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KINO | 17.12.2025

THERAPIE FÜR WIKINGER

Zwischen nordischer Groteske, therapeutischer Farce und existenzieller Melancholie entfaltet „Therapie für Wikinger“ eine ebenso anarchische wie berührende Komödie. Anders Thomas Jensen nutzt den Humor als Skalpell, um familiäre Traumata, Identitätskonstruktionen und soziale Zumutungen freizulegen. Ein Film, der Wahnsinn nicht ausstellt, sondern als menschliche Überlebensstrategie ernst nimmt.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Neue Visionen Filmverleih / Splendid Film

Mit „Therapie für Wikinger“ legt Anders Thomas Jensen eine weitere Variation seines unverwechselbaren filmischen Universums vor: eine Welt, in der psychische Abgründe, absurde Gewalt und existenzielle Fragen nicht geglättet, sondern mit bitterem Humor und überraschender Zärtlichkeit ineinander verschränkt werden. Der Film, der am 25. Dezember in den Kinos startet, erweist sich als ebenso zugängliche wie vielschichtige Arbeit, die an Jensens verspieltere Werke anknüpft, ohne deren emotionale Tiefenschärfe preiszugeben. Bereits der eröffnende Kunstgriff – ein animiertes nordisches Märchen über Gleichheit, Opfer und kollektive Verstümmelung – fungiert als programmatische Setzung. In dieser Parabel wird die Idee radikaler Gleichmacherei ad absurdum geführt und zugleich das zentrale Motiv des Films etabliert: die Frage, ob Glück durch Anpassung entsteht oder gerade durch die Anerkennung von Differenz. Jensen nutzt diese Fabel nicht als bloße Einleitung, sondern als ideologischen Resonanzraum für das folgende Geschehen. Im Zentrum der Handlung steht Manfred, eine fragile, beschädigte Figur, die sich durch radikale Fantasie vor einer überfordernden Wirklichkeit schützt. Gespielt von Mads Mikkelsen in einer seiner ungewöhnlichsten und zugleich mutigsten Performances, ist Manfred ein Mensch, der sich Identitäten leiht, um nicht an sich selbst zerbrechen zu müssen. Seine Selbstverortung als Pop-Ikone wirkt auf den ersten Blick komisch, entpuppt sich jedoch als existenzieller Schutzmechanismus. Mikkelsen verleiht dieser Figur eine körperliche Unsicherheit und emotionale Durchlässigkeit, die weit über bloße Exzentrik hinausgeht. Jensen konfrontiert Manfreds fragile Innenwelt mit der Rückkehr seines Bruders Anker, eines Mannes, der Gewalt, Kontrolle und Pragmatismus verkörpert.


© Neue Visionen Filmverleih / Splendid Film

In dieser antagonistischen Brüderkonstellation verdichten sich klassische Themen des Regisseurs: Schuld, familiäre Verstrickung und die Unfähigkeit, Vergangenes hinter sich zu lassen. Der ehemalige Familiensitz, nun entkernt und funktionalisiert, wird zum psychogeografischen Raum, in dem verdrängte Traumata wieder an die Oberfläche drängen. Die narrative Eskalation – eine bizarre Gemeinschaft aus Therapiepatienten, popkulturellen Projektionen und kriminellen Altlasten – entwickelt sich dabei nicht als reiner Klamauk, sondern als sorgfältig komponiertes Chaos. Jensen gelingt es, disparate Tonlagen miteinander zu verschränken: Grotesker Humor kippt in leise Verzweiflung, slapstickhafte Situationen öffnen sich zu Momenten echter emotionaler Erkenntnis. Besonders bemerkenswert ist dabei die Art, wie psychische Erkrankungen nicht bloß als dramaturgisches Mittel, sondern als ernstzunehmende Erfahrungsräume inszeniert werden, ohne ihre Komik zu verleugnen. Formal bleibt Jensen seiner reduzierten, präzisen Inszenierung treu. Die Kamera beobachtet mehr, als dass sie kommentiert, und erlaubt den Figuren, ihre Absurdität selbst zu entfalten. Dialoge sind rhythmisch gesetzt, Wiederholungen werden bewusst eingesetzt, um Bedeutungsverschiebungen zu erzeugen – ein komödiantisches Prinzip, das hier zugleich zur Charakteranalyse wird. „Therapie für Wikinger“ ist letztlich ein Film über das fragile Gleichgewicht zwischen Realität und Selbstschutz. Indem Jensen eine Welt entwirft, in der alle Figuren auf ihre Weise beschädigt sind, verschiebt er den Begriff von Normalität. Wahnsinn wird hier nicht als Ausnahme, sondern als kollektiver Zustand begriffen – und gerade darin liegt die humanistische Qualität des Films. So erweist sich „Therapie für Wikinger“ als eine seiner reifsten Arbeiten: eine Tragikomödie, die lautes Lachen zulässt, ohne leise Verletzungen zu verraten, und die zeigt, dass Kino gerade dann am wahrhaftigsten ist, wenn es das Unzumutbare nicht glättet, sondern spielerisch ernst nimmt.


THERAPIE FÜR WIKINGER

Start: 25.12.25 | FSK 16
R: Anders Thomas Jensen | D: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Lars Brygmann
Dänemark, Schweden 2025 | Neue Visionen Filmverleih


 


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