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POLITIK | 10.09.2025

Eine starke Stimme für Porz
Lena Dickgießer über Verantwortung, Vertrauen und die Zukunft Kölns

Lena Dickgießer, 34 Jahre alt und Arbeitsvermittlerin, kandidiert am 13. September erstmals für den Kölner Stadtrat im Wahlkreis Porz. Mit Themen wie bezahlbares Wohnen, gute Schulen, einem verlässlichen ÖPNV und gesellschaftlichem Zusammenhalt möchte sie Politik nahbar machen und den Menschen im Veedel konkrete Lösungen bieten. Ihre Haltung ist geprägt von Berufserfahrung, Bodenständigkeit und dem Anspruch, Politik als tägliches Versprechen für mehr Teilhabe zu verstehen.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Eve Pohl

Ein Spätsommerabend in Porz: Zwischen Supermarkt und S-Bahn-Haltestelle spürt man jene Mischung aus Bodenständigkeit und Vielfalt, die das Veedel prägt – und die zugleich Bühne ist für politische Fragen von ganz eigener Dringlichkeit. Hier tritt Lena Dickgießer an, 34 Jahre alt, Arbeitsvermittlerin und leidenschaftliche Sozialdemokratin. Am 13. September kandidiert sie erstmals für den Kölner Stadtrat, und wer ihr begegnet, merkt schnell: Diese Frau will keine Distanz zwischen Politik und Alltag. „Ich nehme Sorgen, Ängste und Nöte ernst – und weiß, wovon ich spreche, wenn es um soziale Themen geht“, sagt sie, und in diesem Satz liegt der Ernst einer Berufserfahrung, die ihr politisches Selbstverständnis trägt.

Ihre Themen sind konkrete Lebensfragen: bezahlbares Wohnen, gute Schulen, ein verlässlicher öffentlicher Nahverkehr. Aber Lena Dickgießer belässt es nicht bei Parolen. „Für mich ist Infrastruktur kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung dafür, dass alle Menschen an dieser Stadt teilhaben können“, betont sie. Das klingt nüchtern – und ist doch von Leidenschaft durchzogen, die den Wunsch verrät, Politik nicht als abstraktes Konzept, sondern als tägliches Versprechen einzulösen.

Gleichzeitig verkörpert Lena Dickgießer jene Generation junger Frauen, die in einer noch immer männlich dominierten politischen Landschaft neue Akzente setzt. Ihre Haltung ist klar, ihr Ton ruhig, aber bestimmt. „Ich will den Menschen im Veedel zuhören und die Dinge anpacken, die direkt vor ihrer Haustür liegen“, erklärt sie – und formuliert damit nicht weniger als ein Gegenmodell zu einer Politik, die allzu oft im Theoretischen verharrt.

In diesem Gespräch entsteht das Bild einer Kandidatin, die in Porz verwurzelt ist, aber weit über Porz hinausdenkt. „Politik muss nahbar sein – nur dann kann sie Vertrauen schaffen“, sagt Lena Dickgießer. Ein Satz, der wie eine Leitlinie über ihrer Kandidatur steht. Und einer, der ahnen lässt: Wenn sie im September gewählt wird, könnte Köln im Stadtrat eine neue Stimme gewinnen, eine Stimme, die mit Nachdruck gehört werden will.


Frau Dickgießer, Sie treten erstmals für den Stadtrat an – ein Schritt aus der alltäglichen Begegnung mit Menschen in schwierigen Lebenslagen hinein in das politische Entscheidungsfeld. War dieser Übergang für Sie eine logische Konsequenz oder vielmehr ein Sprung ins Ungewisse?

Lena Dickgießer: Ja, ich glaube schon, dass es für mich die logische Konsequenz war. Nicht nur, dass ich mich im Studium mit politischen Theorien beschäftigt habe. Ich habe mit auch mit geschichtlichen Abläufen und mit den Fragen wo wir als Land herkommen und wohin wir als Gesellschaft gehen wollen, beschäftigt. Je mehr man dann im Berufsleben steht und sich dann, so wie ich, einem sozialen Beruf zuwendet, desto mehr merkt man, an welchen Ecken es hapert, wo gesellschaftliche Konflikte entstehen. Durch das Erstarken von extremistischen Ausrichtungen, gerade auf der rechten Seite, hatte ich das Gefühl, dass wir uns als Gesellschaft in eine Richtung entwickeln, wo soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Umverteilungsfragen, immer wichtiger werden. Das sind Inhalte, die für die SPD, die Partei in der ich aktiv geworden bin, relevant sind. Mit dem Umstand, diese Probleme auf eine sozialdemokratische Art und Weise zu lösen, hat mich angesprochen. Dort fühle ich mich politisch wohl. Es ist für mich ein logischer Schritt, für diese Partei, für die mich seit 9 Jahren engagiere, für ein ehrenamtliches politisches Amt zu kandieren. Ich will Verantwortung übernehmen.

Ihr Wahlkreis umfasst Urbach, Elsdorf sowie Teile von Grengel und Eil – Veedel, die nicht nur strukturell, sondern auch sozial sehr verschieden geprägt sind. Wie wollen Sie aus diesem Mosaik eine gemeinsame politische Erzählung formen?

Lena Dickgießer: Ich glaube, dass es vor allem eine längere Erzählung braucht und dass man da nicht zu kurz greifen darf. Vor Ort merkt man in den Vierteln wie groß die Unzufriedenheit ist, wie sehr man sich mittlerweile oft abgehängt fühlt. Entscheidungen, die in Köln getroffen werden, wobei Köln für viele Porzer immer noch sehr weit weg klingt, an den Menschen dort vor Ort oftmals vorbeigehen. Dabei geht es nicht nur darum, dass in den Vierteln Personen gibt, die sozial benachteiligt sind, die eher weniger Teil haben an Gesellschaft, die wenig von der Kommunalpolitik mitbekommen, sondern es geht da eben auch um die Schichten, die sich auch in Vereinen engagieren, die arbeiten gehen, die versuchen, die Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Man merkt einfach, dass man an ganz vielen unterschiedlichen Punkten ansetzen muss. Dieses Mosaik zusammenzuführen, das ist wahnsinnig viel Arbeit. Ich möchte das versuchen, indem ich nicht nur hinkomme und meine Ideen mitbringe, die ich natürlich habe. Vielmehr glaube ich, dass wir vor allem versuchen müssen, die Leute, die sich engagieren wollen, an einen Tisch zu bekommen, indem man als Kommunalpolitikerin hinkommt und erstmal zuhört. Erstmal zuhört, auch wenn man weiß oder vermutet und mitbekommen hat, was die Probleme sind. Schon jetzt halte ich diesen Austausch wahnsinnig wertvoll. Erstmal zuhören, das mitnehmen und dann in den Austausch zu gehen mit den aktiven Akteuren. Die Menschen, die nicht so stark in der Öffentlichkeit stattfinden, zu erreichen, wird immer noch viel schwieriger. Das alles zusammenzuführen ist schwierig. Ich glaube, man muss sich da auch mit den Multiplikatoren gut austauschen, wie mit den Jugendzentren. Dort hin haben wir gute Verbindungen hin, dort findet der Austausch statt.

In Ihrer Arbeit als Arbeitsvermittlerin begegnen Sie täglich Menschen zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Welche Einsichten aus diesen Gesprächen prägen Ihr Verständnis davon, was Politik leisten muss – und was sie niemals versprechen sollte?

Lena Dickgießer: Das was man auch in den Gesprächen am Wahlkampfstand hört und dass man natürlich auch in den Gesprächen mitbekommt, wenn Menschen zu einem kommen, die in einer gewissen Abhängigkeit stehen, ist immer der Punkt Vertrauen. Vertrauen schaffen. Wenn Vertrauen einmal verletzt wurde, ist es da wie im Privaten und im Familiären, sehr schwierig, das Vertrauen wiederherzustellen. Das ist etwas, was man leisten muss, dass die Menschen einem vertrauen. Was man nicht tun sollte, ist über die Köpfe der Menschen hinweg zu entscheiden. Vielmehr muss man ihnen auf Augenhöhe begegnen. Es ist schwierig, auch als Kommunalpolitikerin, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, weil viele Leute denken, dass da jetzt jemand kommt, der viel mehr Macht hat als ich. Jemand, der von irgendwoher kommt und für mich etwas entscheidet. Das merke ich auch als Arbeitsvermittlerin. Man begegnet sich erstmal nicht auf Augenhöhe. Die Menschen stehen in einer Abhängigkeit und erwarten etwas und das tun sie nicht ohne Grund. Und an dieser Stelle den Menschen ernst nehmen, Vertrauen schaffen und eben auf Augenhöhe mit einer empathischen Art unterwegs sein.


© Eve Pohl

„Soziale Gerechtigkeit“ ist ein oft bemühter, aber selten greifbarer Begriff. Wenn Sie ihn aus der Perspektive Ihres Berufslebens deuten: Welche Gerechtigkeit schulden wir den Menschen in Köln wirklich?

Lena Dickgießer: Dass wir auf den Einzelnen schauen. Ich glaube, man ist immer versucht, auch in der Politik, Menschen in Gruppen zusammenzufassen und zu glauben, wenn sie einer bestimmten Gruppe zugehören, dann werden sie ja schon dieselben Bedürfnisse haben. Und wenn man dann da etwas tut, dann werden schon alle zufrieden sein. Das schafft man nicht bei einer Million. Es ist ganz logisch, dass man versucht irgendwie zusammenzufassen und zu schauen, wo man den größten gemeinsamen Nenner findet. Und bezogen auf die Chancen-Gerechtigkeit vor allem, dass man sich wirklich den Einzelfall anschaut und danach auch entscheidet. Ich glaube, das kann dann der Maßstab des Handelns sein, zumindest der Maßstab, der an meine Arbeit bisher immer gerichtet wurde. Und das das finde ich ist sehr wichtig. Natürlich kann jemand, der sich mit Bildungspolitik beschäftigt, nicht dafür sorgen im Stadtrat, dass jedes einzelne Kind so gefördert wird, wie es für richtig erachtet wird. Aber ein Angebot zu schaffen, dass sich dieser Situation annimmt, das ist das, was man tun kann. Und da ist die Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems meiner Meinung nach etwas, was ein großer Schritt nach vorne wäre.

Junge Frauen in der Politik tragen häufig die doppelte Bürde, sich in männlich geprägten Strukturen zu behaupten und zugleich Erwartungen an „neue Stimmen“ zu erfüllen. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um?

Lena Dickgießer: Ich glaube, man sucht immer ein bisschen nach Vorbildern und orientiert sich an starken Frauen. Da habe ich eine Annemarie Renger im Kopf. Eine Frau, die in unserer Demokratie sehr früh eine wirklich tragende Rolle übernommen hat. Sie wird bestimmt auch nicht alles richtig gemacht haben und auch sie war dem Spott von Männern ausgesetzt. Man muss irgendwann ein dickes Fell entwickeln. Auf der einen Seite gegenüber denen, die dann mit irgendwelchen Sprüchen kommen, die sich meistens nicht darum drehen, was man wirklich macht, sondern banale Dinge, wie das Aussehen zum Inhalt haben. Auf der anderen Seite ist es so, und ich habe es auch erlebt, dass wenn eine junge Frau zu uns in die Partei kommt, ich versuche, schützend meine Hand über sie zu halten, wenn Quotenanforderungen usw. auf sie niederprasseln und sie sich dann denkt, oh Gott, ich muss ganz schnell wieder weg, weil hier auf einmal Erwartungen auf mich zu kommen, die ich nicht erfüllen kann. Ich finde Frauenquoten wichtig. Es ist jedoch nicht zwingend erforderlich, Frauen in eine Verantwortung zu drängen, die sich auf dieser Quote begründet. Wenn ich einer Frau sagen müsste, du musst jetzt aber hier kandidieren, obwohl sie es nicht will, weil wir eine Quote erfüllen müssen, dann würde ich mich als Frau schlecht fühlen. Ich weiß, das ist ein umstrittenes Thema bei uns in der Partei ist, weil es ja auch immer um Sichtbarkeit geht. Ich kann da nur für mich sprechen. Ich hoffe, ich kann für die nächste Generation ein gutes Vorbild sein und finde es wichtig, junge Frauen mit Mentoring Gedanken an die Hand zu nehmen und sie davor zu bewahren, knallhart in ein Haifischbecken geworfen zu werden.

Sie sprechen von bezahlbarem Wohnen, guten Schulen und einem verlässlichen ÖPNV. Würden Sie sagen, dass eines dieser Themen das „Herzstück“ Ihrer Kandidatur bildet – und wenn ja, welches ist das Herz, das Porz heute am dringendsten braucht?

Lena Dickgießer: Ich glaube, wenn man Porz wirklich verändern will und viele Punkte angehen will, dann ist ÖPNV, Infrastruktur und das Thema Verkehr wirklich zentral. Es strahlt in ganz viele Bereiche aus und verbindet ja viele Themen miteinander. Wir wissen, dass bezahlbarer Wohnraum sehr wichtig ist, aber gerade in Porz merken wir, wir können nicht einfach Neubaugebiete hochziehen an Stellen, wo kein ÖPNV ist, wo Straßenstruktur erst geschaffen werden muss, wo es keine Supermärkte gibt. Und vielleicht ist da Porz ein Paradebeispiel. Deswegen glaube ich, dass der Verkehr in Porz das wichtigste Thema ist. Hier sind immer noch sehr viele Leute aufs Auto angewiesen sind. Das bringt strukturelle Notwendigkeiten mit sich, die z.B. Flächen benötigen. Das fängt bei Parkflächen an und hört bei Straßen auf. Nur dass wir uns trotzdem in eine Richtung bewegen, Fläche wird auch in Porz weniger. Es ist zwar Peripherie, in der Stadt gibt's noch ganz andere Flächenprobleme, das weiß ich. Ich glaube, in den nächsten 10 Jahren wird Verkehr das wichtigste Thema in Porz sein. Wenn wir es nicht schaffen, den ÖPNV nicht nur verlässlich zu gestalten, sondern strukturell auszubauen, mit einer Ringbahnlinie 13, mit der Verlängerung der Linie 7, mit mehr Busanbindung, mit der wirklichen Ausweitung von einem Netz, dass Menschen einfachere Wege zu Busverbindungen haben, auch an die S-Bahnverbindung in Porz, dann werden wir es niemals schaffen, Autos in einen Rahmen zu bekommen, dass wir dann nicht mehr diese meiner Meinung nach nutzlosen Flächen haben, weil wir immer von Verdichtung reden und Parkfläche ist für mich verdichtete Fläche. Dieser Umstand spielt da meiner Meinung nach am wichtig mit rein. Auch wenn Wohnen das wichtigste Thema ist, es wird viel gebaut in Porz, bezahlbar ist es da bestimmt noch lange nicht. Für mich hängt beides miteinander zusammen. Man kann es unter dem Begriff Stadtentwicklung zusammenfassen, ganz platt gesagt, vielleicht auch Strukturentwicklung im Viertel. Ich glaube, das ist ein guter Oberbegriff und da ist Verkehr meiner Meinung nach das der wichtigste Punkt, der auch in die Bereiche Bildung und Schule ausstrahlt.

Köln wächst, und Porz spürt die Brüche dieses Wachstums: soziale Spaltung, kulturelle Vielfalt, ökonomischen Druck. Was ist Ihre Vision, um aus dieser Gemengelage kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander entstehen zu lassen?

Lena Dickgießer: Ich glaube, er wird sehr wichtig sein wird, dass man eben die Verbindung hinbekommt, dass Köln und auch der Kölner Stadtrat nicht so ein weit entferntes Konstrukt sind, sondern man den Porzern und Porzerinnen vermitteln kann, dass sie ein Teil der Stadt sind. Wir funktionieren nicht nur am Rande mit, sondern wir sind Teil dessen und wir haben auch Menschen, die setzen sich als Teil dessen dafür ein. Und Wissen um diese Gemengelage, Wissen um die vielfältigen Probleme. Auf der anderen Seite eben das nicht nebeneinander her, sondern zusammen, dass man dann eben auch mal über die Stadtbezirksgrenzen schaut und erkennt, wir haben auch in Kalk ähnliche Strukturen. Wir haben ähnliche Probleme und vielleicht macht es macht es da Sinn, sich noch mal auszutauschen, Kontakte zu haben, um eben auch gemeinschaftlich solche Probleme anzugehen. Ich glaube, diese Gemengelage, die in Porz immer als einmalig beschrieben wird, trifft gar nicht so einmalig zu. Vielmehr trifft sie auf einige Randbezirke von anderen Großstädten zu und ich glaube, dass man das ernst nehmen muss. Man muss den Menschen in Porz vermitteln, dass es Lösungen gibt für diese Probleme und dass es vor allem um die Menschen vor Ort geht und um die Menschensind, die bereits sind, sich in den Stadtrat wählen zu lassen, die bereit sind, da eine starke Stimme zu sein für Porz, aber eben auch sagen, wir können uns nicht immer separieren.


© Eve Pohl

Beruf, Wahlkampf und Privatleben zugleich zu tragen, gleicht einem Balanceakt auf dünnem Seil. Was ist Ihre persönliche Ressource, die Sie aufrecht hält, wenn die Tage zu kurz und die Erwartungen zu groß erscheinen?

Lena Dickgießer: Auf jeden Fall das persönliche Umfeld, sprich Familie, Freunde, und der Partner. Ich glaube, man weiß die Zeit dann noch mehr zu schätzen, die man miteinander hat. Jetzt gerade ist der Peak im Wahlkampf. Eine Zeit, wo es sehr viel ist. Trotzdem versuche ich, im Kleinen einfach diese Momente zu haben und wenn es nur ein gemeinsamer Kaffee mit einer Freundin ist, für ein, zwei Stunden rauszukommen. Diese Zeit nehme ich mir, um wieder Ressourcen für den Wahlkampf zu haben und wieder die Batterien aufzuladen. Wahlkämpfe sind immer auch schon in der Realität, manchmal voller Begeisterung, manchmal voller Ernüchterung.

Wahlkämpfe sind Schulen der Realität – manchmal voller Begeisterung, manchmal voller Ernüchterung. Was hat Sie in dieser Zeit mehr überrascht: die Zustimmung der Menschen oder die Widerstände, auf die Sie stoßen?

Lena Dickgießer: Die Zustimmung hat mich in der Hinsicht nicht überrascht, denn ich glaube, dass wir für die Menschen ein gutes Angebot haben, dass die Menschen es wertschätzen, dass man mit realistischen Vorstellungen und mit keiner WÜNSCHDIRWAS - Überraschungskiste um die Ecke kommt. Deswegen hat mich die Zustimmung nicht überrascht. Was mich überrascht hat, war die persönliche Zustimmung. Man hat gemerkt, dass die Leute wissen um was es bei dieser Wahl geht. Es sind eben nicht Menschen, die vor sich hinleben. Es sind Menschen, die damit beschäftigen, was in ihrer Stadt passiert. Diese Menschen wissen um die Probleme und haben vielleicht nur manchmal eben nicht die Zeit oder auch nicht die Ressourcen, um sich dann da einfach selbst einzubringen. Das hat mich wirklich positiv überrascht. Das Positive, was ich mitnehme, ist wirklich dieses Persönliche, dass die Menschen sehr gut entscheiden können, wer sie vertreten soll.

Kommunalpolitik bedeutet fast immer Kompromiss. Wo sehen Sie Ihre persönliche „rote Linie“ – den Punkt, an dem Pragmatismus zur Selbstverleugnung würde?

Lena Dickgießer: Ich habe ich habe mich immer als jemand gesehen, der sehr pragmatisch ist bei politischen Sachverhalten. Ich kann mir den schönsten Antrag ausdenken und formulieren kann. Wenn er dann in der großen Runde in die Abstimmung geht und einfach deswegen scheitert, weil es bei den anderen zu 0 % auf Akzeptanz stößt, dann ist dieses ganze Vorarbeiten nichts wert. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich meine Leitlinien aufgeben muss, was meine Werte und meine Inhalte betrifft. Aber ich muss versuchen, um einen Konsens zu werben und nicht nur eine Minimalforderung durchzusetzen, sondern auf der anderen Seite eben auch guten Gewissens sagen zu können, ich habe hier im Sinne dessen, was ich für richtig halte etwas bewegt. Das ist zumindest für mich immer ein Spagat. Ich messe mein politisches Engagement daran, was ich erreicht habe, was ich umgesetzt habe. Pragmatismus ist dabei die Leitlinie. Ich muss meine politischen Entscheidungen immer an der Realität und an der Umsetzung messen, die teilweise dann auch nicht mehr in unserer Hand liegt. Das ist ja manchmal auch das Frustrierende am politischen Geschäft. Wenn wir nachhalten, zum Beispiel in der Bezirksvertretung, was mit unseren Anträgen, die wir so über das Jahr über die Legislaturperiode hinweg stellen, passiert, könnten wir, eine Vollzeitkraft damit beschäftigen, einfach nur nachzuhalten, was mit unseren beschlossenen Anträgen passiert ist. Die Stadtverwaltung ist dann natürlich daran beteiligt, wir geben das dann das, was wir beschlossen haben, in der Umsetzung aus der Hand. Deswegen ist wichtig da realistisch zu sein und gleichzeitig viel mehr dahinter her zu sein, was die Umsetzung von politischen Beschlüssen betrifft, als allein nur immer wieder neue Anträge zu produzieren, die im Zweifel dann doch für die Papiertonne sind.

Welche Erfahrungen oder Überzeugungen würden Sie einem jungen Menschen mitgeben, der vor der Entscheidung steht, ob er sich aktiv politisch engagieren soll?

Lena Dickgießer: Ich finde es ist schwierig zu sagen, engagier dich in einer Partei. Ich würde ihm erstmal raten, sprich mit deinen Freunden drüber, was euch gerade bewegt. Eigentlich passiert das automatisch in der Schule. Und ja, versucht zu schauen, wo es eine Jugendorganisation gibt, die für dich Anknüpfungspunkte hat und wo es weitere Informationen dazu gibt. Ich würde dem jungen Menschen raten, nicht sofort in eine Partei zu gehen, sondern sich so breit wie möglich zu informieren, auch die sozialen Medien. Wir unterschätzen junge Menschen wahnsinnig darin, was ihre Medienkompetenz anbelangt. Wir müssen ihnen zugestehen, dass sie eben nicht nur einfach Medieninhalte konsumieren, sondern kritisch darüber nachdenken, was sie dort sehen. Ich glaube, vieles, was da passiert, passiert einfach aus einer Dynamik heraus, die sich in Gruppen entwickelt. Aber wenn sich die einzelne Person informiert, ist sie durchaus in der Lage, sich dort so ausreichend zu informieren, dass sie für sich entscheiden kann, wie ihr politisches Engagement aussehen kann. Es ist ein klein wenig unser Problem als Parteien, dass wir glauben, uns fehlt noch dieser Punkt und jener Punkt, um die Menschen in ihrem Alltag zu erreichen. Es reicht eben nicht, wenn wir im Wahlkampf sagen, dass wie Wahlen sind und sie uns wählen sollen. Die Demokratie und die Parteien leben von Menschen, die aktiv sind. Ich würde mich wünschen, dass auch meine Partei überlegt, wie wir junge Menschen Politik begeistern. Wie können wir unserem grundgesetzlichen Auftrag, zur politischen Meinungsbildung beizutragen, in einer politischen Landschaft behalten, die vielfältig und divers ist?

Stellen Sie sich vor, wir führen dieses Gespräch im Jahr 2035 erneut: Woran würden Sie erkennen, dass Ihr Einsatz sich gelohnt hat – nicht nur für Ihre Wählerinnen und Wähler, sondern auch für Ihr eigenes Verständnis von politischem Sinn?

Lena Dickgießer: Ich habe was bewegt in meiner Stadt. Wenn für mich in 10 Jahren deutlich werden würde, dass sich in dieser Hinsicht Köln positiv entwickelt hat. Dass die Menschen, die heute in der Stadt leben, immer noch in der Stadt leben und leben wollen und leben können und damit meine ich nicht nur die, die es gut haben in Köln, sondern eben vor allem jene Menschen, die sich in 10 Jahren sonst nicht mehr die Miete leisten können. Menschen, die aus der Innenstadt verdrängt werden, weil sie große Probleme haben, und dass Köln nicht nur denen gehört, die genug Geld haben, die genug Substanz haben in ihrem Leben. Es ist ein Ziel, wenn in 10 Jahren jeder seinen Platz in Köln hat, egal welchem Beruf er nachgeht, egal wie viel er am Monatsende verdient und dass auch die, die weniger haben, immer noch einen Platz bei uns in der Stadt haben.


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