Wo
kommen wir her und wo gehen wir hin? Das ist eine philosophische Frage
nach dem Sinn des Lebens, die immer wieder ins Bewusstsein der Menschen
kommt und die vermutlich die Menschen schon jahrhundertelang beschäftigt.
In diesem Film wird aber auch die Frage nach dem, was jetzt ist gestellt.
Wer bin ich jetzt und wie hat der Weg hierher mich geprägt? Und
warum bedeutet es Freiheit eine Zigarette zu rauchen? Der preisgekrönte
Dokumentarfilm von Maryam Zaree ist nun auf DVD erschienen.
Die
Schauspielerin Maryam Zaree weiß, dass sie im iranischen Gefängnis
Evin geboren wurde, ihre Eltern und sie selber irgendwann entlassen
wurden und sie mit ihrer Mutter nach Frankfurt geflohen ist. Mit ihrem
Vater kommuniziert sie als Kind via Videobotschaften und Tonbandaufnahmen.
Je älter sie wird, desto drängender werden ihre Fragen,
die sie sich sehr lange nicht getraut hat zu stellen: Wie waren die
Bedingungen im Gefängnis? Wieso wurden wir wieder entlassen?
Was passierte rund um meine Geburt? Also begibt sie sich auf eine
Spurensuche nach Zeugen, nach Ideen und anderen Kindern, die mit einer
ähnlichen Geschichte auf die Welt gekommen sind. Weil ihre eigene
Mutter nicht über diese Vergangenheit spricht, versucht Maryam
auf verschiedenen anderen Wegen etwas über die Umstände
im Gefängnis von Evin, die Jugendbewegung im Iran der 80er Jahren
und auch über die iranisch-persischen Exilgemeinde herauszufinden.
Es ist nicht leicht etwas zu diesem Film, der
nun auf DVD erschienen ist, zu schreiben. Er ist facettenreich und
hallt nach. Auf der Suche nach sich selber und seiner eigenen im Dunkeln
liegenden Geschichte, sind Wege manchmal steinig, nebelig und verschlungen.
Es mag manche Abkürzung geben, die sich später doch als
Umweg herausstellt oder sogar als Sackgasse. Die Frage ist, ob die
Geburt und der Ort aus dem wir kommen, überhaupt ausmacht, wer
wir als Mensch sind. Maryam scheint eine taffe, selbstbewusste Frau
zu sein, die keine Scheu hat ihre Meinung zu sagen. Vor allem wenn
sie um das deutsche Fernsehen und deren mangelnde Recherchefähigkeiten
in Bezug auf Kleidungs-gewohnheiten von Flüchtlingen geht. „Kein
Mensch zieht sowas an, wenn er übers Meer flüchtet!“
Dennoch herrscht über weite Teile des
Films hauptsächlich Schweigen und das, obwohl durchaus viel miteinander
geredet wird, nur eben nicht über dieses eine Thema, was wie
eine Blase eiskalten Wassers über den Köpfen der Beteiligten
hängt. Zuerst habe ich darüber nachgedacht, ob diesen Film
eine leere Seite viel besser beschreiben würde. Aber das würde
ihm nicht gerecht werden, denn die Schnitzeljagd nach sich selber
und den Fragen, die man eigentlich hat, lässt sich nicht nur
mit Nichts-Sagen erklären. Obwohl sehr wenig gesagt wird, gibt
es doch immer wieder Schnipsel von Erkenntnissen, kleine Happen, die
kaum satt machen aber doch den Appetit nach mehr anfachen. Man könnte
jetzt auch über das Thema transgenerationale Traumata schreiben,
aber auch das wird dem Film nicht gerecht.
Am Anfang steht die Frage, wo man überhaupt
anfängt, wenn man ein Thema untersucht, über das nicht gesprochen
wird. Wen fragt man, wenn diejenigen, die am besten Bescheid wissen,
gar nicht sprechen möchten? Maryam versucht es mit engen Vertrauten
ihrer Mutter, ihrem Vater und Überlebenden eben dieses politischen
Gefängnisses Evin in Teheran (Iran). Die Art mit dem Erlebten
umzugehen ist sehr unterschiedlich, es gibt diejenigen, die versuchen
überzukompensieren, die immer erfolgreich sein müssen, die
immer weiter hinaus gehen müssen. Es gibt andere, sie sich auf
ihre Familie konzentrieren. Ihre eigene Mutter engagiert sich politisch
und versucht eine Gesellschaft zu formen, die Freiheit in Gedanken,
Worten und Taten vertritt. Im Iran ist vor vierzig Jahren der Schah
gestürzt und Ayatollah Khomeini als religiöser Führer
an die Spitze des Staates gekommen. Im Zuge dessen haben politische
Gegner harte Repressionen zu spüren bekommen, so wie Maryams
Eltern, die in Evin inhaftiert wurden. Man erfährt leider nicht
so viel über diese Zeit – politisch und gesellschaftlich
– wie es wünschenswert gewesen wäre, aber da es sich
lediglich um die Vorgeschichte handelt, ist es gar nicht so schlimm.
Es ist wie ein Vorspann, der die wichtigsten Fragen anspricht, aber
nicht weiter darauf eingeht.
Man könnte sich auch an anderen Fragen
aufhängen, wie dem Aussehen des Filmes. Die Bilder sind nicht
immer schön ausgeleuchtet, manchmal ist das Bild verwackelt und
die Perspektive etwas verzerrt. Aber das stört gar nicht! Auf
der Suche nach Antworten ist es gar nicht wichtig, ob es dunkel oder
hell ist, ob die Räume eng und die Keller in denen man auf seinen
Auftritt wartet, deprimierend sind. Nur das Schweigen, das fällt
immer wieder auf. Die Kamera hängt manchmal ein paar Sekunden
zu lang an einer schweigenden Person. Das ist beklemmend und man möchte
gerne in die Szene springen und den oder die schütteln, endlich
das Schweigen zu brechen. Dass es einem physisch unangenehm ist, beweist
aber nur, dass diese Dokumentation emotional berührt und man
fragt sich, ob es eigentlich in der eigenen Familie auch dieses Schweigen
gibt.
Das Ende des Films mutet etwas kitschig an,
wenn die Familie zusammenkommt und es dann einfach nicht mehr darum
geht, was genau passiert ist. Zuletzt hat der Prozess des Filmes und
des Filmemachens dafür gesorgt, dass das Trauma, das unausgesprochene
Wort verarbeitet, bearbeitet wurde und so die Familie näher zueinander
gebracht hat. Manchmal geht es eben doch nicht darum, wo man herkommt
oder hingeht, sondern um diejenigen, die den Weg dorthin gemeinsam
gehen. Und manchmal bedeutet es sogar Freiheit eine Zigarette zu rauchen,
wenn das etwas ist, das einer Gefangenen im Gefängnis als letzten
Wunsch verwehrt wurde.
BORN
IN EVIN
Deutschland
2019 | 375 Media | VÖ: 27. November 2020
(FSK 12)
R: Maryam Zarée | Dokumentation