Mit „Der
Medicus 2“ kehrt das historische Epos als opulente Fortschreibung
einer europäischen Ideen- und Wissensgeschichte zurück.
Zwischen mittelalterlicher Medizin, religiöser Dogmatik und politischer
Macht entfaltet sich ein Film, der Historie weniger rekonstruiert
als interpretiert.
Mit
„Der Medicus 2“ wagt Regisseur Philipp Stölzl eine
seltene Bewegung im zeitgenössischen deutschen Kino: die direkte
Fortsetzung eines historischen Großfilms, der sich nicht auf
nostalgische Wiederholung beschränkt, sondern seine Erzählung
thematisch zuspitzt und ideengeschichtlich erweitert. Der Film, der
am 25. Dezember in den Kinos startet, positioniert sich bewusst als
Weihnachtsstarttitel mit Anspruch – weniger als besinnliches
Historienmärchen denn als düsteres Panorama einer Epoche
im Umbruch. Im Zentrum steht erneut Rob Cole, dessen Rückkehr
aus dem persischen Kulturraum nach Europa nicht als Heimkehr, sondern
als existenzieller Bruch inszeniert wird. Der zweite Teil begreift
Geschichte nicht als Abfolge abgeschlossener Lernprozesse, sondern
als konflikthaften Transfer von Wissen. Rob bringt medizinische Erkenntnisse
mit, die ihrer Zeit voraus sind, und stößt damit auf eine
Gesellschaft, die sich über Ausschluss, Dogma und institutionelle
Macht definiert. Historisch betrachtet verdichtet der Film hier einen
realen Kern: die Spannung zwischen empirischer Heilkunst und zünftisch-religiöser
Autorität im europäischen Frühmittelalter. Die Darstellung
Londons als Ort der sozialen und medizinischen Segregation ist dabei
weniger dokumentarisch als symbolisch angelegt. Der Ausschluss Rob
Coles aus der ärztlichen Gilde verweist auf ein historisches
System, in dem Wissen nicht primär an Kompetenz, sondern an Stand,
Glauben und Zugehörigkeit gebunden war. Dass der Film diese Mechanismen
zuspitzt und vereinfacht, ist weniger als Fehler denn als dramaturgische
Strategie zu lesen: „Der Medicus 2“ interessiert sich
nicht für kleinteilige Epochentreue, sondern für die großen
strukturellen Gegensätze seiner Zeit. Gerade in der historischen
Analyse wird deutlich, dass sich der Film einer bewusst freien Geschichtsdeutung
bedient. Religiöse Verfolgungen, inquisitorische Motive und kulturelle
Konflikte werden zeitlich und sachlich verdichtet, teils anachronistisch
verschoben. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive lässt sich
dies als klassisches Verfahren des Historienkinos deuten, das Vergangenheit
nicht rekonstruiert, sondern aktualisiert. Stölzl nutzt das Mittelalter
als Projektionsfläche, um Fragen nach Toleranz, Machtmissbrauch
und wissenschaftlicher Verantwortung zu stellen – Fragen, die
weniger dem 11. Jahrhundert als vielmehr der Gegenwart gelten.
Historisch
besonders interessant ist die Figur des Medicus selbst als Grenzgänger
zwischen Kulturen. Rob Cole verkörpert eine humanistische Idee
avant la lettre: Wissen als universelles Gut, unabhängig von
Religion oder Herkunft. Diese Figur ist weniger historisch plausibel
als ideengeschichtlich programmatisch. Der Film schreibt damit eine
Fortschrittserzählung, die sich bewusst gegen zyklische oder
fatalistische Geschichtsbilder stellt und stattdessen auf individuelle
Verantwortung und moralische Standfestigkeit setzt. In der Inszenierung
des mittelalterlichen Europas findet der Film zu großer visueller
Überzeugungskraft. Ausstattung, Kostüme und Schauplatzwechsel
erzeugen ein dichtes Weltgefühl, das weniger Authentizität
als atmosphärische Glaubwürdigkeit anstrebt. Historische
Räume werden als lebendige, konfliktreiche Systeme erfahrbar
gemacht. Diese sinnliche Qualität trägt wesentlich dazu
bei, dass der Film trotz erzählerischer Abschweifungen seine
Wirkung entfaltet. Auch die Figurenzeichnung
folgt einem historischen Deutungsmuster: Adel, Klerus und medizinische
Zünfte erscheinen als konkurrierende Machtblöcke, deren
Interessen sich weniger aus Moral als aus Selbsterhalt speisen. Die
höfischen Intrigen rund um die Heilung des Königs fügen
sich dabei schlüssig in eine lange Tradition des Historienfilms
ein, in dem der menschliche Körper – krank, heilbar, sterblich
– zum politischen Schauplatz wird. „Der Medicus 2“
ist damit weniger ein streng historischer Film als ein historisch
argumentierender. Er nutzt die Vergangenheit, um Prozesse sichtbar
zu machen: die Gewalt des Ausschlusses, die Zerbrechlichkeit von Fortschritt
und die Einsamkeit desjenigen, der seiner Zeit voraus ist. In dieser
Perspektive liegt seine besondere Qualität. Der Film lädt
nicht zur belehrenden Geschichtsstunde, sondern zur reflektierenden
Auseinandersetzung mit Geschichte als fortwährendem Konfliktfeld
ein. Als Kinoereignis zum Jahresende verbindet Der Medicus 2 opulente
Schauwerte mit ideengeschichtlichem Anspruch. Gerade in seiner bewussten
Unschärfe zwischen Historie und Interpretation entfaltet er eine
produktive Spannung, die ihn über das Genre des klassischen Historienfilms
hinaushebt. Er ist weniger Chronik als Kommentar – und genau
darin liegt seine nachhaltige Stärke.
DER MEDICUS 2
Start:
25.12.25 | FSK 12
R: Philipp Stölzl | D: Tom Payne (II), Emily Cox, Aidan Gillen
USA, Deutschland, Ungarn 2025 | Constantin Film Verleih