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KINO | 26.11.2025

Welcome Home Baby

Ein Haus voller Rätsel, eine Frau im Griff ihrer eigenen Vergangenheit und ein Dorf, das mehr verschweigt als es preisgibt: „Welcome Home Baby“ verführt mit betörender Atmosphäre und widersprüchlicher Symbolik. Der Film oszilliert zwischen kunstvoll verdichtetem Horror und erzählerischer Unschärfe – ein Werk, das ebenso fasziniert wie irritiert.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion

Es gibt Filme, die sich wie schillernde Fata Morganas im Grenzgebiet zwischen psychologischem Drama und Genrekino bewegen – verführerisch in ihrer Atmosphäre, zugleich aber unverbindlich in ihrem erzählerischen Kern. Andreas Prochaskas „Welcome Home Baby“, der nach einer langen Phase der Serienarbeit seine Rückkehr zum Spielfilm markiert, gehört genau in diese schillernde Zwischenwelt. Was der Film an suggestiver Bildsprache, beklemmender Stimmung und visuellem Selbstbewusstsein entfaltet, verliert er leider zu oft im erzählerischen Labyrinth. Dennoch steckt in diesem ebenso faszinierenden wie frustrierenden Mystery-Horror eine Handschrift, die man nicht übersehen kann.

Im Zentrum steht Judith, eine Berliner Notfallsanitäterin, gespielt von Julia Franz Richter mit einer Intensität, die den Film über lange Strecken trägt. Die Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit – ausgelöst durch die Erbschaft des entlegenen Elternhauses in Niederösterreich – entwickelt sich zu einer Reise in ein Geflecht aus verdrängten Erinnerungen, kultischen Traditionen und einem düster orchestrierten Dorfkollektiv. Die Assoziationen zu klassischen Horrorfilmen der 1960er und 1970er Jahre drängen sich dabei bewusst auf. Insbesondere die Nähe zu „Rosemary’s Baby“ wird durch Richter nicht nur darstellerisch, sondern auch visuell evoziert. Prochaska und sein Team greifen auf eine fast archetypische Bildsprache des Okkult-Horrors zurück: verzerrte Gesichter auf alten Fotografien, rostige Schlüssel, ein Haus wie ein lebender Organismus – Elemente, die atmosphärisch beeindrucken, aber nicht immer eine klare dramaturgische Funktion erfüllen.

Der Film ist am stärksten, wenn er in die Ambivalenz seiner Figuren eintaucht. Das Dorf, bevölkert von lächelnden, beinahe unheimlich selbstgewissen Frauen, angeführt von einer milde-bedrohlichen „Tante Paula“, wirkt wie ein Spiegel traditioneller Vorstellungen von Mutterschaft, Fürsorge und kollektiven Ritualen. Prochaska zeichnet eine Form toxischer Weiblichkeit, die nicht überzeichnet, sondern in ihrer unterschwelligen Manipulation fast glaubwürdig wirkt. Doch während Judiths Identitätskrise und ihre Weigerung, sich normativen Erwartungen zu beugen, einen spannenden feministischen Subtext eröffnen könnten, bleibt die Erzählung an vielen Stellen zu vage. Die Motive der Dorfgemeinschaft, ihre Absichten, ihre innere Struktur – all das bleibt im Schatten. Atmosphärisch prächtig, dramaturgisch aber unbefriedigend.


© Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion

Carmen Triechls Kameraarbeit ist gezielt destabilisiert: Schiefe Perspektiven, extreme Farbkompositionen und ein Spiel mit Licht und Dunkelheit erzeugen visuelle Spitzen, die sich fest im Gedächtnis verankern. Doch die formalen Mittel sind so präsent, dass sie zuweilen die eigene Wirkung unterminieren. Stil wird manchmal zur Geste. Und Geste ersetzt nicht immer Substanz.

Im Finale schließlich löst sich die zuvor kunstvoll gepflegte Ambivalenz in einem Ausbruch aus Gewalt, Symbolik und opernhafter Übertreibung – ein Moment zwischen mutigem Kontrollverlust und unbeabsichtigter Camp-Ästhetik. Hier zeigt sich die Doppelgesichtigkeit des Films wohl am deutlichsten: beeindruckend in seinem Mut, aber schwierig in seiner Kohärenz.

„Welcome Home Baby“ ist ein Film, der mehr fasziniert als überzeugt. Er entfaltet ein hypnotisches Setting, brilliert in Momenten verstörender Schönheit und wird von einer starken Hauptdarstellerin getragen. Gleichzeitig bleibt er rätselhaft, manchmal im besten Sinne, häufig aber im Sinne eines Drehbuchs, das sich nicht traut, seine Geheimnisse klar zu formulieren. Ein Werk für alle, die Wert auf Atmosphäre, symbolische Dichte und doppelbödige Bilder legen – aber weniger für jene, die eine klare, psychologisch nachvollziehbare Erzählung erwarten. Prochaska legt hier einen Film vor, der fesselt, irritiert und nachhallt, auch wenn er nicht alle Erwartungen erfüllt. Vielleicht ist gerade diese Ambivalenz sein wahrer Kern.


WELCOME HOME BABY

Start: 27.11.25 | FSK 16
R: Andreas Prochaska | D: Julia Franz Richter, Reinout Scholten van Aschat
Österreich, Deutschland 2025 | Wild Bunch Germany


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