Zwischen
nordischer Groteske, therapeutischer Farce und existenzieller Melancholie
entfaltet „Therapie für Wikinger“ eine ebenso anarchische
wie berührende Komödie. Anders Thomas Jensen nutzt den Humor
als Skalpell, um familiäre Traumata, Identitätskonstruktionen
und soziale Zumutungen freizulegen. Ein Film, der Wahnsinn nicht ausstellt,
sondern als menschliche Überlebensstrategie ernst nimmt.
Mit
„Therapie für Wikinger“ legt Anders Thomas Jensen
eine weitere Variation seines unverwechselbaren filmischen Universums
vor: eine Welt, in der psychische Abgründe, absurde Gewalt und
existenzielle Fragen nicht geglättet, sondern mit bitterem Humor
und überraschender Zärtlichkeit ineinander verschränkt
werden. Der Film, der am 25. Dezember in den Kinos startet, erweist
sich als ebenso zugängliche wie vielschichtige Arbeit, die an
Jensens verspieltere Werke anknüpft, ohne deren emotionale Tiefenschärfe
preiszugeben. Bereits der eröffnende Kunstgriff – ein animiertes
nordisches Märchen über Gleichheit, Opfer und kollektive
Verstümmelung – fungiert als programmatische Setzung. In
dieser Parabel wird die Idee radikaler Gleichmacherei ad absurdum
geführt und zugleich das zentrale Motiv des Films etabliert:
die Frage, ob Glück durch Anpassung entsteht oder gerade durch
die Anerkennung von Differenz. Jensen nutzt diese Fabel nicht als
bloße Einleitung, sondern als ideologischen Resonanzraum für
das folgende Geschehen. Im Zentrum der Handlung steht Manfred, eine
fragile, beschädigte Figur, die sich durch radikale Fantasie
vor einer überfordernden Wirklichkeit schützt. Gespielt
von Mads Mikkelsen in einer seiner ungewöhnlichsten und zugleich
mutigsten Performances, ist Manfred ein Mensch, der sich Identitäten
leiht, um nicht an sich selbst zerbrechen zu müssen. Seine Selbstverortung
als Pop-Ikone wirkt auf den ersten Blick komisch, entpuppt sich jedoch
als existenzieller Schutzmechanismus. Mikkelsen verleiht dieser Figur
eine körperliche Unsicherheit und emotionale Durchlässigkeit,
die weit über bloße Exzentrik hinausgeht. Jensen konfrontiert
Manfreds fragile Innenwelt mit der Rückkehr seines Bruders Anker,
eines Mannes, der Gewalt, Kontrolle und Pragmatismus verkörpert.
In
dieser antagonistischen Brüderkonstellation verdichten sich klassische
Themen des Regisseurs: Schuld, familiäre Verstrickung und die
Unfähigkeit, Vergangenes hinter sich zu lassen. Der ehemalige
Familiensitz, nun entkernt und funktionalisiert, wird zum psychogeografischen
Raum, in dem verdrängte Traumata wieder an die Oberfläche
drängen. Die narrative Eskalation – eine bizarre Gemeinschaft
aus Therapiepatienten, popkulturellen Projektionen und kriminellen
Altlasten – entwickelt sich dabei nicht als reiner Klamauk,
sondern als sorgfältig komponiertes Chaos. Jensen gelingt es,
disparate Tonlagen miteinander zu verschränken: Grotesker Humor
kippt in leise Verzweiflung, slapstickhafte Situationen öffnen
sich zu Momenten echter emotionaler Erkenntnis. Besonders bemerkenswert
ist dabei die Art, wie psychische Erkrankungen nicht bloß als
dramaturgisches Mittel, sondern als ernstzunehmende Erfahrungsräume
inszeniert werden, ohne ihre Komik zu verleugnen. Formal bleibt Jensen
seiner reduzierten, präzisen Inszenierung treu. Die Kamera beobachtet
mehr, als dass sie kommentiert, und erlaubt den Figuren, ihre Absurdität
selbst zu entfalten. Dialoge sind rhythmisch gesetzt, Wiederholungen
werden bewusst eingesetzt, um Bedeutungsverschiebungen zu erzeugen
– ein komödiantisches Prinzip, das hier zugleich zur Charakteranalyse
wird. „Therapie für Wikinger“ ist letztlich ein Film
über das fragile Gleichgewicht zwischen Realität und Selbstschutz.
Indem Jensen eine Welt entwirft, in der alle Figuren auf ihre Weise
beschädigt sind, verschiebt er den Begriff von Normalität.
Wahnsinn wird hier nicht als Ausnahme, sondern als kollektiver Zustand
begriffen – und gerade darin liegt die humanistische Qualität
des Films. So erweist sich „Therapie für Wikinger“
als eine seiner reifsten Arbeiten: eine Tragikomödie, die lautes
Lachen zulässt, ohne leise Verletzungen zu verraten, und die
zeigt, dass Kino gerade dann am wahrhaftigsten ist, wenn es das Unzumutbare
nicht glättet, sondern spielerisch ernst nimmt.
THERAPIE FÜR WIKINGER
Start:
25.12.25 | FSK 16
R: Anders Thomas Jensen | D: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Lars
Brygmann
Dänemark, Schweden 2025 | Neue Visionen Filmverleih