Yun ist
weg! Die Suche nach ihrer Schwester führt die Chinesin Mei nach
Italien in die Ewige Stadt, ins Casino „Città Proibita“.
Das unehrenhafte Etablissement ist in der Hand chinesischer Gangster,
die sich bei der Vermisstensuche wenig kooperativ zeigen. Schwerer
Fehler, denn Mei wurde ihr Leben lang nach allen Regeln der Kunst
in Kung Fu ausgebildet.
Mit
„Kung Fu in Rome“, der am 11. September in den deutschen
Kinos startet, wagt sich Regisseur Gabriele Mainetti auf ein Terrain,
das auf den ersten Blick wie eine kühne Hybrid-Idee wirkt: die
Verschmelzung von klassischem Martial-Arts-Kino mit der filmischen
Tradition des italienischen Melodrams und der römischen Stadterzählung.
Was leicht als kurioses Genre-Experiment hätte enden können,
entfaltet sich hier zu einem ebenso bildgewaltigen wie emotional vielschichtigen
Werk, das die Erwartungen an einen Actionfilm souverän unterläuft.
Der italienische Originaltitel „La Città Proibita“
verweist auf das multikulturelle Viertel Esquilino, unweit der Piazza
Vittorio, das längst ein eigenes Narrativ innerhalb der römischen
Urbanität darstellt. Hier siedelt Mainetti seine Geschichte an,
die einerseits von der Härte eines Milieus erzählt, in dem
Triaden Strukturen dominieren, andererseits aber auch von der Fragilität
menschlicher Nähe. Schon diese geografische Verortung macht den
Film besonders: Die Kamera erkundet die pulsierende Textur eines Stadtviertels,
das vom Nebeneinander verschiedenster Kulturen lebt – und hebt
es ins Poetische. Mainetti beginnt seinen Film mit einem fulminanten
Versprechen: In einer mehr als zehnminütigen Eröffnungssequenz
kämpft sich die Protagonistin Mei, gespielt von Yaxi Liu, durch
ein Bordell und eine Restaurantküche. Die Choreografien –
inszeniert unter der Leitung von Trayan Milenov-Troy, einem international
renommierten Stuntkoordinator – vereinen Härte, Präzision
und eine ironische Leichtigkeit, die an die großen Klassiker
des Hongkong-Kinos erinnern. Dass diese Szenen nicht nur als Action-Setpieces
funktionieren, sondern zugleich eine visuelle Einführung in die
Figur der Mei darstellen, zeigt Mainettis Gespür für das
Narrativ im Physischen: Jede Bewegung, jeder Schlag erzählt auch
von ihrer Entschlossenheit, ihre Schwester wiederzufinden. So wuchtig
und kompromisslos der Auftakt ist, so sehr öffnet sich der Film
im weiteren Verlauf einer leisen, fast zärtlichen Dimension.
Die
Begegnung zwischen Mei und dem jungen Römer Marcello (Enrico
Borello) folgt zunächst den Gesetzen des Gegensatzes: Sie die
Fremde, wortlos, kompromisslos in ihrer Mission; er gefangen in familiären
Brüchen und einem Gefühl der Entwurzelung. Doch gerade aus
dieser Sprachlosigkeit erwächst eine unerwartete Nähe, die
den Film über das Genre hinaushebt. Eine Vespa-Fahrt durch das
nächtliche Rom wird dabei zur emblematischen Szene: Hier
verbindet sich die physische Energie des Kung-Fu mit der melancholischen
Schönheit einer Sommernacht in der Ewigen Stadt – eine
Sequenz, die filmgeschichtlich fast wie eine ironische Spiegelung
von William Wylers „Ein Herz und eine Krone“ wirkt. Mainetti,
der mit „Freaks Out“ bereits internationale Beachtung
fand, zeigt sich erneut als Regisseur, der Genres nicht kopiert, sondern
transformiert. Der Actionfilm wird bei ihm nicht zum Selbstzweck,
sondern zur Folie, auf der gesellschaftliche Konflikte sichtbar werden:
Migration, Identität, familiäre Brüche. Die choreografierten
Kämpfe sind von atemberaubender Präzision, doch ihre Seltenheit
im über zweistündigen Film macht deutlich, dass es Mainetti
um mehr geht: um Figuren, die sich annähern, verlieren und neu
erfinden. Die Bildsprache trägt diese Ambivalenz. Mal inszeniert
er Rom in glühenden Sommerfarben, mal in kaltem Neonlicht, das
die Schattenseiten der Stadt offenbart. So entsteht ein Werk, das
gleichermaßen atmet wie kämpft. Yaxi Liu, die zuvor als
Stunt-Double in Disneys „Mulan“ tätig war, trägt
den Film mit einer Präsenz, die weit über die Kampfkunst
hinausreicht. Sie verkörpert Mei als Figur, die gleichzeitig
verletzlich und unerschütterlich wirkt, und verleiht ihr eine
emotionale Tiefe, die man in martialischen Rollen selten sieht. Enrico
Borello findet als Marcello einen stillen, unaufdringlichen Ton, der
der Härte der Action eine menschliche Wärme entgegensetzt.
In Nebenrollen glänzen Shanshan Chunyu als ambivalenter Triaden-Boss
und Sabrina Ferilli als Mutterfigur, die dem Drama eine zusätzliche
Schicht familiärer Wunden verleiht. Am 11. September startet
„Kung Fu in Rome“ in den deutschen Kinos – und dürfte
sich als einer der ungewöhnlichsten, zugleich aber auch charmantesten
Genrebeiträge des Jahres erweisen.