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KINO | 10.09.2025

THE LONG WALK - TODESMARSCH

Francis Lawrence wagt mit „The Long Walk – Todesmarsch“ die Verfilmung eines der düstersten Stoffe aus Stephen Kings Frühwerk – und überrascht mit radikaler Schlichtheit. Statt Spektakel gibt es endlose Landstraßen, erschöpfte Körper und eine erschreckend realistische Allegorie auf Macht und Militarismus. Ab dem 11. September im Kino – ein Film, der verstört, fasziniert und vielleicht gerade deshalb im Gedächtnis bleibt.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 2025 LIONSGATE

Wenn am 11. September „The Long Walk – Todesmarsch“ in die deutschen Kinos kommt, erwartet das Publikum kein gewöhnlicher Genrefilm, sondern eine eindringliche Parabel auf Macht, Gewalt und das Erwachsenwerden in einer totalitären Gesellschaft. Francis Lawrence, bereits erfahren im dystopischen Erzählen durch seine „Hunger Games“-Verfilmungen, zeigt hier eine radikal konzentrierte Variation des Themas: ein Film, der fast ausschließlich aus einer einzigen Bewegung besteht – dem Gehen – und doch eine ungeheure erzählerische Dichte entfaltet. Basierend auf Stephen Kings 1979 unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlichter Erzählung, verlegt Lawrence die Handlung in ein Amerika, das wie ein verzerrtes Spiegelbild der Nach-Vietnam-Ära wirkt. Jedes Jahr werden dutzende junge Männer per Lotterie in einen „Wettbewerb“ gezwungen, der nichts mit Sport zu tun hat: Ein Todesmarsch, bei dem sie unaufhörlich gehen müssen, bis nur einer übrig bleibt. Wer zu langsam wird, stehenbleibt oder abweicht, wird vor aller Augen exekutiert. In dieser grausamen Versuchsanordnung, die gleichzeitig Massenunterhaltung und Machtdemonstration ist, entfaltet der Film seine Allegorie: Er erzählt von einem Staat, der seine Jugend opfert, um seine Macht zu sichern, und von jungen Menschen, die trotz aller Aussichtslosigkeit nach Sinn und Verbindung suchen. Im Zentrum steht Ray Garraty (Cooper Hoffman), der von seiner Mutter mit bangem Herzen zum Start gebracht wird. An seiner Seite treten Figuren, die auf den ersten Blick wie Typen wirken – der freundliche McVries (David Jonsson), der gläubige Arthur (Tut Nyuot), der schnoddrige Hank (Ben Wang) – und doch im Laufe des Films an Tiefe gewinnen. Die langen Dialoge während des Marsches, die gemeinsamen Leiden und das gegenseitige Stützen machen aus ihnen mehr als bloße Archetypen: Sie sind Spiegelungen unterschiedlicher Haltungen zu Macht, Glaube, Rebellion und Hoffnung. Besonders die Freundschaft zwischen Garraty und McVries erweist sich als Herzstück des Films.


© 2025 LIONSGATE

Aus Kameradschaft erwächst eine philosophische Auseinandersetzung darüber, wie man in einer Welt voller Willkür und Gewalt Haltung bewahren kann. Hier zeigt sich die subtile Größe von Lawrence’ Inszenierung: Der Todesmarsch wird zum Resonanzraum existenzieller Fragen. Ein Film, dessen zentrales Handlungselement das Gehen ist, droht schnell monoton zu werden. Doch Kameramann Jo Willems und Lawrence begegnen dieser Gefahr mit außergewöhnlicher visueller Kreativität. Fast jede Einstellung ist sorgfältig komponiert, die Kamera bewegt sich meist rückwärts, frontal auf die erschöpften Körper gerichtet, während die Landschaft im Hintergrund vorbeizieht – ein filmisches Sinnbild für das unaufhaltsame Fortschreiten in Richtung Untergang. Die Gewalt, die in regelmäßigen Abständen über die Gruppe hereinbricht, wird nicht effekthascherisch, sondern als unausweichliche Konsequenz inszeniert. Schüsse, das Fallen der Körper, die Reaktionen der Mitläufer: All das verdeutlicht die Brutalität eines Systems, das mit mathematischer Präzision tötet. „The Long Walk – Todesmarsch“ ist mehr als ein dystopischer Thriller. Der Film legt die Mechanismen einer Gesellschaft offen, die Jugend und Leben der Spektakelökonomie opfert. Die Fernsehübertragung des Marsches, die Uniformität der Teilnehmer, die gnadenlose Präsenz des namenlosen Majors (Mark Hamill): All dies verweist auf den Zusammenhang von Unterhaltung, Militarismus und staatlicher Gewalt. Dass Lawrence sich dabei weniger auf die äußere Welt als auf die innere Dynamik der Figuren konzentriert, ist kein Mangel, sondern eine Stärke. Die dystopische Realität bleibt schemenhaft, aber umso stärker tritt hervor, wie Menschen inmitten totalitärer Strukturen reagieren: mit Widerstand, mit Anpassung, mit Freundschaft, mit Verzweiflung. Cooper Hoffman verleiht Garraty eine Mischung aus jugendlicher Offenheit und verborgener Härte, die ihn zu einer ambivalenten Figur macht. David Jonsson hingegen strahlt als McVries eine charismatische Menschlichkeit aus, die dem Film seine emotionale Tiefe verleiht. Ihre Konstellation trägt das Drama, ergänzt durch eine bemerkenswert vielfältige Nebenbesetzung, die den Kosmos des Marsches zum Leben erweckt.


THE LONG WALK - TODESMARSCH

Start: 11.09.25 | FSK 16
R: Francis Lawrence | D: Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett Wareing
USA 2025 | Leonine


 


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