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ALBUM | 20.08.2025

KAITLYN AURELIA SMITH - GUSH

GUSH ist Kaitlyn Aurelia Smiths bislang direktestes und emotional intensivstes Werk – eine klangliche Einladung, das Einzigartige in den kleinsten Momenten zu erleben. Inspiriert von ihrer Synästhesie und einer tiefen Verbindung zu taktilen Objekten verwandelt die Künstlerin aus Los Angeles alltägliche Sinneseindrücke in ekstatische, synthgetriebene Klanglandschaften.

von Tatjana Malinin


© Tim Saccenti

Am 22. August 2025 erscheint Kaitlyn Aurelia Smiths neues Album GUSH – ein Werk, das den Anspruch erhebt, Musik nicht nur als klangliches Erlebnis, sondern als ästhetische Lebenshaltung zu begreifen. Wo viele zeitgenössische Produktionen nach Effekt heischen, sucht Smith das Leise, das kaum Beachtete – und erhebt es in eine Sphäre poetischer Strahlkraft. Smiths Musik ist stets mehr als bloßes Arrangement elektronischer Texturen. In GUSH erscheint sie wie eine moderne Variation romantischer Naturphilosophie: Die Komponistin entdeckt das Erhabene nicht in monumentalen Gesten, sondern im unscheinbaren Detail, das durch ihre modulare Klangarchitektur zu leuchten beginnt. So verwandelt sie Alltägliches in eine Art klingende Epiphanie – vergleichbar mit Paul Celans dichterischem Blick auf das „Blinde und Geringe“, das in der Kunst zur Offenbarung wird. Das Album folgt einer subtilen Dramaturgie, die von kontemplativer Zartheit zu eruptiven Momenten reicht. Der eröffnende Track „Drip“ tastet sich vorsichtig voran, als müsse der Hörer zunächst für die Feinheiten sensibilisiert werden, bevor sich die schillernden Arpeggien entfalten. „Urges“ konfrontiert uns mit einem metallisch pulsierenden Rhythmus, über dem Smiths Stimme wie ein körperloses Echo schwebt – eine musikalische Metapher für den Widerstreit zwischen Trieb und Kontrolle. Besonders eindrucksvoll wirkt „What’s Between Us“, das mit brüchigen Stop-and-Go-Strukturen das fragile Geflecht von Nähe und Distanz hörbar macht. Der Höhepunkt findet sich in „Both“: Hier verdichten sich modulare Schichtungen und vokale Fragmente zu einem prismatischen Sog, der an die polyphone Farbigkeit eines Kandinsky-Gemäldes erinnert. Was folgt, ist ein bewusstes Ausatmen – die abschließenden Stücke „Lay Down“ und „In the Dressing Room“ wirken wie offene Enden, die eher Nachklang als Schluss formulieren. Verglichen mit LET’S TURN IT INTO SOUND (2022) wirkt GUSH rhythmisch geordneter, weniger polyrhythmisch verschachtelt. Doch diese neue Klarheit ist keine Vereinfachung, sondern eine Verfeinerung. Smiths Musik bleibt intellektuell fordernd, aber zugleich unmittelbarer – sie öffnet sich dem Hörer, ohne ihre hermetische Tiefe aufzugeben. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Abstraktion und Zugänglichkeit ist es, das ihr Werk über die Sphäre experimenteller Elektronik hinaus ins kulturelle Feuilleton katapultiert. Mit GUSH beweist Kaitlyn Aurelia Smith, dass elektronische Musik heute dort am lebendigsten ist, wo sie nicht auf Lautstärke und Spektakel setzt, sondern auf Aufmerksamkeit und Resonanz. Ihr Album ist eine Schule des Hörens, eine Feier des unscheinbaren Moments, der im rechten Licht – oder im rechten Klang – zur metaphysischen Erfahrung wird. Es ist ein Werk, das nicht nur Musikliebhaber, sondern auch Philosophen, Literaten und Kunsthistoriker fesseln dürfte.

KAITLYN AURELIA SMITH - GUSH
Nettwerk Music Group | 22.08.2025


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