KULTUR
| 23.04.2025

Der
September legt sich golden über die Stadt, die Abende werden kühler,
und doch brennt ein neues Licht in Köln: das der Literatur. Bevor
im Oktober die große Kernspielzeit beginnt, öffnet die lit.COLOGNE
spezial ihre Tore – ein Vorbote des Bücherherbstes, der längst
zu einem festen Ritual im kulturellen Kalender der Stadt geworden ist.
Seit 2011 bespielt dieses Format die Zwischenräume, schenkt dem
Herbst seine literarische Stimme und verwandelt Köln schon Wochen
vor der Hauptspielzeit in ein Zentrum des gesprochenen und geschriebenen
Wortes.
von
Richard-Heinrich Tarenz
Am
18. September erhebt Ocean Vuong, einer der lyrischsten Erzähler
Amerikas, im WDR-Funkhaus seine Stimme. Mit „Der Kaiser der Freude“
entwirft er das Porträt eines Amerikas zwischen Sehnsucht und Schmerz,
Schönheit und Verfall. Sein Auftritt wird flankiert von Senthuran
Varatharajah, dessen eigene Sprache eine Brücke zwischen Kulturen
schlägt – und so wird schon dieser Abend zu einem Dialog
über Grenzen hinweg. Später am selben Abend tritt Caroline
Wahl ins Rampenlicht. Sie ist die Stimme einer jungen Generation, die
mit „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ bereits
das Lebensgefühl einer ganzen Leserschaft eingefangen hat. Nun
seziert sie in „Die Assistentin“ die Zumutungen der modernen
Arbeitswelt – mit Schärfe, Witz und einem Blick, der das
Alltägliche ins Existentielle wendet. Am 19. September schließlich
betritt Susanne Abel die Bühne der Kulturkirche. In „Du musst
meine Hand fester halten, Nr. 104“ entfaltet sie eine Erzählung,
die Vergangenheit und Gegenwart ineinander spiegelt – zart und
eindringlich, getragen von der Frage, wie die Schatten der Geschichte
in die Seelen der Nachgeborenen hineinwirken. Vera Teltz, die Stimme
der Hörbuchfassungen, wird diese Geschichte im Raum der ehemaligen
Kirche lebendig machen – ein Ort, der selbst von Geschichte durchzogen
ist.
Die
lit.COLOGNE spezial ist kein bloßes Vorspiel, kein beiläufiges
Aperçu. Sie ist die Verdichtung des Herbstes, eine bewusste Setzung:
Hier werden ausgewählten Stimmen präsentiert, die das literarische
Gespräch des Jahres prägen. Während die Kernspielzeit
im Frühjahr oder Herbst als opulentes Panorama der Literatur gilt,
bietet die „spezial“-Reihe die konzentrierte Form –
wie ein Gedicht, das wenige Verse braucht, um die ganze Welt zu öffnen.
Dass dieses Format seit 2011 besteht, ist mehr als organisatorische
Erweiterung. Es ist Ausdruck eines Verständnisses von Literatur
als ständiger Gegenwart, als Stimme, die nicht verstummt, bis der
nächste große Festivalblock beginnt. Köln bleibt so
das ganze Jahr über literarischer Resonanzraum.
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Caroline
Wahl
© Frederike Wetzels
Wer
zurückblickt, erkennt, wie sehr die „lit.COLOGNE spezial“
das literarische Gedächtnis der Stadt geprägt hat. Hier sprach
Orhan Pamuk über die Melancholie Istanbuls, Herta Müller über
die Gewalt der Sprache, Salman Rushdie über die Freiheit der Imagination.
Chimamanda Ngozi Adichie brachte den Feminismus ins Gespräch, Juli
Zeh und Ferdinand von Schirach ließen die Grenzen von Recht und
Moral beben. Saša Stanišic schließlich verwandelte einen
Herbstabend in ein Fest der Herkunft, voller Witz, Wärme und Wehmut.
Diese Abende waren keine Fußnoten zum Hauptfestival, sie waren
eigenständige Kapitel, die noch immer nachklingen – literarische
Marksteine, die das Selbstverständnis der „lit.COLOGNE“
als internationales Festival der Ideen festigten.
Wenn
also im September die Worte in Köln wieder lauter werden als das
Rauschen des Rheins, wenn Kirchen, Funkhäuser und Säle sich
füllen mit Stimmen aus aller Welt, dann wird spürbar, warum
die lit.COLOGNE weit mehr ist als ein Literaturfestival. Sie ist ein
Versprechen: dass Literatur Menschen zusammenführt, Horizonte weitet
und auch in einer beschleunigten Welt den langen Atem des Denkens bewahrt.
Die große Kernspielzeit folgt vom 15. bis 19. Oktober, den festlichen
Schlusspunkt setzt am 11. Dezember *Weihnachten bei Familie Thalbach*
im Gürzenich. Doch schon im September, mit der „lit.COLOGNE
spezial“, wird klar: Köln bleibt im Herbst nicht nur eine
Stadt der Kirchen und Brücken, sondern vor allem eine Hauptstadt
der Sprache.
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