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KINO | 03.12.2025

ZWEITLAND
Ein fein gesponnenes Drama über familiäre Schuld, politische Enge und das Echo der Geschichte

Ein filmisches Kammerspiel über eine Familie, die im Sog politischer Gewalt auseinanderzubrechen droht. „Zweitland“ verbindet historische Präzision mit emotionaler Tiefe und zeichnet ein nuanciertes Bild radikalisierter Lebenswelten. Ein eindringliches Drama, das die Mechanismen gesellschaftlicher Spaltung mit bedrückender Aktualität sichtbar macht.

von Richard-Heinrich Tarenz


© STARHAUS FILMPRODUKTION, FOTOGRAF MARTIN RATTINI

Michael Koflers Spielfilmdebüt „Zweitland“ nähert sich einem historisch brisanten Kapitel der Südtiroler Geschichte – der separatistischen Anschläge Anfang der 1960er-Jahre – mit einer bemerkenswerten Mischung aus emotionaler Präzision und politischer Feinfühligkeit. Anstatt ein klassisches Politdrama zu inszenieren, verankert der Regisseur die kollektiven Spannungen in der Intimität einer Familie, deren Mitglieder zwischen Pflicht, Sehnsucht und Ideologie zerrieben werden. Auf diese Weise entfaltet sich ein Film, der die politische Dimension nie ausklammert, sie jedoch stets durch das Prisma des Privaten refraktiert. Im Zentrum steht der junge Paul, ein sensibler Mann, der dem engen Tal seiner Heimat entfliehen und in München Kunst studieren möchte. Doch die sogenannte „Feuernacht“, bei der sein Bruder Anton an einer Serie von Anschlägen beteiligt ist, stürzt die Familie in ein moralisches Vakuum. Paul wird zum Bewahrer eines Hofes, den er längst hinter sich lassen wollte – gefesselt durch Loyalität, Furcht und ein Gefühl erdrückender Verantwortung. Anton wiederum verkörpert den inneren Riss einer Generation, die zwischen Wut und ohnmächtiger Hoffnungslosigkeit aufgewachsen ist. Sein Weg in den Untergrund erscheint zugleich erklärbar und fatal: die Reaktion eines Mannes, der im schweigenden Vakuum staatlicher Ungleichbehandlung so lange zurückgedrängt wurde, bis er keinen anderen Ausweg mehr sieht. Aenne Schwarz als Anna schließlich bildet das moralische Rückgrat des Films – eine fortschrittliche, dialogbereite Frau, deren Versuche, Verständigung herzustellen, von allen Seiten misstrauisch beäugt werden. In dieser Figurenkonstellation gelingt es Kofler, politische Radikalisierung nicht als Schwarz-Weiß-Muster, sondern als komplexe soziale Dynamik aus Schicksal, Verletzung und sozialer Enge zu zeichnen. *Zweitland* wird damit zu einer Relektüre von Gewalt, die nie entschuldigt, aber immer zu verstehen versucht. Die Handkamera von Felix Wiedemann trägt entscheidend zur Wirkung des Films bei.


© STARHAUS FILMPRODUKTION, FOTOGRAF MARTIN RATTINI

Sie verfolgt Gesichter, nicht Parolen; sie bewegt sich durch Ställe, Küchen, Waldwege, als müsse sie den inneren Puls der Figuren ertasten. Diese Nähe erzeugt ein Gefühl emotionaler Klaustrophobie, das stärker wirkt als jede politische Exposition. Die historische Spannung schleicht sich in die Bilder wie ein unsichtbarer Druck: in den Blicken der Polizisten, in der schweigenden Dorfwirtschaft, im ständigen Verdacht zwischen den Sprachgruppen. Besonders eindrucksvoll sind die stillen Momente, in denen die Figuren in der Enge ihrer Welt gefangen sind: Paul, der nachts zeichnet und kaum zu atmen wagt; Anna, die trotz ihres Willens zur Verständigung in die Isolation rutscht; Anton, der die Härte seines Lebens in eine Ideologie kanalisiert, der er selbst kaum entkommt. Trotz seines historisch detaillierten Hintergrunds bleibt „Zweitland“ stets Kunstwerk, nie Geschichtsstunde. Der Film rekonstruiert die Ereignisse der „Feuernacht“ – nicht als Tableau politischer Erklärung, sondern als menschliche Erfahrung. Die Gewalt erscheint als Spirale, die Menschen jeglicher Haltung in Geiselhaft nimmt. Kofler sucht keine Helden, keine moralische Überhöhung, sondern zeigt die verheerende Dynamik eines Konflikts, in dem Worte längst durch Misstrauen ersetzt wurden. Gerade dadurch entsteht eine erschreckende Aktualität. „Zweitland“ zeigt, wie gefährlich es ist, wenn Dialog verkümmert und politische Identitäten verhärten.

FAZIT
„Zweitland“ ist ein kraftvolles Debüt: ein Film, der seine historischen Wurzeln ernst nimmt, aber ebenso fest im Menschlichen verankert bleibt. Kofler erzählt mit bemerkenswerter Reife von Loyalität und Verlust, von Gewalt und Verantwortung, von der Sehnsucht nach einem Leben jenseits der vererbten Konflikte. Das Ergebnis ist ein Werk, das gleichermaßen politisch brisant wie emotional bewegend ist – und das trotz des regionalen Schauplatzes universale Gültigkeit besitzt.


ZWEITLAND

Start: 04.12.25 | FSK 12
R: Michael Kofler | D: Thomas Prenn, Aenne Schwarz, Laurence Rupp
Italien, Deutschland, Österreich 2025 | Weltkino Filmverleih


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