Kosmo
war einst ein gefeierter Techno-Produzent und DJ – bis ein folgenschwerer
Streit mit seinem besten Freund in jener Nacht, die ihren großen
Durchbruch bedeuten sollte, alles veränderte. Während eine
neue Generation von DJs zu Stars aufstieg, zog Kosmo sich aus der
Szene zurück. Als er jedoch erfährt, dass der legendäre
Techno-Pionier Troy Porter auf dem Line-up eines der berüchtigtsten
Clubs der Stadt steht, wagt er einen letzten Versuch, seinen gescheiterten
Traum zu retten.
Mit
„Rave On“, seit dem 31. Juli im Kino zu sehen, unternehmen
Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski eine filmische Expedition in
das Herz der Finsternis – nicht als infernalischer Exzess, sondern
als tiefenpsychologische Reise durch Erinnerung, Schuld und die unstillbare
Sehnsucht nach einem zweiten Leben. Im Zentrum steht eine einzige
Nacht, aber diese Nacht verdichtet sich zum Leben. Die Protagonisten
dieser Geschichte sind keine Helden im klassischen Sinne. Vielmehr
ist es die Figur des Kosmo, verkörpert von einem nuancierten
und eindringlichen Aaron Altaras, die dem Film seine innere Gravitation
verleiht. Einst als aufstrebender DJ an der Schwelle zum Durchbruch,
kehrt Kosmo an den Ort des eigenen Scheiterns zurück –
einen Berliner Club, in dem er mit einer alten, selbst zusammengestellten
Vinylplatte seine zweite Chance sucht. Doch der Club empfängt
ihn nicht mit offenen Armen, sondern mit den Geistern seiner Vergangenheit:
verflossene Freundschaften, verdrängte Schuld und fragmentierte
Erinnerungen steigen aus dem Nebel wie ein verlorenes Ich. Was Chryssos
in „Der Bunker“ und „A Pure Place“ als hermetische,
fast theatralisch überzeichnete Mikrokosmen anlegte, übersetzt
sich in „Rave On“ in einen organischen, atmenden Raum:
den Club als sozialen Körper, als kollektives Bewusstsein, als
symbolisches Ersatzsystem. Die Familie ist verschwunden – ersetzt
durch das Kollektiv, den Beat, die flüchtige Nähe zwischen
Fremden. Hier wird nicht erzogen, sondern entgrenzt. Der Film oszilliert
kunstvoll zwischen dokumentarischer Unmittelbarkeit und bewusst halluzinierenden
Verzerrungen. Szenen, die während echter Clubnächte aufgenommen
wurden, verleihen „Rave On“ eine fast körperliche
Authentizität. Die Kamera von Raphael Beinder verliert sich im
wabernden Licht, tastet sich durch dichte Menschenmassen und suggeriert
eine Intimität, die zugleich beobachtend und teilnehmend ist.
Viktor
Jakovleskis dokumentarische Handschrift – zuletzt zu sehen in
„Brimstone & Glory“ – ist spürbar: Das
visuelle Erlebnis ist kein bloßes Abbild, sondern eine immersive
Erfahrung. Der musikalische Puls des Films wird durch den Soundtrack
von Ed Davenport bestimmt, der nicht nur begleitet, sondern erzählt.
Die Musik agiert als emotionale Erzählstimme, changierend zwischen
Aufbruch, Eskapismus und melancholischer Reflexion. In der Verschränkung
von Klang und Bild entsteht ein Rausch, der nicht nur körperlich,
sondern psychisch spürbar wird – ein Kino des Fühlens,
nicht des Verstehens. In der Begegnung mit Klaus (Clemens Schick),
dem einstigen Kompagnon, wird Kosmo mit seiner verdrängten Schuld
konfrontiert. Schick verkörpert die Ruhe im Sturm, den Kontrast
zur zerrissenen Hauptfigur – ein Mann, der mit einem lakonischen
Lächeln eine tiefere Wahrheit verkörpert: dass das Leben
vielleicht kein Comeback erlaubt. Diese Begegnung bildet das emotionale
Epizentrum des Films, ein stilles, kraftvolles Innehalten im Strudel
der Nacht. „Rave On“ verweigert sich konsequent einer
stringenten Dramaturgie oder einer kathartischen Auflösung. Stattdessen
entwirft der Film ein fluides Erzählmodell, in dem Wirklichkeit
und Wahn, Außen- und Innenwelt untrennbar ineinanderfließen.
Der Club wird zur Chiffre des Bewusstseins, die Nacht zum Spiegel
einer inneren Läuterung. Dass die Regisseure auf klassische Plotpoints
verzichten, ist kein Mangel, sondern ein ästhetisches Statement:
Der Weg ist die Wahrheit, nicht das Ziel. In einer Zeit, in der die
Bilderflut des Digitalen häufig auf Berechenbarkeit und Emotionalisierung
zielt, ist „Rave On“ ein sperriges, eigensinniges Werk
– eines, das weniger verstanden als erlebt werden will. Die
Stärke des Films liegt in seiner Ambiguität, in seiner Weigerung,
sich einordnen zu lassen. Er ist Erzählung, Musikstück,
Videoinstallation und Innenraumporträt zugleich. Kosmos Suche
nach einem neuen Anfang – ob als DJ, als Mensch oder als verlorene
Seele – bleibt am Ende offen. „Rave On“ liefert
keine Antworten. Stattdessen stellt der Film eine kluge, sinnlich
erfahrbare Frage: Kann man sich wirklich neu auflegen, wenn der letzte
Track verklungen ist? Und wenn ja – zu welchem Preis?
RAVE ON
Start:
31.07.25 | FSK 16
R: Nikias Chryssos, Viktor Jakovleski | D: Aaron Altaras, Clemens
Schick
Deutschland 2025 | Weltkino Filmverleih