmische Topografie des deutschen Nachkriegstraumas zu entwerfen – ein Mosaik aus Erinnerung, Mythos und medialer Rekonstruktion. Ihr Ansatz ist dabei radikal visuell: Verschiedene Bildformate und Stilregister überlagern sich zu einem assoziativen Strom von Eindrücken. Szenen im grobkörnigen 4:3-Fernsehformat evozieren dokumentarische Authentizität, während das weite Cinemascope-Bild die Gegenwart in epischer Distanz zeigt. Dazwischen liegt ein Schwarz-Weiß-Kapitel, das den Zweiten Weltkrieg als Ursprung nationaler und individueller Schuld auslotet – nüchtern, fast klinisch, und dennoch von schmerzhafter Schönheit. Inhaltlich wie formal knüpft Laabs damit an eine Tradition an, die vom essayistischen Kino eines Alexander Kluge bis zu den Reflexionen über Erinnerung bei Christian Petzold reicht, jedoch mit einer unverkennbar eigenen Handschrift: verspielt, weiblich, unruhig, voller intellektueller Neugier. Ihr Film will nicht erklären, sondern verunsichern – ein ästhetischer Gegenentwurf zu jenem Geschichtskino, das historische Stoffe oft in musealer Statik erstarren lässt. Im Zentrum steht die Frage, wie Gegenwart und Vergangenheit einander fortwährend spiegeln. Wenn Laabs die Mythen um Bad Kleinen – jenen realen Ort, an dem 1993 ein missglückter Zugriff auf Mitglieder der RAF blutig endete – mit aktuellen Szenen aus der ostdeutschen Provinz verwebt, dann nicht, um Verschwörungstheorien zu nähren, sondern um zu zeigen, wie Narrative entstehen, verfestigt und weitergetragen werden.


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Die kollektive Erinnerung, so deutet der Film an, ist keine chronologische Linie, sondern ein Palimpsest: Schicht um Schicht überlagert, durchzogen von Leerstellen und Projektionen. Diese multiperspektivische Erzählweise verlangt dem Publikum einiges ab. Laabs springt zwischen Epochen, Tonlagen und Stilen, kontrastiert agitatorische Momente mit groteskem Humor, Tragödie mit Anarchie. Dass der Film in seiner 130-minütigen Laufzeit gelegentlich ausfranst, gehört zu seinem Wesen: Er ist kein geschlossenes System, sondern eine offene Struktur, ein ästhetisches Labor des Erinnerns. Dabei erweist sich Laura Laabs als scharfsinnige Beobachterin der ostdeutschen Gegenwart. Ihre Figuren – Männer mit Reichsadler-Tätowierungen, Frauen zwischen Resignation und Aufbruch, Jugendliche zwischen Rebellion und Orientierungslosigkeit – sind keine Karikaturen, sondern Spiegel eines ambivalenten Milieus, in dem Geschichte und Identität noch immer verhandelt werden. Laabs blickt auf diese Welt mit Skepsis, aber auch mit Empathie; sie verzichtet auf moralische Überlegenheit und sucht stattdessen nach den Rissen im Selbstbild eines Landes, das sich allzu gern als aufgearbeitet begreift. Formal ist „Rote Sterne überm Feld“ ein Fest für Cinephile: Die Montage springt zwischen dokumentarischen Fragmenten und surrealen Momenten, die Musik changiert zwischen Ostalgie-Schlager und avantgardistischem Klangexperiment, und die Kamera von Nina König findet in jedem Zeitsprung neue Texturen und Stimmungen. Die Inszenierung der Landschaft – Felder, Wälder, Ruinen – hat etwas Mythisches: Sie sind nicht bloß Schauplätze, sondern Träger einer historischen Aura, Orte, an denen die Vergangenheit buchstäblich unter der Erde ruht. Dass Laura Laabs mit diesem Film Risiken eingeht, macht „Rote Sterne überm Feld“ zu einem jener seltenen deutschen Debüts, die nicht um Sicherheit, sondern um Relevanz ringen. Es ist ein Film, der sich nicht in didaktischen Diskursen verliert, sondern über seine Form und Sinnlichkeit nach Wahrheit sucht – in einem Land, das noch immer zwischen Erinnern und Vergessen schwankt. So entsteht ein Werk, das nicht nur von der Vergangenheit erzählt, sondern sie im Akt des Erzählens neu erschafft. „Rote Sterne überm Feld“ ist kein klassischer Geschichtsfilm, sondern ein Film über die Geschichte des Erinnerns selbst: über das Bedürfnis, Sinn zu stiften, wo nur Fragmente geblieben sind.


ROTE STERNE ÜBERM FELD

Start: 06.11.25 | FSK 12
R: Laura Laabs| D: Hannah Ehrlichmann, Jule Böwe, Hermann Beyer
Deutschland 2025 | Farbfilm


 


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