KINO | 02.07.2025

HOT MILK

„Ich wäre lieber tot, als angekettet. Du nicht auch?“ Während der Hund, der auf dem Dach des Nachbarhauses angebunden ist, unentwegt bellt, verbringt Sofia fast jede Minute ihres Tages damit, ihre kranke Mutter Rose zu unterstützen. In der Sonne Almerías entfaltet sich mit „Hot Milk“ das Regiedebüt der Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz und in der sengenden Hitze beginnen nicht nur der Körper, sondern auch seelische Verkrustungen aufzubrechen.

von Laura Sternberg


© METROPOLITAN FILMEXPORT

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Deborah Levy, erzählt der Film die Geschichte der jungen Sofia (Emma Mackey) und ihrer kranken Mutter Rose (Fiona Shaw), deren Beziehung von Abhängigkeiten, stummen Anklagen und latenter Gewalt geprägt ist. In der spanischen Küstenstadt Almería suchen sie Hilfe bei dem mysteriösen Heiler Gómez (Vincent Perez), der den Schlüssel zu Roses rätselhafter Krankheit haben könnte. Während zwischen den beiden lange schwelende Spannungen hochkochen, fühlt sich Sofia zu der freigeistigen Ingrid (Vicky Krieps) hingezogen – eine Beziehung, die sie gleichzeitig befreit und destabilisiert.

Visuell überzeugt „Hot Milk“ durch eine dichte Bildsprache, welche oft wie eine Fata Morgana anmutet – fiebrig, flüchtig und nie so, wie es von außen erscheint. Die südspanische Landschaft wird nicht als malerisches Urlaubspanorama, sondern als psychologisch aufgeladenen Bühne innerer Konflikte eingefangen. Die Hitze wird zur Metapher für unterdrückte Sehnsüchte, körperliche Enge und brennende, unverarbeitete Emotionen. Immer wieder taucht auch das Motiv des Wassers auf – mal als Bedrohung, mal als Möglichkeit zur Besserung, aber nie als klare Lösung. Symbole und Metaphern hat dieser Film zur Genüge zu bieten. Von bellenden Hunden, über dehydrierte Mütter bis hin zu giftigen Quallen ist alles mit Bedeutung aufgeladen, nichts zufällig. Lenkiewicz komponiert ihren Film wie einen inneren Monolog: fragmentarisch, schweigend, fordernd. Sprachlich reduziert, fast schon minimalistisch im Dialog, lebt „Hot Milk“ vor allem von seinen suggestiven Bildern und seiner atmosphärischen Dichte.


© METROPOLITAN FILMEXPORT

Die Kamera verweilt lange auf Gesichtern, Haut, Staub und Lichtspielen – eine Erfahrung, die sich dem rationalen Zugriff entzieht und vielmehr ins Unterbewusste zielt. Emma Mackey überzeugt in der Rolle der Sofia mit einer nuancierten Darstellung zwischen kindlicher Fürsorglichkeit, unterdrückter Wut und der unausgesprochenen Sehnsucht auf ein eigenes Leben. Fiona Shaw als Rose gelingt es, zwischen Hilflosigkeit, Manipulation und starrsinniger Kontrolle zu balancieren, sodass nie ganz klar ist, wie „krank“ sie tatsächlich ist. Genau diese Ambivalenz macht den Film so beklemmend wie faszinierend. Der Film verlangt Geduld, Zuhören, Mitfühlen. Es gibt kaum klassische Dramaturgie, keinen befriedigenden Höhepunkt, kein eindeutiges Ende. Stattdessen begleitet man Sofia durch eine existenzielle Schwelle: Sie muss entscheiden, wer sie ist – abseits ihrer Mutter und den Erwartungen, die diese an sie stellt. Dass die Geschichte dabei manchmal diffus bleibt, ist kein Mangel, sondern Konzept: „Hot Milk“ interessiert sich nicht für Auflösungen oder Eindeutigkeiten, sondern für die Prozesse des Werdens, Loslösens, Erkennens. Es geht weniger darum, Antworten zu geben, als darum, eine Erfahrung entstehen zu lassen – körperlich, emotional, existenziell.

„Hot Milk“ ist kein Film für nebenbei, kein crowd-pleaser. Der Zuschauer wird nicht an die Hand genommen – vielmehr muss er sich den Weg durch Sofias innere Landschaft selbst erschließen. Das macht diesen Film durchaus anstrengend, wenn man zu den behandelten Thematiken keinen persönlichen Bezug hat. Der Film fordert Auseinandersetzung, stellt Fragen, ohne sie zu beantworten, und konfrontiert mit der Unausweichlichkeit emotionaler Wahrheiten. „Hot Milk“ ist daher auf keinen Fall jedermanns Sache, wer sich aber auf die Handlung einlässt, sich hineinversetzt und versucht, nachzuvollziehen, wird mit einem emotional aufgeladenen Drama belohnt, das lange nachwirkt.


HOT MILK

Start: 03.07.25 | FSK 12
R: Rebecca Lenkiewicz | D: Emma Mackey, Fiona Shaw, Vincent Perez
Großbritannien 2025 | MUBI


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