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KINO | 06.08.2025

PRIMADONNA OR NOTHING

Juliane Sauters Kinodokumentarfilm PRIMADONNA OR NOTHING begleitet drei Sängerinnen auf ihrem Weg und beobachtet die Hingabe und Leidenschaft, die die Opernwelt von ihnen fordert. Valerie Eickhoff aus Deutschland steht erst am Anfang. Joy Blue lebt das Leben, von dem Valerie träumt: Die amerikanische Grammy-Gewinnerin singt weltweit auf den größten Bühnen. Die legendäre Sopranistin Renata Scotto blickt in ihrer Heimatstadt Savona auf ein Leben im Rampenlicht zurück.

von Franziska Keil


© Camino Filmverleih GmbH 2025

Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Transformation erhebt sich mit PRIMADONNA OR NOTHING ein Dokumentarfilm, der nicht nur einer Kunstform neues Leben einhaucht, sondern zugleich drei bemerkenswerten Frauen ein würdiges filmisches Denkmal setzt. Regisseurin Juliane Sauter gelingt mit diesem Werk weit mehr als eine Milieustudie über die Welt der Oper: Sie entwirft ein vielschichtiges Porträt weiblicher Selbstbehauptung und künstlerischer Integrität, das von ungeheurer Relevanz für gegenwärtige kulturfeministische Diskurse ist. Die Kamera folgt drei Protagonistinnen, deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten – und die doch durch einen gemeinsamen inneren Antrieb verbunden sind: die kompromisslose Hingabe an die Kunst und der unbedingte Wille zur Selbstverwirklichung. Auf der einen Seite die legendäre Renata Scotto, Grande Dame des internationalen Opernbetriebs, auf der anderen Seite Valerie Eickhoff, eine junge deutsche Mezzosopranistin auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft – dazwischen die international gefeierte Angel Blue, deren Karriere als afroamerikanische Sängerin zwischen Anerkennung, Erwartungsdruck und Emanzipation verortet ist. Sauter verfolgt keine klassische Dramaturgie, sondern schafft eine fein komponierte Dramaturgie des Alltags, der Wiederholung, der Stille und des Übens. Gerade in dieser Zurückgenommenheit liegt die Stärke des Films: Er offenbart den hohen Preis, den künstlerische Exzellenz oft fordert – insbesondere von Frauen, die in einem Betrieb reüssieren, der über Jahrhunderte von männlichen Machtstrukturen geprägt war. Die Kamera bleibt stets auf Augenhöhe, wahrt Nähe ohne Indiskretion und beobachtet mit respektvoller Geduld. Renata Scotto, längst eine Ikone, ist dabei keine entrückte Diva, sondern eine leidenschaftliche Mentorin, die ihr Wissen ebenso offen wie entschieden teilt. Ihr Rückblick auf eine Weltkarriere gerät nie zur Selbstverherrlichung, sondern offenbart eine künstlerische Ethik, die auf Hingabe, Disziplin und emotionale Authentizität fußt. Ihre Altersweisheit kontrastiert mit dem tastenden Ehrgeiz Valerie Eickhoffs, deren Weg geprägt ist von ständiger Selbstüberprüfung und dem unbedingten Wunsch, sich als Künstlerin zu behaupten, ohne sich zu verbiegen.


© Camino Filmverleih GmbH 2025

Im Zentrum beider Biografien steht das existenzielle Moment des Singens – nicht als bloßer Beruf, sondern als Lebensform. Angel Blue wiederum verleiht dem Film eine politische Tiefenschärfe, indem sie nicht nur von ihrer Karriere spricht, sondern auch über Rassismus, Repräsentation und die Last kollektiver Projektion reflektiert. Ihre Stimme steht für eine neue Generation von Sängerinnen, die die Institution Oper nicht nur beleben, sondern verändern wollen – mit neuen Perspektiven, neuen Erzählungen und einer radikalen Gegenwartsoffenheit. Formal überzeugt PRIMADONNA OR NOTHING durch seine klare, aber niemals glatte Ästhetik. Die Kamera von Sebastian Ganschow fängt mit ruhigem Blick den Alltag und die Bühnenmomente ein, während der Schnitt von Timm Plaster die Biografien sensibel miteinander verwebt. Auch die Tonspur – fein abgemischt von Richard Weigert – trägt wesentlich zum immersiven Erlebnis bei. Die Musik von Bjarne Taurnier akzentuiert, ohne zu dominieren, und lässt stets Raum für das Eigentliche: die menschliche Stimme. Gerade durch diese filmische Zurückhaltung gelingt es Sauter, die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mit Pathos zu überwältigen, sondern zur kritischen Anteilnahme zu bewegen. PRIMADONNA OR NOTHING ist kein glanzvoller Backstage-Blick auf das Opernmetier, sondern ein zutiefst menschliches Dokument über das Ringen um künstlerische Wahrheit – und über den Mut, sich nicht in vorgefertigte Rollen zwängen zu lassen. Dass der Film nun am 7. August seinen bundesweiten Kinostart feiert, ist ein kulturpolitisch bemerkenswerter Moment. Denn selten gelingt es einem Dokumentarfilm, die ästhetische Raffinesse seiner Thematik mit einer so klaren gesellschaftlichen Aussagekraft zu verbinden. PRIMADONNA OR NOTHING fordert nicht nur Respekt für seine Protagonistinnen ein, sondern hinterfragt zugleich grundlegende Annahmen darüber, wer Gehör verdient – und zu welchen Bedingungen. So ist dieser Film nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Neubestimmung des Begriffs „Primadonna“: Nicht mehr als überhöhtes Opernklischee, sondern als Symbol für Widerstandsfähigkeit, Wandelbarkeit und weibliche Autonomie. Die Bühne gehört ihnen – und PRIMADONNA OR NOTHING verneigt sich mit klugem Blick, leiser Eleganz und großer Wärme vor jenen, die sie betreten.


PRIMADONNA OR NOTHING

Start: 07.08.25 | FSK 6
R: Juliane Sauter | Dokumentation
Deutschland 2025 | Camino Filmverleih


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