Juliane
Sauters Kinodokumentarfilm PRIMADONNA OR NOTHING begleitet drei Sängerinnen
auf ihrem Weg und beobachtet die Hingabe und Leidenschaft, die die
Opernwelt von ihnen fordert. Valerie Eickhoff aus Deutschland steht
erst am Anfang. Joy Blue lebt das Leben, von dem Valerie träumt:
Die amerikanische Grammy-Gewinnerin singt weltweit auf den größten
Bühnen. Die legendäre Sopranistin Renata Scotto blickt in
ihrer Heimatstadt Savona auf ein Leben im Rampenlicht zurück.
Im
Spannungsfeld zwischen Tradition und Transformation erhebt sich mit
PRIMADONNA OR NOTHING ein Dokumentarfilm, der nicht nur einer Kunstform
neues Leben einhaucht, sondern zugleich drei bemerkenswerten Frauen
ein würdiges filmisches Denkmal setzt. Regisseurin Juliane Sauter
gelingt mit diesem Werk weit mehr als eine Milieustudie über
die Welt der Oper: Sie entwirft ein vielschichtiges Porträt weiblicher
Selbstbehauptung und künstlerischer Integrität, das von
ungeheurer Relevanz für gegenwärtige kulturfeministische
Diskurse ist. Die Kamera folgt drei Protagonistinnen, deren Lebenswege
unterschiedlicher kaum sein könnten – und die doch durch
einen gemeinsamen inneren Antrieb verbunden sind: die kompromisslose
Hingabe an die Kunst und der unbedingte Wille zur Selbstverwirklichung.
Auf der einen Seite die legendäre Renata Scotto, Grande Dame
des internationalen Opernbetriebs, auf der anderen Seite Valerie Eickhoff,
eine junge deutsche Mezzosopranistin auf dem Weg in eine ungewisse
Zukunft – dazwischen die international gefeierte Angel Blue,
deren Karriere als afroamerikanische Sängerin zwischen Anerkennung,
Erwartungsdruck und Emanzipation verortet ist. Sauter verfolgt keine
klassische Dramaturgie, sondern schafft eine fein komponierte Dramaturgie
des Alltags, der Wiederholung, der Stille und des Übens. Gerade
in dieser Zurückgenommenheit liegt die Stärke des Films:
Er offenbart den hohen Preis, den künstlerische Exzellenz oft
fordert – insbesondere von Frauen, die in einem Betrieb reüssieren,
der über Jahrhunderte von männlichen Machtstrukturen geprägt
war. Die Kamera bleibt stets auf Augenhöhe, wahrt Nähe ohne
Indiskretion und beobachtet mit respektvoller Geduld. Renata Scotto,
längst eine Ikone, ist dabei keine entrückte Diva, sondern
eine leidenschaftliche Mentorin, die ihr Wissen ebenso offen wie entschieden
teilt. Ihr Rückblick auf eine Weltkarriere gerät nie zur
Selbstverherrlichung, sondern offenbart eine künstlerische Ethik,
die auf Hingabe, Disziplin und emotionale Authentizität fußt.
Ihre Altersweisheit kontrastiert mit dem tastenden Ehrgeiz Valerie
Eickhoffs, deren Weg geprägt ist von ständiger Selbstüberprüfung
und dem unbedingten Wunsch, sich als Künstlerin zu behaupten,
ohne sich zu verbiegen.
Im
Zentrum beider Biografien steht das existenzielle Moment des Singens
– nicht als bloßer Beruf, sondern als Lebensform. Angel
Blue wiederum verleiht dem Film eine politische Tiefenschärfe,
indem sie nicht nur von ihrer Karriere spricht, sondern auch über
Rassismus, Repräsentation und die Last kollektiver Projektion
reflektiert. Ihre Stimme steht für eine neue Generation von Sängerinnen,
die die Institution Oper nicht nur beleben, sondern verändern
wollen – mit neuen Perspektiven, neuen Erzählungen und
einer radikalen Gegenwartsoffenheit. Formal überzeugt PRIMADONNA
OR NOTHING durch seine klare, aber niemals glatte Ästhetik. Die
Kamera von Sebastian Ganschow fängt mit ruhigem Blick den Alltag
und die Bühnenmomente ein, während der Schnitt von Timm
Plaster die Biografien sensibel miteinander verwebt. Auch die Tonspur
– fein abgemischt von Richard Weigert – trägt wesentlich
zum immersiven Erlebnis bei. Die Musik von Bjarne Taurnier akzentuiert,
ohne zu dominieren, und lässt stets Raum für das Eigentliche:
die menschliche Stimme. Gerade durch diese filmische Zurückhaltung
gelingt es Sauter, die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mit Pathos
zu überwältigen, sondern zur kritischen Anteilnahme zu bewegen.
PRIMADONNA OR NOTHING ist kein glanzvoller Backstage-Blick auf das
Opernmetier, sondern ein zutiefst menschliches Dokument über
das Ringen um künstlerische Wahrheit – und über den
Mut, sich nicht in vorgefertigte Rollen zwängen zu lassen. Dass
der Film nun am 7. August seinen bundesweiten Kinostart feiert, ist
ein kulturpolitisch bemerkenswerter Moment. Denn selten gelingt es
einem Dokumentarfilm, die ästhetische Raffinesse seiner Thematik
mit einer so klaren gesellschaftlichen Aussagekraft zu verbinden.
PRIMADONNA OR NOTHING fordert nicht nur Respekt für seine Protagonistinnen
ein, sondern hinterfragt zugleich grundlegende Annahmen darüber,
wer Gehör verdient – und zu welchen Bedingungen. So ist
dieser Film nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Neubestimmung des Begriffs
„Primadonna“: Nicht mehr als überhöhtes Opernklischee,
sondern als Symbol für Widerstandsfähigkeit, Wandelbarkeit
und weibliche Autonomie. Die Bühne gehört ihnen –
und PRIMADONNA OR NOTHING verneigt sich mit klugem Blick, leiser Eleganz
und großer Wärme vor jenen, die sie betreten.