GANZER
HALBER BRUDER
Zwischen Mut zum Tabu und dramaturgischer Konventionalität
Ab dem
18. September im Kino: "Ganzer halber Bruder" wagt sich
an die heikle Kombination von Inklusion und Komödie. Christoph
Maria Herbst überzeugt, Nicolas Randel bringt Herz – doch
die formelhafte Dramaturgie bremst die Ambition. Ein Film, der berührt,
aber selten überrascht.
Am
18. September startet Hanno Olderdissens „Ganzer halber Bruder“
in den Kinos – eine Komödie, die sich in jenem schwierigen
Spannungsfeld bewegt, das zwischen Unterhaltung, Inklusion und moralischer
Verantwortung liegt. Filme, die Menschen mit Behinderung ins Zentrum
einer humoristischen Handlung rücken, laufen stets Gefahr, entweder
in Betroffenheitsklischees zu erstarren oder ins verletzende Ressentiment
abzugleiten. Olderdissens Werk entscheidet sich für den Weg dazwischen:
Es will mit Leichtigkeit erzählen, scheut auch vor bösen
Pointen nicht zurück, und zielt doch auf eine versöhnliche
Botschaft. Dass dieser Balanceakt nicht immer gelingt, macht die Ambivalenz
des Films aus. Im Mittelpunkt steht Thomas, ein von Christoph Maria
Herbst mit gewohnter Präzision gespielter Hochstapler und Kleinganove,
der nach seiner Haftentlassung zu einem millionenschweren Erbe kommt
– mit einer entscheidenden Einschränkung: Sein Halbbruder
Sunny (Nicolas Randel), der das Down-Syndrom hat, besitzt ein lebenslanges
Wohnrecht im geerbten Haus. Was als ökonomischer Konflikt beginnt,
entwickelt sich zur moralischen Prüfung, die Thomas zwingt, familiäre
Bande und die Möglichkeit von Nähe neu zu verhandeln. Das
Drehbuch von Clemente Fernandez-Gil setzt bewusst auf eine einfache,
lineare Struktur: Zwei Brüder, deren Lebenswelten nicht unterschiedlicher
sein könnten, müssen aufeinanderprallen, um im Laufe der
Handlung Schritt für Schritt Verständnis füreinander
zu entwickeln. Diese dramaturgische Einfachheit hat Vor- und Nachteile.
Einerseits bleibt die Geschichte für ein breites Publikum zugänglich,
andererseits wirkt sie stellenweise formelhaft, fast kalkuliert auf
einen emotionalen Endpunkt hin. Die Figurenzeichnung folgt archetypischen
Mustern: Thomas als Zyniker, der in Geldgier und Einsamkeit gefangen
ist, Sunny als Herzfigur, deren unschuldige Lebensfreude den Bruder
Schritt für Schritt entwaffnet. Dass Sunny nicht als hilfloses
Klischee, sondern als eigenständiger Charakter mit Hobbys, Freunden
und Gefühlen dargestellt wird, gehört zu den stärksten
Momenten des Films.
Doch
das Spiel mit Kontrasten – Thomas der Desillusionierte, Sunny
der Behütete – bleibt häufig auf plakative Schlaglichter
reduziert. Formal bedient sich Olderdissen bekannter Motive des Buddy-Films:
das ungleiche Duo, der ständige Schlagabtausch, die unfreiwillige
Annäherung. Stilsicher ist dabei der Einsatz des Songs „Sunny“,
der in verschiedenen Versionen durch den Film mäandert und als
musikalisches Leitmotiv fungiert. Ob als Walkman-Untermalung, Radiosoundtrack
oder Off-Kommentar – die Variationen strukturieren die emotionale
Dynamik und gewähren zugleich Einblick in Sunnys Perspektive.
Dieses Stilmittel verleiht dem Film eine gewisse poetische Note, die
über manche dramaturgische Simplifizierung hinwegträgt.
Problematisch bleibt jedoch die Inszenierung mancher überzeichneter
Nebenfiguren: der grotesk inszenierte Bewährungshelfer oder Szenen,
in denen Sunny ohne größere Erklärung ein Auto steuert,
unterminieren die Glaubwürdigkeit des Settings. Hier kollidiert
die Ambition, eine ernsthafte Familiengeschichte zu erzählen,
mit den Konventionen der Komödie, die nach Übertreibung
verlangt.
FAZIT
Trotz
seiner Schwächen gelingt es Ganzer halber Bruder, immer wieder
Momente echter Wärme und Aufrichtigkeit zu erzeugen. Wenn Sunny
mit wenigen Gesten Nähe vermittelt, wenn Yesim (Sesede Terziyan)
als vermittelnde Figur sichtbar macht, dass Inklusion nur gelingt,
wenn man den Menschen in seiner Ganzheit wahrnimmt, dann offenbart
der Film sein Potenzial. Doch diese starken Szenen werden von der
Vorhersehbarkeit des Plots immer wieder abgeschwächt. "Ganzer
halber Bruder" ist kein Meilenstein des inklusiven Kinos, wohl
aber ein Versuch, Humor und Menschlichkeit miteinander zu verbinden.
Die Komödie bewegt sich zwischen Mut und Konventionalität,
zwischen pointiertem Witz und dramaturgischem Schema. Kritisch bleibt
festzuhalten: Der Film spricht wichtige Themen an, ohne sie radikal
zu durchdringen. Doch er öffnet ein Publikum, das mit ernster
Sozialdramatik vielleicht schwerer zu erreichen wäre, für
Fragen von Vorurteil, Familie und Zusammenhalt.
GANZER HALBER BRUDER
Start:
18.09.25 | FSK 12
R: Hanno Olderdissen | D: Christoph Maria Herbst, Nicolas Randel,
Sesede Terziyan
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