„Holy
Meat“ ist eine furiose, ebenso wütende wie zärtliche
Abrechnung mit Kirche, Kapital und kollektiver Heuchelei. Zwischen
Provinzsatire und radikalem Performancekino entfaltet sich eine Sozialkritik
von seltener formaler Kühnheit. Ein Film, der provoziert, ohne
zu verachten – und der gerade darin seine größte
Stärke entfaltet.
Mit
„Holy Meat“, der am 01. Januar in den Kinos startet, legt
Alison Kuhn ein bemerkenswertes Kinodebüt vor, das Sozialkritik
nicht als moralische Anklage inszeniert, sondern als ästhetisches
Risiko. Der Film verbindet groteske Satire, performative Radikalität
und tief empfundene Empathie zu einem Werk, das gleichermaßen
verstört wie berührt. In seiner formalen Unerschrockenheit
und thematischen Vielschichtigkeit positioniert sich „Holy Meat“
als einer der eigenwilligsten deutschsprachigen Filme der jüngeren
Zeit. Ausgangspunkt ist eine bewusst überfordernde Provokation:
eine als Performance-Theater inszenierte Passion Christi, die religiöse
Symbolik, Konsumkritik und sexuelle Transgression zu einem exzessiven
Bildersturm verdichtet. Doch diese Szene ist weniger Selbstzweck als
programmatische Setzung. Sie markiert den ästhetischen wie inhaltlichen
Horizont des Films: die radikale Befragung gesellschaftlicher Systeme,
in denen Opferbereitschaft, Ausbeutung und Sinnstiftung unauflöslich
miteinander verknüpft sind. Der Körper – geopfert,
vermarktet, begehrt – wird zum zentralen Austragungsort sozialer
Widersprüche. Im Kontrast zu dieser Überwältigungsästhetik
entfaltet sich die eigentliche Erzählung in der schwäbischen
Provinz. Winteringen erscheint zunächst als Ort der Stagnation,
des Kuhmists und der Kirchturmmentalität, doch der Film unterläuft
diese Erwartung konsequent. Die Dorfgemeinschaft ist kein rückständiges
Kollektiv, sondern ein soziales Gefüge im Umbruch, gezeichnet
von ökonomischem Druck, institutionellem Bedeutungsverlust und
individueller Vereinsamung. „Holy Meat“ zeichnet damit
ein präzises Bild ländlicher Gegenwart, das sich jeder herablassenden
Ironie verweigert. Zentral ist die Figur des dänischen Pfarrers
Oskar, dessen Glaubenskrise weniger theologischer als struktureller
Natur ist. Die Kirche erscheint als ökonomisch durchrationalisierter
Apparat, in dem spirituelle Praxis an Rentabilität gekoppelt
ist. Oskars verzweifelter Versuch, die Gemeinde zu retten, offenbart
eine Institution, die sich selbst überlebt hat und dennoch mit
erstaunlicher Zähigkeit an Machtmechanismen festhält.
Sozialkritisch
gelesen ist „Holy Meat“ hier ein Film über die Kapitalisierung
des Sinns: Glauben wird zur Ware, Hoffnung zur Ressource, Sterben
zum Geschäftsmodell. Demgegenüber steht Mia, die Metzgerstochter,
deren Rückkehr ins Dorf nicht nur eine familiäre, sondern
auch eine klassenpolitische Dimension hat. Die Metzgerei wird zum
symbolischen Gegenraum zur Kirche: ein Ort handfester Arbeit, körperlicher
Realität und ökonomischer Notwendigkeit. Fleisch, Blut und
Tod sind hier keine metaphysischen Chiffren, sondern Alltag. Der Film
nutzt diese Parallelität, um die Nähe von religiöser
Opferlogik und industrieller Verwertung offenzulegen – ohne
moralische Simplifizierung, sondern mit bitterem Humor und analytischer
Schärfe. Die dritte zentrale Figur, der Theaterregisseur Roberto,
fungiert als Katalysator. Seine radikale Kunstauffassung kollidiert
mit provinziellen Erwartungen ebenso wie mit kirchlicher Instrumentalisierung.
Doch „Holy Meat“ verweigert die einfache Gegenüberstellung
von progressiver Kunst und reaktionärer Provinz. Vielmehr zeigt
der Film, wie Kunst selbst Teil von Macht- und Eitelkeitsstrukturen
werden kann. Sozialkritisch ist dies ein entscheidender Punkt: Auch
der vermeintlich subversive Gestus bleibt nicht frei von Blindstellen.
Bemerkenswert ist dabei der Tonfall der Inszenierung. So drastisch
die Bilder, so liebevoll der Blick auf die Figuren. Alison Kuhn begegnet
ihren Protagonistinnen und Protagonisten mit großer Zärtlichkeit,
ohne ihre Abgründe zu beschönigen. Alle Figuren sind Suchende,
vereint durch Einsamkeit, Schuld und den Wunsch nach Zugehörigkeit.
Der Film entwirft Gemeinschaft nicht als harmonisches Ideal, sondern
als fragiles Ergebnis von Zumutung, Aushandlung und gegenseitiger
Anerkennung. Die sozialkritische Dimension von „Holy Meat“
liegt somit weniger in plakativen Thesen als in der Verknüpfung
von Institutionenkritik und individueller Erfahrung. Kirche, Kunst
und Kapitalismus erscheinen nicht als abstrakte Systeme, sondern als
konkrete Lebensrealitäten, die Körper, Beziehungen und Biografien
prägen. Dass der Film dabei Humor, Groteske und Provokation einsetzt,
ist kein Selbstzweck, sondern Ausdruck eines zutiefst politischen
Verständnisses von Kino: Kunst soll stören, irritieren und
zugleich verbinden.
HOLY MEAT
Start:
01.01.26 | FSK 12
R: Maren-Kea Freese | D: Pit Bukowski, Lars Brygmann
Deutschland 2024 | Camino Filmverleih