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KINO | 26.09.2025

THE TOXIC AVENGER
Der neue Glanz des Schmutzigen

Mit grellem Witz und anarchischer Energie erweckt Macon Blair den Kultklassiker „The Toxic Avenger“ zu neuem Leben. Peter Dinklage brilliert als tragikomischer Held in einem grotesk-schönen Mix aus Splatter, Satire und Gesellschaftskritik. Ein wilder, giftiger Triumph gegen das glatte Kino der Gegenwart.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 2025 Legendary

Es gibt Filme, die gar nicht erst versuchen, sich gesellschaftlicher Akzeptanz zu versichern – sie existieren als Gegenentwurf zum sauberen, formatierten Mainstreamkino. „The Toxic Avenger“, in der Neuinterpretation von Regisseur Macon Blair, gehört in diese seltene Kategorie. Der am 25. September in den Kinos gestartete Film ist ein bewusst überdrehter, blutig-absurder Hybrid aus Superheldenparodie, Horrorfarce und Sozialgroteske – und zugleich eine liebevolle Hommage an das anarchische Trashkino der 1980er Jahre. Wo das Original von 1984 ein subversives Manifest der billigen Effekte und schlechten Geschmäcker war, bringt Blair die ruppige Ikone der Troma Studios in eine neue, erstaunlich reflektierte Form.

Schon die Besetzung kündigt an, dass diese Neuauflage keine bloße Kopie ist: Peter Dinklage spielt Winston Gooze, einen unscheinbaren, vom Leben gezeichneten Hausmeister, der in einem toxischen Zwischenfall zur grotesken Titelfigur wird – einem deformierten, aber moralisch integren Rächer in einer verrotteten Gesellschaft. Dinklage, der in jeder Szene mit der Ernsthaftigkeit eines Shakespeare-Helden agiert, ist die emotionale Achse des Films. Er verleiht dem Splatter eine Würde, die man in diesem Genre selten findet. Aus dem grotesken Körper erwächst bei ihm eine Form tragischer Menschlichkeit – ein Mutant, der nicht durch Übermenschlichkeit, sondern durch sein Gewissen heroisch wird.

Blairs Regie versteht sich als dialektischer Balanceakt: Er will den anarchischen Geist des Originals bewahren, ohne dessen infantile Lust am Ekelhaften einfach zu kopieren. Stattdessen inszeniert er eine Welt, die selbst toxisch ist – eine von Abfall, Kapitalismus und Korruption verseuchte Gesellschaft, die ihre eigenen Helden produziert. Der Film ist grell, laut, von bewusstem Übermaß geprägt, aber er hat Struktur und Rhythmus. Seine stilistische Übertreibung ist kein Zufall, sondern ein ästhetisches Statement.

Formal entfaltet „The Toxic Avenger“ ein Spiel aus Kontrasten. Die Kamera bleibt nah an den Gesichtern, betont jede groteske Regung, während die Farbpalette zwischen neongetränkter Überreizung und schmutzigem Braun changiert. Diese Ästhetik verweist auf die postindustrielle Tristesse der Schauplätze – Orte, an denen sich die Giftstoffe nicht nur in den Böden, sondern auch in den Menschen angesammelt haben. Das Chaos hat Methode: In den flirrenden Bildern liegt eine groteske Schönheit, in der jedes Blutspritzmuster fast choreografiert wirkt.


© 2025 Legendary

Dinklage wird flankiert von einem exzellenten Ensemble, das den Ton des Films präzise trifft: Kevin Bacon gibt den schmierigen CEO als Karikatur neoliberaler Enthemmung, Taylour Paige als moralisches Gegengewicht bringt Ernsthaftigkeit in das überbordende Spektakel. Und Elijah Wood, kaum wiederzuerkennen, liefert eine groteske Nebenrolle, die an die Theaterhaftigkeit alter Rocky Horror-Aufführungen erinnert. Es ist diese Balance zwischen groteskem Witz und echter Spielfreude, die den Film trägt – eine Selbstironie, die nie in bloße Albernheit kippt.

Thematisch bleibt Blair seinem gesellschaftskritischen Unterton treu: Hinter all dem Blut, Schmutz und Gelächter verbirgt sich ein Kommentar über Macht, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Die Transformation des unscheinbaren Hausmeisters zum „toxischen Rächer“ ist nicht nur physisch, sondern auch sozial – ein groteskes Sinnbild für den Widerstand des Ausgebeuteten gegen die entfesselte Gier der Mächtigen. Wo das Original mit pubertärer Lust an der Grenzüberschreitung spielte, inszeniert Blair die Gewalt als Spiegel gesellschaftlicher Enthemmung.

Freilich bleibt „The Toxic Avenger“ nicht ohne Brüche. Der Film ist bewusst uneben, gelegentlich zu lang, seine Dramaturgie bricht immer wieder in lose Episoden auf. Doch gerade diese Unordnung ist Teil seiner Identität. Sie bewahrt den anarchischen Impuls, der das Troma-Kino einst so einzigartig machte – die Freude am Scheitern, am Überschreiten des guten Geschmacks, am Dreck als ästhetischem Wert. In diesem Sinn ist Blairs Werk kein glattes Remake, sondern eine Reflexion über den Verlust des anarchischen Geistes im Zeitalter digitaler Glätte.

Dass ein Film wie dieser überhaupt im Jahr 2025 seinen Weg ins Kino findet, wirkt fast wie ein Wunder. „The Toxic Avenger“ ist eine wilde Feier des schlechten Geschmacks – und zugleich ein melancholisches Bekenntnis zur Freiheit, hässlich zu sein. Zwischen Splatter, Sozialkritik und schwarzer Komödie balanciert Macon Blair eine Gratwanderung, die so schmutzig wie aufrichtig ist.


THE TOXIC AVENGER

Start: 25.09.25 | FSK 18
R: Macon Blair | D: Peter Dinklage, Kevin Bacon, Elijah Wood
USA 2025 | capelight pictures


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