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GESELLSCHAFTSSPIELE | 31.10.2025

Crime Places
Das neue kartenbasierte Rätselspiel von Oetinger

Mit „Crime Places – Das Sanatorium“ und „Crime Places – Bar der Dämonen“ erfindet sich das Krimi-Kartenspiel neu – als erzählerisch dichte, atmosphärisch aufgeladene Erfahrung zwischen Rätsel, Psychodrama und Mystery. Zwei Lost Places, zwei Abgründe – und ein Spiel, das tiefer geht als viele Filme.

von Franziska Keil


© Verlagsgruppe Oetinger Service GmbH

Als am 9. Oktober die beiden Kartenspiele „Crime Places – Das Sanatorium“ und „Crime Places – Bar der Dämonen“ erschienen sind, öffnete sich für Krimi- und Mysteryliebhaber ein Tor in eine Welt, in der Neugier zur Mutprobe wird und das Lösen von Rätseln einem nächtlichen Abstieg in vergessene Abgründe gleicht. Die Autoren Hans Pieper und Joel Müseler sowie Illustrator Tim Möller-Kaya schaffen mit dieser neuen Reihe nicht nur eine weitere Variation des beliebten Escape-Game-Formats, sondern eine atmosphärische Fusion aus Krimi, Psychothriller und immersivem Storytelling, die das Genre der Rätselspiele mit filmischer Intensität auflädt.

Beide Titel der Reihe führen die Spielenden an Orte, die ihre eigene morbide Poesie entfalten: verlassene Gebäude, verrottete Erinnerungen, das Echo längst vergangener Schreie. „Lost Places“ sind mehr als Kulissen – sie sind Erinnerungsträger kollektiver Ängste, Schauplätze der Vergänglichkeit und des unaussprechlich Unheimlichen. In „Das Sanatorium“ hallt der Wind durch verlassene Gänge, in denen die Geschichte eines verschwundenen Mädchens über Jahrzehnte hinweg nachzittert. „Bar der Dämonen“ hingegen spielt mit den Schatten der Vergangenheit eines Serienmörders, dessen Verbrechen sich zwischen Realität, Ritual und Wahn bewegen. Der Clou der Spiele liegt in ihrer Kartenstruktur: Jede der 72 Karten öffnet ein neues Kapitel, enthüllt Spuren, Hinweise und narrative Verästelungen, die sich zu einem vielschichtigen Mosaik verweben. Dabei bleibt der materielle Minimalismus – nur ein Kartendeck – im reizvollen Kontrast zur gedanklichen Weite, die sich entfaltet. Es ist ein Beweis, dass Immersion keine Virtual-Reality-Brille benötigt, sondern allein durch kluges Erzählen und die Vorstellungskraft der Spielenden entsteht.

Was die „Crime Places“-Reihe von vielen anderen Krimi- und Escape-Spielen unterscheidet, ist ihr literarischer Anspruch. Pieper und Müseler konzipieren ihre Fälle weniger als Rätselmechanismen, sondern als narrative Räume, die sich mit jedem Hinweis psychologisch verdichten. Das Spielerlebnis ist kein bloßes Kombinieren von Indizien, sondern ein allmähliches Eindringen in die mentale Topographie der Tatorte – eine Form des immersiven Erzählens, das an die Sogwirkung moderner Mystery-Serien erinnert. In „Das Sanatorium“ weht ein Hauch von Nordic Noir durch die ruinösen Gänge, eine Atmosphäre aus Kälte, Schuld und gebrochener Erinnerung. Die Story um die verschwundene Schulfreundin Solveig ist weniger ein klassischer Kriminalfall als eine melancholische Meditation über Erinnerung und Verdrängung. In „Bar der Dämonen“ hingegen treibt das Okkulte seine Blüten – hier mischen sich Dämonenglaube, Schuldprojektion und kollektiver Wahn zu einem hypnotischen Spiel aus Halluzination und Wahrheit, das an die Grenzerfahrungen von „Twin Peaks“ oder „True Detective“ denken lässt.


© Verlagsgruppe Oetinger Service GmbH

Die besondere Stärke der beiden Spiele liegt in ihrer Fähigkeit, Atmosphäre durch Auslassung zu schaffen. Wie in einem guten Psychothriller liegt die Faszination nicht im Schockmoment, sondern im, was man nicht sieht – oder noch nicht zu verstehen wagt. Tim Möller-Kayas Illustrationen leisten hierzu einen entscheidenden Beitrag: seine Detailgenauigkeit im Morbiden, seine brüchigen Lichtverhältnisse und das Spiel mit Schatten und Leere verleihen den Karten eine fast filmische Textur. Jede Zeichnung ist Einladung und Warnung zugleich – ein Standbild aus einem Albtraum, in dem man selbst die nächste Entscheidung treffen muss. Dass beide Spiele mehrfach spielbar sind, ist dabei keine formale Nebensächlichkeit, sondern Ausdruck ihrer narrativen Offenheit. Je nach Entscheidung, Wahrnehmung und Interpretation ergeben sich neue Lesarten, neue psychologische Perspektiven auf die Ereignisse.

Die „Crime Places“-Reihe lebt vom Balanceakt zwischen Authentizität und Fiktion. Die Verbrechen wirken real genug, um Gänsehaut auszulösen, aber nie so voyeuristisch, dass sie in Sensationslust kippen. Vielmehr geht es um den forensischen Blick als Metapher – um das Ergründen des Verborgenen, das Aufdecken jener inneren Landschaften, in denen die wahren Verbrechen schlummern: Selbsttäuschung, Schweigen, Schuld. Dass die Spiele ohne aufwendige Regeln auskommen und sich auch allein erleben lassen, ist kein Zugeständnis an Bequemlichkeit, sondern ein bewusster Schachzug: Das Rätseln wird zur intimen, fast kontemplativen Erfahrung. In der Einsamkeit des Spieltischs, umgeben von Schweigen und Dunkelheit, entfalten die Karten ihre ganze suggestive Kraft – man liest sie nicht, man betritt sie.

Fazit

„Crime Places – Das Sanatorium“ und „Crime Places – Bar der Dämonen“ sind zwei Seiten derselben dunklen Medaille: das Rational-Psychologische und das Okkult-Albtraumhafte. Beide Titel beweisen, dass die Gattung der Krimi-Kartenspiele zu wahrer Kunstform reifen kann, wenn sie sich nicht mit bloßen Puzzles begnügt, sondern eine emotionale und ästhetische Erfahrung erzeugt. In einer Zeit, in der Spiele oft auf Effekt und Tempo setzen, wagen Pieper, Müseler und Möller-Kaya das Gegenteil: Sie verlangsamen, vertiefen, lassen Stille zu. Ihre „Crime Places“-Reihe ist ein Plädoyer für die Kunst des genauen Hinsehens, für die Schönheit des Unheimlichen – und für die Erkenntnis, dass jeder Lost Place letztlich ein Spiegel des eigenen Inneren ist.


CRIME PLACES

Das Sanatorium | Bar der Dämonen

Dauer: ca. 120-180 Min.; Alter: 16-99 Jahre; Personenanzahl: ab 1 Person; mehrfach spielbar, die Karten bleiben intakt.

Verlagsgruppe Oetinger


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