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KINO | 17.12.2025

HOLY MEAT

„Holy Meat“ ist eine furiose, ebenso wütende wie zärtliche Abrechnung mit Kirche, Kapital und kollektiver Heuchelei. Zwischen Provinzsatire und radikalem Performancekino entfaltet sich eine Sozialkritik von seltener formaler Kühnheit. Ein Film, der provoziert, ohne zu verachten – und der gerade darin seine größte Stärke entfaltet.

von Franziska Keil


© Matthias Reisser

Mit „Holy Meat“, der am 01. Januar in den Kinos startet, legt Alison Kuhn ein bemerkenswertes Kinodebüt vor, das Sozialkritik nicht als moralische Anklage inszeniert, sondern als ästhetisches Risiko. Der Film verbindet groteske Satire, performative Radikalität und tief empfundene Empathie zu einem Werk, das gleichermaßen verstört wie berührt. In seiner formalen Unerschrockenheit und thematischen Vielschichtigkeit positioniert sich „Holy Meat“ als einer der eigenwilligsten deutschsprachigen Filme der jüngeren Zeit. Ausgangspunkt ist eine bewusst überfordernde Provokation: eine als Performance-Theater inszenierte Passion Christi, die religiöse Symbolik, Konsumkritik und sexuelle Transgression zu einem exzessiven Bildersturm verdichtet. Doch diese Szene ist weniger Selbstzweck als programmatische Setzung. Sie markiert den ästhetischen wie inhaltlichen Horizont des Films: die radikale Befragung gesellschaftlicher Systeme, in denen Opferbereitschaft, Ausbeutung und Sinnstiftung unauflöslich miteinander verknüpft sind. Der Körper – geopfert, vermarktet, begehrt – wird zum zentralen Austragungsort sozialer Widersprüche. Im Kontrast zu dieser Überwältigungsästhetik entfaltet sich die eigentliche Erzählung in der schwäbischen Provinz. Winteringen erscheint zunächst als Ort der Stagnation, des Kuhmists und der Kirchturmmentalität, doch der Film unterläuft diese Erwartung konsequent. Die Dorfgemeinschaft ist kein rückständiges Kollektiv, sondern ein soziales Gefüge im Umbruch, gezeichnet von ökonomischem Druck, institutionellem Bedeutungsverlust und individueller Vereinsamung. „Holy Meat“ zeichnet damit ein präzises Bild ländlicher Gegenwart, das sich jeder herablassenden Ironie verweigert. Zentral ist die Figur des dänischen Pfarrers Oskar, dessen Glaubenskrise weniger theologischer als struktureller Natur ist. Die Kirche erscheint als ökonomisch durchrationalisierter Apparat, in dem spirituelle Praxis an Rentabilität gekoppelt ist. Oskars verzweifelter Versuch, die Gemeinde zu retten, offenbart eine Institution, die sich selbst überlebt hat und dennoch mit erstaunlicher Zähigkeit an Machtmechanismen festhält.


© Matthias Reisser

Sozialkritisch gelesen ist „Holy Meat“ hier ein Film über die Kapitalisierung des Sinns: Glauben wird zur Ware, Hoffnung zur Ressource, Sterben zum Geschäftsmodell. Demgegenüber steht Mia, die Metzgerstochter, deren Rückkehr ins Dorf nicht nur eine familiäre, sondern auch eine klassenpolitische Dimension hat. Die Metzgerei wird zum symbolischen Gegenraum zur Kirche: ein Ort handfester Arbeit, körperlicher Realität und ökonomischer Notwendigkeit. Fleisch, Blut und Tod sind hier keine metaphysischen Chiffren, sondern Alltag. Der Film nutzt diese Parallelität, um die Nähe von religiöser Opferlogik und industrieller Verwertung offenzulegen – ohne moralische Simplifizierung, sondern mit bitterem Humor und analytischer Schärfe. Die dritte zentrale Figur, der Theaterregisseur Roberto, fungiert als Katalysator. Seine radikale Kunstauffassung kollidiert mit provinziellen Erwartungen ebenso wie mit kirchlicher Instrumentalisierung. Doch „Holy Meat“ verweigert die einfache Gegenüberstellung von progressiver Kunst und reaktionärer Provinz. Vielmehr zeigt der Film, wie Kunst selbst Teil von Macht- und Eitelkeitsstrukturen werden kann. Sozialkritisch ist dies ein entscheidender Punkt: Auch der vermeintlich subversive Gestus bleibt nicht frei von Blindstellen. Bemerkenswert ist dabei der Tonfall der Inszenierung. So drastisch die Bilder, so liebevoll der Blick auf die Figuren. Alison Kuhn begegnet ihren Protagonistinnen und Protagonisten mit großer Zärtlichkeit, ohne ihre Abgründe zu beschönigen. Alle Figuren sind Suchende, vereint durch Einsamkeit, Schuld und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Der Film entwirft Gemeinschaft nicht als harmonisches Ideal, sondern als fragiles Ergebnis von Zumutung, Aushandlung und gegenseitiger Anerkennung. Die sozialkritische Dimension von „Holy Meat“ liegt somit weniger in plakativen Thesen als in der Verknüpfung von Institutionenkritik und individueller Erfahrung. Kirche, Kunst und Kapitalismus erscheinen nicht als abstrakte Systeme, sondern als konkrete Lebensrealitäten, die Körper, Beziehungen und Biografien prägen. Dass der Film dabei Humor, Groteske und Provokation einsetzt, ist kein Selbstzweck, sondern Ausdruck eines zutiefst politischen Verständnisses von Kino: Kunst soll stören, irritieren und zugleich verbinden.


HOLY MEAT

Start: 01.01.26 | FSK 12
R: Maren-Kea Freese | D: Pit Bukowski, Lars Brygmann
Deutschland 2024 | Camino Filmverleih


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