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KINO | 18.09.2025

GANZER HALBER BRUDER
Zwischen Mut zum Tabu und dramaturgischer Konventionalität

Ab dem 18. September im Kino: "Ganzer halber Bruder" wagt sich an die heikle Kombination von Inklusion und Komödie. Christoph Maria Herbst überzeugt, Nicolas Randel bringt Herz – doch die formelhafte Dramaturgie bremst die Ambition. Ein Film, der berührt, aber selten überrascht.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 2025 Neue Schönhauser / WILD Bunch Germany

Am 18. September startet Hanno Olderdissens „Ganzer halber Bruder“ in den Kinos – eine Komödie, die sich in jenem schwierigen Spannungsfeld bewegt, das zwischen Unterhaltung, Inklusion und moralischer Verantwortung liegt. Filme, die Menschen mit Behinderung ins Zentrum einer humoristischen Handlung rücken, laufen stets Gefahr, entweder in Betroffenheitsklischees zu erstarren oder ins verletzende Ressentiment abzugleiten. Olderdissens Werk entscheidet sich für den Weg dazwischen: Es will mit Leichtigkeit erzählen, scheut auch vor bösen Pointen nicht zurück, und zielt doch auf eine versöhnliche Botschaft. Dass dieser Balanceakt nicht immer gelingt, macht die Ambivalenz des Films aus. Im Mittelpunkt steht Thomas, ein von Christoph Maria Herbst mit gewohnter Präzision gespielter Hochstapler und Kleinganove, der nach seiner Haftentlassung zu einem millionenschweren Erbe kommt – mit einer entscheidenden Einschränkung: Sein Halbbruder Sunny (Nicolas Randel), der das Down-Syndrom hat, besitzt ein lebenslanges Wohnrecht im geerbten Haus. Was als ökonomischer Konflikt beginnt, entwickelt sich zur moralischen Prüfung, die Thomas zwingt, familiäre Bande und die Möglichkeit von Nähe neu zu verhandeln. Das Drehbuch von Clemente Fernandez-Gil setzt bewusst auf eine einfache, lineare Struktur: Zwei Brüder, deren Lebenswelten nicht unterschiedlicher sein könnten, müssen aufeinanderprallen, um im Laufe der Handlung Schritt für Schritt Verständnis füreinander zu entwickeln. Diese dramaturgische Einfachheit hat Vor- und Nachteile. Einerseits bleibt die Geschichte für ein breites Publikum zugänglich, andererseits wirkt sie stellenweise formelhaft, fast kalkuliert auf einen emotionalen Endpunkt hin. Die Figurenzeichnung folgt archetypischen Mustern: Thomas als Zyniker, der in Geldgier und Einsamkeit gefangen ist, Sunny als Herzfigur, deren unschuldige Lebensfreude den Bruder Schritt für Schritt entwaffnet. Dass Sunny nicht als hilfloses Klischee, sondern als eigenständiger Charakter mit Hobbys, Freunden und Gefühlen dargestellt wird, gehört zu den stärksten Momenten des Films.


© 2025 Neue Schönhauser / WILD Bunch Germany

Doch das Spiel mit Kontrasten – Thomas der Desillusionierte, Sunny der Behütete – bleibt häufig auf plakative Schlaglichter reduziert. Formal bedient sich Olderdissen bekannter Motive des Buddy-Films: das ungleiche Duo, der ständige Schlagabtausch, die unfreiwillige Annäherung. Stilsicher ist dabei der Einsatz des Songs „Sunny“, der in verschiedenen Versionen durch den Film mäandert und als musikalisches Leitmotiv fungiert. Ob als Walkman-Untermalung, Radiosoundtrack oder Off-Kommentar – die Variationen strukturieren die emotionale Dynamik und gewähren zugleich Einblick in Sunnys Perspektive. Dieses Stilmittel verleiht dem Film eine gewisse poetische Note, die über manche dramaturgische Simplifizierung hinwegträgt. Problematisch bleibt jedoch die Inszenierung mancher überzeichneter Nebenfiguren: der grotesk inszenierte Bewährungshelfer oder Szenen, in denen Sunny ohne größere Erklärung ein Auto steuert, unterminieren die Glaubwürdigkeit des Settings. Hier kollidiert die Ambition, eine ernsthafte Familiengeschichte zu erzählen, mit den Konventionen der Komödie, die nach Übertreibung verlangt.


FAZIT

Trotz seiner Schwächen gelingt es Ganzer halber Bruder, immer wieder Momente echter Wärme und Aufrichtigkeit zu erzeugen. Wenn Sunny mit wenigen Gesten Nähe vermittelt, wenn Yesim (Sesede Terziyan) als vermittelnde Figur sichtbar macht, dass Inklusion nur gelingt, wenn man den Menschen in seiner Ganzheit wahrnimmt, dann offenbart der Film sein Potenzial. Doch diese starken Szenen werden von der Vorhersehbarkeit des Plots immer wieder abgeschwächt. "Ganzer halber Bruder" ist kein Meilenstein des inklusiven Kinos, wohl aber ein Versuch, Humor und Menschlichkeit miteinander zu verbinden. Die Komödie bewegt sich zwischen Mut und Konventionalität, zwischen pointiertem Witz und dramaturgischem Schema. Kritisch bleibt festzuhalten: Der Film spricht wichtige Themen an, ohne sie radikal zu durchdringen. Doch er öffnet ein Publikum, das mit ernster Sozialdramatik vielleicht schwerer zu erreichen wäre, für Fragen von Vorurteil, Familie und Zusammenhalt.


GANZER HALBER BRUDER

Start: 18.09.25 | FSK 12
R: Hanno Olderdissen | D: Christoph Maria Herbst, Nicolas Randel, Sesede Terziyan
Deutschland 2025 | Wild Bunch Germany


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