In „Anemone“
kehrt Daniel Day-Lewis in einem filmischen Raum aus Nebel, Schmerz
und patriarchalen Schatten zurück – und doch bleibt das
Vater-Sohn-Projekt weit hinter seinen eigenen Ambitionen zurück.
Die ästhetische Schwere des Films konkurriert mit wenigen, aber
überwältigenden Momenten echter emotionaler Klarheit.
Es
gibt Filme, die im Modus permanenter Ernsthaftigkeit verharren, als
wollten sie ihre eigene Gravitas wie eine Monstranz vor sich hertragen.
„Anemone“, das düstere Vater-Sohn-Projekt von Daniel
Day-Lewis und Ronan Day-Lewis, gehört zu dieser Sorte. Der Film
– als große Rückkehr eines der bedeutendsten Schauspieler
seiner Generation vermarktet – zeigt sich vor allem als bleischwere
Meditation über unausgesprochene Schuld, familiäre Risse
und die historische Last männlicher Härte. Doch wo er Tiefenschärfe
anstrebt, gerät er häufig in eine von Symbolik überladene
Strenge, die mehr erdrückt als berührt. Ronan Day-Lewis
wählt für sein Regiedebüt das späte 1980er-Setting
der nördlichen englischen Küstenlandschaft – ein Raum
zwischen Moor und Meer, der wie geschaffen scheint für moralische
Nebelzonen. Visuell fängt er diese Schwermut durchaus ein: graue
Horizonte, karge Wälder, ein Licht, das sich eher hinter Wolken
versteckt, als dass es eine Figur jemals wärmen könnte.
Doch diese elegische Ästhetik wird zum Korsett. Die Bilder scheinen
stets darauf bedacht, von Bedeutung zu sein – und verlieren
gerade dadurch an natürlicher Kraft. Im Zentrum dieses gedämpften
Universums steht Ray Stoker, ein Mann, der in Daniel Day-Lewis einen
Darsteller findet, der wie kaum jemand anders innere Zerrissenheit
aus Muskelspannung und Sprachlosigkeit formen kann. Ray ist ein Schatten
seiner selbst, zurückgezogen in eine Hütte im Wald, ein
Relikt traumatischer Erfahrungen im Nordirlandkonflikt. Day-Lewis
gestaltet diese Figur mit der gewohnten Präzision und einer fast
beunruhigenden Intensität. Seine Körpersprache erzählt
mehr als die oft schwerfälligen Dialoge: ein Mann, der über
Jahre hinweg verhärtete Schichten aus Schmerz und Scham angesammelt
hat.
Doch
„Anemone“ verlässt sich zu stark auf die magnetische
Präsenz seines Hauptdarstellers. Die wiederholten Inszenierungsmuster
– blutige Hände, angedeutete Visionen, düstere Zimmer
– sollen emotionale Abgründe symbolisieren, wirken aber
oft wie austauschbare Versatzstücke einer allgemeinen „Trauma-Ästhetik“.
Während Ray sich mit seinem Bruder Jem (Sean Bean) konfrontiert
sieht, prallen zwei Männer aufeinander, die mehr schweigen als
sprechen, mehr leiden als handeln. Der Konflikt zwischen ihnen entwickelt
sich jedoch zu statisch, zu vorhersehbar, um die dramaturgische Wucht
zu entfalten, die der Film offenkundig anstrebt. Die weiblichen Figuren
bleiben erschreckend schematisch: Nessa (Samantha Morton) und Brians
junge Bekanntschaft fungieren primär als Projektionsflächen
für Geduld, Trost und Opferbereitschaft. In einem Film, der sich
der Komplexität generationenübergreifender Wunden widmet,
wirkt dies irritierend eindimensional und, schlimmer noch, dramaturgisch
verschenkt. Erst in zwei zentralen Monologen – meisterhaft balanciert
zwischen Zorn, Reue und verzweifelter Selbstentblößung
– findet „Anemone“ zu einem erschütternden
Kern. Hier gelingt Ronan Day-Lewis eine kongeniale Verdichtung: die
Kamera kommt ihm erbarmungslos nahe, und Daniel Day-Lewis verwandelt
die Szene in eine kathartische Erdung, die das zuvor angedeutete Trauma
erstmals spürbar macht. Wenn der Film in diesen Momenten Gewicht
bekommt, ist es das Gewicht der Authentizität – nicht der
Stilmittel. Doch diese Höhepunkte bleiben vereinzelte Inseln
in einem Meer aus betont bedeutungsvoller Inszenierung. Zwischen dröhnender
Musik, überladenen Symbolen und einer finalen Sturmsequenz, die
mehr Illustrationsgeste als emotionale Notwendigkeit ist, verliert
„Anemone“ zu oft das Gleichgewicht.
ANEMONE
Start:
27.11.25 | FSK 12
R: Ronan Day-Lewis | D: Daniel Day-Lewis, Sean Bean, Samantha Morton
USA, Großbritannien 2025 | Universal Pictures Germany