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KINO | 19.11.2025

CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK

Ein barockes Zuckermärchen mit Biss: Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“ kehrt am 2. Dezember im Rahmen der Best of Cinema-Reihe zurück auf die große Leinwand. Zwischen Groteske und Gesellschaftsparabel entfaltet der Film seine zeitlose Magie – zugleich verspielt, dunkel und filmhistorisch bedeutsam. Ein Klassiker, der zeigt, wie süß das Kino sein kann, wenn es sich traut, bitter zu schmecken.

von Franziska Keil


© Warner Bros.

Es gibt Filme, die mit einem einzigen Bild ganze Kindheiten wiederauferstehen lassen – und andere, die zugleich das Erwachsenenpublikum mit einer unerwarteten Tiefe konfrontieren. Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) gehört zweifellos zu jener seltenen Kategorie, die beides vermag: ein im Neonlicht schillernder Zirkus des Staunens, durchzogen von einer melancholisch-scharfen Beobachtung menschlicher Schwächen. Dass dieser Filmklassiker am 2. Dezember im Rahmen der Best of Cinema-Reihe erneut auf die große Leinwand zurückkehrt, ist daher mehr als nostalgische Geste – es ist eine Erinnerung an einen Meilenstein des modernen Fantasy-Films, dessen Strahlkraft zwei Jahrzehnte nach seiner Premiere kaum verblasst ist. Burton, selbst ein Architekt des Abseitigen, nähert sich Roald Dahls Roman nicht als harmlose Kindererzählung, sondern als groteskes Moritatenspiel über Gier, Erziehung und die Zerbrechlichkeit familiärer Bindungen. Die Schokoladenfabrik ist kein gemütliches Märchenhaus, sondern ein barockes Labyrinth voller Versuchungen, ein Spiegelkabinett, in dem jede narzisstische Regung der Kinder auf monströse Größe heranwächst. Die stark stilisierten Sets – von der fluoreszierenden Schoko-Wasserfallhalle bis zum surrealen Nuss-Sortierraum – bilden die Bühne für eine Erzählung, die gleichermaßen befremdet, belustigt und kritisch schneidet. Im Zentrum steht jedoch eine der ikonischsten Figuren des modernen Kinos: Willy Wonka, in Johnny Depps Interpretation ein entrückter Dandy, halb Kinderstar im Verfall, halb exzentrischer Patriarch wider Willen. Depps Performance, die zeitweise an Chaplins verletzliche Clowns oder die nervöse Feinheit eines Buster Keaton erinnert, trägt den Film über weite Strecken – ein Mensch, der sich selbst wie ein fremdes Wesen behandelt, gefangen zwischen infantilem Trotz und schmerzhafter Vergangenheit.


© Warner Bros.

Burtons Version verzichtet auf moralisierende Schwere und entlarvt stattdessen die groteske Übersteigung moderner Erziehungsstile: die medial versessene Violet, der materialistische Veruca, der narzisstisch überfütterte Augustus und der zynisch-intellektuelle Mike – allesamt Kinder, die zur Karikatur jener Werte werden, die ihre Eltern ihnen vorleben. Die Oompa Loompas dienen dabei als chorisches Kommentarorgan, eine ironische Brechung, die moralische Einsichten nicht lehrhaft, sondern rhythmisch und satirisch vermittelt. Inmitten dieser Überzeichnung bleibt Charlie selbst die behutsame Konstante: ein Junge, der trotz Entbehrung Wärme, Integrität und Dankbarkeit verkörpert – Qualitäten, die in Burtons Universum nicht schmucklos, sondern radikal erscheinen. „Charlie und die Schokoladenfabrik“ markiert einen zentralen Punkt in Burtons Schaffen: den Übergang von seinen gotisch geprägten Frühwerken hin zu einer Phase, die digitale Bildwelten als Erweiterung seiner Handschrift begreift. Während die CGI-Effekte heute nicht mehr in jedem Moment makellos wirken, bleibt ihre ästhetische Konsequenz beeindruckend. Burton schafft etwas selten Gewagtes: eine synthetische Welt, die dennoch emotional resonant bleibt. Filmhistorisch nimmt dieser Klassiker eine besondere Position ein. Er ist weder reine Dahl-Adaption noch bloßes Familienkino; er ist ein Stück postindustrieller Pop-Mythologie, das in seiner Mischung aus satirischem Biss und visuellem Exzess zu einem Bindeglied zwischen klassischen Studiomusicals, moderner Fantasy und barocker Pop-Ästhetik wird. Die Rückkehr des Films ins Kino lädt dazu ein, den Blick auf Burtons strukturierte Chaoswelt zu schärfen – und zu erkennen, wie viel späteres Fantastik-Kino, von farbcodierten Traumwelten bis zu ironischen Heldenreisen, seine DNA in diesen Schoko-Hallen findet. Mit den Jahren hat „Charlie und die Schokoladenfabrik“ einen ungewöhnlichen Status gewonnen: Er ist Kindheitsfilm und Subversionskino zugleich, ein Werk, das immer wieder neue Lesarten preisgibt. Die Wiederaufführung im Dezember bietet nun die Chance, ihn als das zu betrachten, was er ist: ein überbordendes Fabulierstück, das seine Süße nie ohne einen Hauch von Bitterkeit serviert – und gerade deshalb so nachhaltig wirkt. In Burtons Händen wird die Schokoladenfabrik zu einem Ort, der uns lachen, erschauern und reflektieren lässt. Ein Ort, den man vielleicht verlässt – aber nie wirklich hinter sich lässt.


CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK

Wiederaufführungstermin: 02.12.25 | FSK 12
R: Tim Burton | D: Brigitte Millar, Johnny Depp, Freddie Highmore
USA, Großbritannien 2005 | Warner Bros. GmbH


 


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