ZWEITLAND
Ein fein gesponnenes Drama über familiäre
Schuld, politische Enge und das Echo der Geschichte
Ein filmisches
Kammerspiel über eine Familie, die im Sog politischer Gewalt
auseinanderzubrechen droht. „Zweitland“ verbindet historische
Präzision mit emotionaler Tiefe und zeichnet ein nuanciertes
Bild radikalisierter Lebenswelten. Ein eindringliches Drama, das die
Mechanismen gesellschaftlicher Spaltung mit bedrückender Aktualität
sichtbar macht.
Michael
Koflers Spielfilmdebüt „Zweitland“ nähert sich
einem historisch brisanten Kapitel der Südtiroler Geschichte
– der separatistischen Anschläge Anfang der 1960er-Jahre
– mit einer bemerkenswerten Mischung aus emotionaler Präzision
und politischer Feinfühligkeit. Anstatt ein klassisches Politdrama
zu inszenieren, verankert der Regisseur die kollektiven Spannungen
in der Intimität einer Familie, deren Mitglieder zwischen Pflicht,
Sehnsucht und Ideologie zerrieben werden. Auf diese Weise entfaltet
sich ein Film, der die politische Dimension nie ausklammert, sie jedoch
stets durch das Prisma des Privaten refraktiert. Im Zentrum steht
der junge Paul, ein sensibler Mann, der dem engen Tal seiner Heimat
entfliehen und in München Kunst studieren möchte. Doch die
sogenannte „Feuernacht“, bei der sein Bruder Anton an
einer Serie von Anschlägen beteiligt ist, stürzt die Familie
in ein moralisches Vakuum. Paul wird zum Bewahrer eines Hofes, den
er längst hinter sich lassen wollte – gefesselt durch Loyalität,
Furcht und ein Gefühl erdrückender Verantwortung. Anton
wiederum verkörpert den inneren Riss einer Generation, die zwischen
Wut und ohnmächtiger Hoffnungslosigkeit aufgewachsen ist. Sein
Weg in den Untergrund erscheint zugleich erklärbar und fatal:
die Reaktion eines Mannes, der im schweigenden Vakuum staatlicher
Ungleichbehandlung so lange zurückgedrängt wurde, bis er
keinen anderen Ausweg mehr sieht. Aenne Schwarz als Anna schließlich
bildet das moralische Rückgrat des Films – eine fortschrittliche,
dialogbereite Frau, deren Versuche, Verständigung herzustellen,
von allen Seiten misstrauisch beäugt werden. In dieser Figurenkonstellation
gelingt es Kofler, politische Radikalisierung nicht als Schwarz-Weiß-Muster,
sondern als komplexe soziale Dynamik aus Schicksal, Verletzung und
sozialer Enge zu zeichnen. *Zweitland* wird damit zu einer Relektüre
von Gewalt, die nie entschuldigt, aber immer zu verstehen versucht.
Die Handkamera von Felix Wiedemann trägt entscheidend zur Wirkung
des Films bei.
Sie
verfolgt Gesichter, nicht Parolen; sie bewegt sich durch Ställe,
Küchen, Waldwege, als müsse sie den inneren Puls der Figuren
ertasten. Diese Nähe erzeugt ein Gefühl emotionaler Klaustrophobie,
das stärker wirkt als jede politische Exposition. Die historische
Spannung schleicht sich in die Bilder wie ein unsichtbarer Druck:
in den Blicken der Polizisten, in der schweigenden Dorfwirtschaft,
im ständigen Verdacht zwischen den Sprachgruppen. Besonders eindrucksvoll
sind die stillen Momente, in denen die Figuren in der Enge ihrer Welt
gefangen sind: Paul, der nachts zeichnet und kaum zu atmen wagt; Anna,
die trotz ihres Willens zur Verständigung in die Isolation rutscht;
Anton, der die Härte seines Lebens in eine Ideologie kanalisiert,
der er selbst kaum entkommt. Trotz seines historisch detaillierten
Hintergrunds bleibt „Zweitland“ stets Kunstwerk, nie Geschichtsstunde.
Der Film rekonstruiert die Ereignisse der „Feuernacht“
– nicht als Tableau politischer Erklärung, sondern als
menschliche Erfahrung. Die Gewalt erscheint als Spirale, die Menschen
jeglicher Haltung in Geiselhaft nimmt. Kofler sucht keine Helden,
keine moralische Überhöhung, sondern zeigt die verheerende
Dynamik eines Konflikts, in dem Worte längst durch Misstrauen
ersetzt wurden. Gerade dadurch entsteht eine erschreckende Aktualität.
„Zweitland“ zeigt, wie gefährlich es ist, wenn Dialog
verkümmert und politische Identitäten verhärten.
FAZIT
„Zweitland“ ist ein kraftvolles Debüt: ein Film,
der seine historischen Wurzeln ernst nimmt, aber ebenso fest im Menschlichen
verankert bleibt. Kofler erzählt mit bemerkenswerter Reife von
Loyalität und Verlust, von Gewalt und Verantwortung, von der
Sehnsucht nach einem Leben jenseits der vererbten Konflikte. Das Ergebnis
ist ein Werk, das gleichermaßen politisch brisant wie emotional
bewegend ist – und das trotz des regionalen Schauplatzes universale
Gültigkeit besitzt.
ZWEITLAND
Start:
04.12.25 | FSK 12
R: Michael Kofler | D: Thomas Prenn, Aenne Schwarz, Laurence Rupp
Italien, Deutschland, Österreich 2025 | Weltkino Filmverleih