Der
Künstler Elia kommt aus Nazareth und muss sich über Land
und Leute doch sehr wundern. Schon der eigene Garten und seine Zitronenbäume
sind vor den Begehrlichkeiten der Nachbarn nicht sicher. Bald bricht
Elia auf, um anderswo heimisch zu werden und die seltsame Einsamkeit
des kopfschüttelnden Beobachters hinter sich zu lassen.
Als
die Nachbarn sich mal wieder an seinem Zitronenbaum bedient haben,
ist für den Künstler Elia das Fass voll: Kurzerhand verlässt
er seine Heimat Nazareth und macht sich in der großen weiten
Welt auf die Suche nach einem neuen Zuhause. Er besucht genau die
Länder, in denen Frauen nichts zu befürchten haben, die
Kunst frei ist und es öffentliche Parks gibt, sodass niemand
auf die Idee kommt, Zitronen zu stehlen. So bekommt er es in Paris
und New York mit aggressiven Parkbesuchern, Touristen, die ferngesteuert
sind, Polizisten auf Rollern und bewaffneten Spaziergängern zu
tun. Wo er sich über die Absurditäten anfangs noch wundert,
wird ihm das alles irgendwann doch zu befremdlich. So stellt er bald
fest, dass nicht nur im heimischen Nazareth das Leben immer seltsamer
wird, auch anderswo verändert sich die Welt und wird skurriler.
Egal, wohin er auf der Welt kommt, irgendetwas erinnert ihn immer
an Palästina – sei es die Polizei, die Grenzkontrollen
oder grassierender Rassismus…
VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS von Regisseur
Elia Suleiman („Chronik eines Verschwindens“) glänzt
mit jeder Menge Absurdem Humor und einem gnadenlosen sezierenden Blick
auf die Welt, wo einem regelmäßig das Lachen im Halse stecken
bleibt. Es ist ein staunender Blick voller Faszination für die
Absurdität dieser Welt. Einer Welt, in welcher der Überwachungsstaat
sich immer weiter ausbreitet und seine Tentakel in alle Bereiche unseres
Lebens ausdehnt. Es ist diese ganz spezielle Sichtweise auf die Welt,
welche die Filme von Elia Suleiman auszeichnen. Standen in seinen
bisherigen Filmen stets die Absurdität des Nahostkonfliktes und
die Hoffnungslosigkeit des palästinensischen Volkes im Mittelpunkt,
erweitert er nun mit VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS die Perspektive
und begegnet einer Welt die zunehmend absurder und unverständlicher
erscheint.
Sein
filmisches Alter Ego erinnert an die Filme von Buster Keaton und Jacques
Tati. Er ist der Meister d
der leisen und subtilen Gesellschaftskritik, die den Zuschauer trifft
wie ein Fausthieb. Die Welt ist zunehmend egoistisch und mit sich
selbst beschäftigt und vergisst das Leid der Palästinenser.
Aber es geht dem Regisseur nicht darum zu resignieren. Der Film ist
eine Liebeserklärung an seine Heimat und zugleich ein Weckruf.
Es sind diese kleinen Momente der Hoffnung in diesem Film, die zeigen
sollen, dass auch in scheinbar verrückt gewordenen Welt Hoffnung
besteht. Hoffnung auf eine gerechte und solidarische Welt. So etwa,
wenn er nach einer surreal anmutenden Reise nach Paris in seiner Heimat
lauter kleiner Zeichen für einen positiven Wandel sieht und erlebt.
Da ist der Nachbar, der einen neuen Baum pflanzt. Da sind die jungen
Menschen in seiner Nachbarschaft, die ausgelassen feiern und sich
die Lebensfreude nicht zerstören lassen wollen. Auch in Zeiten
wachsender Überwachung und Unterdrückung setzten die Menschen
ein flammendes Zeichen der Hoffnung.
Und
so macht dieser Film Mut, dass auch weltweit ein Wandel eintritt und
die Menschen sich nicht kleinkriegen lassen. Freiheit kennt keine
Grenzen. Sie ist unteilbar und tief in der DNS der Menschen verankert.
Jeder Unterdrückung gebärt Gegenreaktionen. Keine Herrschaft
ist für die Ewigkeit gemacht. Am Ende sind es die Menschen und
ihr Freiheitswille, die siegen werden. Handwerklich lässt VOM
GIESSEN DES ZITRONENBAUMS keine Fragen offen. Die routinierte Inszenierung
unterstützt die Handlung und treibt sie voran in häufig
aberwitzigen Bildern, die surrealer kaum sein könnten. Was ist
Realität, was ist Traum? Diese Grenzen spielt in diesem Film
keine Rolle. Selten war ein so subversiv und zugleich so still. Dieser
Film erfordert etwas Geduld und ist sicher bisweilen für viele
Menschen etwas sperrig. Aber die Geduld zahlt sich aus. Dieser Film
ist eine gelungene Bestandsaufnahme einer Welt, die scheinbar „verrückt“
geworden ist, die den Zuschauer jedoch nicht deprimiert und fraglos
zurücklässt, sondern mit der wachsenden Pflanze der Hoffnung
beglückt.
VOM
GIESSEN DES ZITRONENBAUMS
Katar, Deutschland, Kanada, Türkei, Palästinia 2019
| EuroVideo Medien GmbH | VÖ: 20. August
2020 (FSK 0) R: Elia Suleiman | D: Elia Suleiman,
Gael García Bernal, Tarik Kopty