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KINO | 17.12.2025

DER MEDICUS 2

Mit „Der Medicus 2“ kehrt das historische Epos als opulente Fortschreibung einer europäischen Ideen- und Wissensgeschichte zurück. Zwischen mittelalterlicher Medizin, religiöser Dogmatik und politischer Macht entfaltet sich ein Film, der Historie weniger rekonstruiert als interpretiert.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Constantin Film Distribution GmbH/Zeitsprung Pictures GmbH/Martón Kállai

Mit „Der Medicus 2“ wagt Regisseur Philipp Stölzl eine seltene Bewegung im zeitgenössischen deutschen Kino: die direkte Fortsetzung eines historischen Großfilms, der sich nicht auf nostalgische Wiederholung beschränkt, sondern seine Erzählung thematisch zuspitzt und ideengeschichtlich erweitert. Der Film, der am 25. Dezember in den Kinos startet, positioniert sich bewusst als Weihnachtsstarttitel mit Anspruch – weniger als besinnliches Historienmärchen denn als düsteres Panorama einer Epoche im Umbruch. Im Zentrum steht erneut Rob Cole, dessen Rückkehr aus dem persischen Kulturraum nach Europa nicht als Heimkehr, sondern als existenzieller Bruch inszeniert wird. Der zweite Teil begreift Geschichte nicht als Abfolge abgeschlossener Lernprozesse, sondern als konflikthaften Transfer von Wissen. Rob bringt medizinische Erkenntnisse mit, die ihrer Zeit voraus sind, und stößt damit auf eine Gesellschaft, die sich über Ausschluss, Dogma und institutionelle Macht definiert. Historisch betrachtet verdichtet der Film hier einen realen Kern: die Spannung zwischen empirischer Heilkunst und zünftisch-religiöser Autorität im europäischen Frühmittelalter. Die Darstellung Londons als Ort der sozialen und medizinischen Segregation ist dabei weniger dokumentarisch als symbolisch angelegt. Der Ausschluss Rob Coles aus der ärztlichen Gilde verweist auf ein historisches System, in dem Wissen nicht primär an Kompetenz, sondern an Stand, Glauben und Zugehörigkeit gebunden war. Dass der Film diese Mechanismen zuspitzt und vereinfacht, ist weniger als Fehler denn als dramaturgische Strategie zu lesen: „Der Medicus 2“ interessiert sich nicht für kleinteilige Epochentreue, sondern für die großen strukturellen Gegensätze seiner Zeit. Gerade in der historischen Analyse wird deutlich, dass sich der Film einer bewusst freien Geschichtsdeutung bedient. Religiöse Verfolgungen, inquisitorische Motive und kulturelle Konflikte werden zeitlich und sachlich verdichtet, teils anachronistisch verschoben. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive lässt sich dies als klassisches Verfahren des Historienkinos deuten, das Vergangenheit nicht rekonstruiert, sondern aktualisiert. Stölzl nutzt das Mittelalter als Projektionsfläche, um Fragen nach Toleranz, Machtmissbrauch und wissenschaftlicher Verantwortung zu stellen – Fragen, die weniger dem 11. Jahrhundert als vielmehr der Gegenwart gelten.


© Constantin Film Distribution GmbH/Zeitsprung Pictures GmbH/Martón Kállai

Historisch besonders interessant ist die Figur des Medicus selbst als Grenzgänger zwischen Kulturen. Rob Cole verkörpert eine humanistische Idee avant la lettre: Wissen als universelles Gut, unabhängig von Religion oder Herkunft. Diese Figur ist weniger historisch plausibel als ideengeschichtlich programmatisch. Der Film schreibt damit eine Fortschrittserzählung, die sich bewusst gegen zyklische oder fatalistische Geschichtsbilder stellt und stattdessen auf individuelle Verantwortung und moralische Standfestigkeit setzt. In der Inszenierung des mittelalterlichen Europas findet der Film zu großer visueller Überzeugungskraft. Ausstattung, Kostüme und Schauplatzwechsel erzeugen ein dichtes Weltgefühl, das weniger Authentizität als atmosphärische Glaubwürdigkeit anstrebt. Historische Räume werden als lebendige, konfliktreiche Systeme erfahrbar gemacht. Diese sinnliche Qualität trägt wesentlich dazu bei, dass der Film trotz erzählerischer Abschweifungen seine Wirkung entfaltet. Auch die Figurenzeichnung folgt einem historischen Deutungsmuster: Adel, Klerus und medizinische Zünfte erscheinen als konkurrierende Machtblöcke, deren Interessen sich weniger aus Moral als aus Selbsterhalt speisen. Die höfischen Intrigen rund um die Heilung des Königs fügen sich dabei schlüssig in eine lange Tradition des Historienfilms ein, in dem der menschliche Körper – krank, heilbar, sterblich – zum politischen Schauplatz wird. „Der Medicus 2“ ist damit weniger ein streng historischer Film als ein historisch argumentierender. Er nutzt die Vergangenheit, um Prozesse sichtbar zu machen: die Gewalt des Ausschlusses, die Zerbrechlichkeit von Fortschritt und die Einsamkeit desjenigen, der seiner Zeit voraus ist. In dieser Perspektive liegt seine besondere Qualität. Der Film lädt nicht zur belehrenden Geschichtsstunde, sondern zur reflektierenden Auseinandersetzung mit Geschichte als fortwährendem Konfliktfeld ein. Als Kinoereignis zum Jahresende verbindet Der Medicus 2 opulente Schauwerte mit ideengeschichtlichem Anspruch. Gerade in seiner bewussten Unschärfe zwischen Historie und Interpretation entfaltet er eine produktive Spannung, die ihn über das Genre des klassischen Historienfilms hinaushebt. Er ist weniger Chronik als Kommentar – und genau darin liegt seine nachhaltige Stärke.


DER MEDICUS 2

Start: 25.12.25 | FSK 12
R: Philipp Stölzl | D: Tom Payne (II), Emily Cox, Aidan Gillen
USA, Deutschland, Ungarn 2025 | Constantin Film Verleih


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