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KINO | 06.08.2025

RAVE ON

Kosmo war einst ein gefeierter Techno-Produzent und DJ – bis ein folgenschwerer Streit mit seinem besten Freund in jener Nacht, die ihren großen Durchbruch bedeuten sollte, alles veränderte. Während eine neue Generation von DJs zu Stars aufstieg, zog Kosmo sich aus der Szene zurück. Als er jedoch erfährt, dass der legendäre Techno-Pionier Troy Porter auf dem Line-up eines der berüchtigtsten Clubs der Stadt steht, wagt er einen letzten Versuch, seinen gescheiterten Traum zu retten.

von Franziska Keil


© Telos Pictures

Mit „Rave On“, seit dem 31. Juli im Kino zu sehen, unternehmen Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski eine filmische Expedition in das Herz der Finsternis – nicht als infernalischer Exzess, sondern als tiefenpsychologische Reise durch Erinnerung, Schuld und die unstillbare Sehnsucht nach einem zweiten Leben. Im Zentrum steht eine einzige Nacht, aber diese Nacht verdichtet sich zum Leben. Die Protagonisten dieser Geschichte sind keine Helden im klassischen Sinne. Vielmehr ist es die Figur des Kosmo, verkörpert von einem nuancierten und eindringlichen Aaron Altaras, die dem Film seine innere Gravitation verleiht. Einst als aufstrebender DJ an der Schwelle zum Durchbruch, kehrt Kosmo an den Ort des eigenen Scheiterns zurück – einen Berliner Club, in dem er mit einer alten, selbst zusammengestellten Vinylplatte seine zweite Chance sucht. Doch der Club empfängt ihn nicht mit offenen Armen, sondern mit den Geistern seiner Vergangenheit: verflossene Freundschaften, verdrängte Schuld und fragmentierte Erinnerungen steigen aus dem Nebel wie ein verlorenes Ich. Was Chryssos in „Der Bunker“ und „A Pure Place“ als hermetische, fast theatralisch überzeichnete Mikrokosmen anlegte, übersetzt sich in „Rave On“ in einen organischen, atmenden Raum: den Club als sozialen Körper, als kollektives Bewusstsein, als symbolisches Ersatzsystem. Die Familie ist verschwunden – ersetzt durch das Kollektiv, den Beat, die flüchtige Nähe zwischen Fremden. Hier wird nicht erzogen, sondern entgrenzt. Der Film oszilliert kunstvoll zwischen dokumentarischer Unmittelbarkeit und bewusst halluzinierenden Verzerrungen. Szenen, die während echter Clubnächte aufgenommen wurden, verleihen „Rave On“ eine fast körperliche Authentizität. Die Kamera von Raphael Beinder verliert sich im wabernden Licht, tastet sich durch dichte Menschenmassen und suggeriert eine Intimität, die zugleich beobachtend und teilnehmend ist.


© Telos Pictures

Viktor Jakovleskis dokumentarische Handschrift – zuletzt zu sehen in „Brimstone & Glory“ – ist spürbar: Das visuelle Erlebnis ist kein bloßes Abbild, sondern eine immersive Erfahrung. Der musikalische Puls des Films wird durch den Soundtrack von Ed Davenport bestimmt, der nicht nur begleitet, sondern erzählt. Die Musik agiert als emotionale Erzählstimme, changierend zwischen Aufbruch, Eskapismus und melancholischer Reflexion. In der Verschränkung von Klang und Bild entsteht ein Rausch, der nicht nur körperlich, sondern psychisch spürbar wird – ein Kino des Fühlens, nicht des Verstehens. In der Begegnung mit Klaus (Clemens Schick), dem einstigen Kompagnon, wird Kosmo mit seiner verdrängten Schuld konfrontiert. Schick verkörpert die Ruhe im Sturm, den Kontrast zur zerrissenen Hauptfigur – ein Mann, der mit einem lakonischen Lächeln eine tiefere Wahrheit verkörpert: dass das Leben vielleicht kein Comeback erlaubt. Diese Begegnung bildet das emotionale Epizentrum des Films, ein stilles, kraftvolles Innehalten im Strudel der Nacht. „Rave On“ verweigert sich konsequent einer stringenten Dramaturgie oder einer kathartischen Auflösung. Stattdessen entwirft der Film ein fluides Erzählmodell, in dem Wirklichkeit und Wahn, Außen- und Innenwelt untrennbar ineinanderfließen. Der Club wird zur Chiffre des Bewusstseins, die Nacht zum Spiegel einer inneren Läuterung. Dass die Regisseure auf klassische Plotpoints verzichten, ist kein Mangel, sondern ein ästhetisches Statement: Der Weg ist die Wahrheit, nicht das Ziel. In einer Zeit, in der die Bilderflut des Digitalen häufig auf Berechenbarkeit und Emotionalisierung zielt, ist „Rave On“ ein sperriges, eigensinniges Werk – eines, das weniger verstanden als erlebt werden will. Die Stärke des Films liegt in seiner Ambiguität, in seiner Weigerung, sich einordnen zu lassen. Er ist Erzählung, Musikstück, Videoinstallation und Innenraumporträt zugleich. Kosmos Suche nach einem neuen Anfang – ob als DJ, als Mensch oder als verlorene Seele – bleibt am Ende offen. „Rave On“ liefert keine Antworten. Stattdessen stellt der Film eine kluge, sinnlich erfahrbare Frage: Kann man sich wirklich neu auflegen, wenn der letzte Track verklungen ist? Und wenn ja – zu welchem Preis?


RAVE ON

Start: 31.07.25 | FSK 16
R: Nikias Chryssos, Viktor Jakovleski | D: Aaron Altaras, Clemens Schick
Deutschland 2025 | Weltkino Filmverleih


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