Touda
träumt davon, als Sheika – eine traditionelle marokkanische
Sängerin – Lieder über Widerstand, Liebe und Emanzipation
zu singen. Um sich diesen Traum zu erfüllen, muss sie jedoch
einen harten Weg gehen: Sie verdient ihr Geld mit Auftritten in Bars
ihrer kleinen Provinzstadt, wo sie den lüsternen Blicken der
Männer ausgesetzt ist, während sie gleichzeitig für
ihren gehörlosen Sohn sorgt.
Nabil
Ayouchs neuer Film "Alle lieben Touda", der am 29. Mai in
die Kinos kommt, ist eine kraftvolle und bewegende Hommage an die
Widerstandskraft der Frauen in Marokko und ein leidenschaftliches
Plädoyer für ihre Selbstbestimmung. Der Film zentriert sich
auf die Figur der Touda, einer Sheikha, und nutzt ihre Geschichte,
um tief in die komplexe Realität marokkanischer Frauen einzutauchen,
die zwischen Tradition und Moderne, zwischen Unterdrückung und
dem Drang nach Freiheit navigieren. Aïta, die traditionelle marokkanische
Bluesmusik, die von Frauen gesungen wird, dient im Film als kraftvolles
Symbol des Widerstands. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist diese
Musik in der Geschichte des Widerstands verwurzelt und artikuliert
in poetischer Form den Protest gegen Tyrannei, Kolonialherrschaft
und religiöse Zwänge. Die Sheikhas, die diese Lieder singen,
sind Rebellinnen und Aktivistinnen, die durch ihre Musik, ihre Kleidung
und ihren Tanz nichts beschönigen oder verbergen. Sie sind Wahrheitsverkünderinnen
ihrer Gemeinschaften und Hüterinnen eines wertvollen mündlichen
Erbes.
Ayouch
zeigt eindringlich, wie das Ansehen dieser unabhängigen Frauen
mit der Hinwendung des Landes zu konservativeren Werten sank. Sie
wurden zunehmend als Symbole sexueller Promiskuität verunglimpft,
insbesondere als sie in die Metropolen zogen und sich in den Rotlichtvierteln
als Cabaret-Attraktionen etablierten. Der Film scheut sich nicht,
die ambivalente Haltung der Gesellschaft gegenüber diesen Frauen
darzustellen – eine Mischung aus Bewunderung und Verachtung,
die die Protagonistin auf Schritt und Tritt begleitet. Touda ist eine
außergewöhnliche Frau in ihrer ländlichen Provinz.
Sie ist eine emanzipierte, alleinerziehende Mutter, die raucht und
trinkt, Bierflaschen mit den Zähnen öffnet und eine Affäre
mit einem verheirateten Polizisten hat, in der sie die Zügel
in der Hand hält. Sie ist Analphabetin, lernt aber Liedtexte
mit Hilfe von Sprachnachrichten einer Freundin. Sie übt unermüdlich,
um eines Tages genug Geld zu verdienen, damit ihr taubstummer Sohn
Yassine eine Gehörlosenschule in Casablanca besuchen kann, wo
sie sich auch Anerkennung für ihre Kunst erhofft.
Nisrin
Erradi verkörpert die Touda mit einer Intensität, die fesselt.
Sie verleiht ihrer Figur eine schmerzhafte Schönheit und Sinnlichkeit,
Beharrlichkeit und Verletzlichkeit. Ayouch fängt mit Hilfe der
oft dokumentarisch anmutenden Bilder von Virginie Surdej das pulsierende
Nachtleben von Casablanca ebenso brillant ein wie jede Nuance in Erradis
Gesicht, jedes Stirnrunzeln und Zucken ihrer Mundwinkel.In der Großstadt
angekommen, stößt Touda bei jedem mutigen Schritt in Richtung
Selbstbehauptung auf Ablehnung und Misogynie. Ihr extravagantes Auftreten
und ihr selbstbewusstes Wesen verschaffen ihr zwar einen Job, doch
sie wird weiterhin wie eine Stripperin behandelt und sogar von weiblichen
Konkurrentinnen beleidigt. Nur ein älterer Violinist erkennt
ihren Wert als Sheikha und hilft ihr, ihr Rhythmusgefühl zu verbessern.
Ayouch verzichtet auf überflüssige Dialoge und lässt
die Musik für sich sprechen. In einer Schlüsselszene singt
Touda gegen den Ruf des Muezzins an, der durch das Fenster ihres Hotelzimmers
dringt. Sie wiederholt besessen ihre Zeile („Alles wird gut“),
bis sie in der Melodie ihre eigene Erlösung findet. Dieser Akt
der Selbstermächtigung durch Gesang ist ein zentrales Motiv des
Films.
Der
Film kulminiert in einer spektakulären, achtminütigen Einstellung,
in der Touda das höchste Gebäude der Stadt und eine elegante
Rooftop-Bar betritt, wo die Sterne zum Greifen nah sind. Ihr sensationeller
Auftritt ist ein Triumph, der jedoch von den ambivalenten Reaktionen
des Publikums begleitet wird. In diesem Moment erkennt Touda, dass
ihre Freiheit nicht von der Akzeptanz der Gesellschaft abhängt,
sondern von ihrem Glauben an sich selbst und dem Stolz und der Würde
aller Sheikhas, die sie in sich trägt. "Alle lieben Touda"
ist ein zutiefst feministischer Film, der die Widerstandskraft von
Frauen feiert und die patriarchalen Strukturen anprangert, die sie
unterdrücken. Ayouch gelingt es, ein komplexes und nuanciertes
Porträt einer starken Frau zu zeichnen, die für ihre Träume
und ihre Selbstbestimmung kämpft. Der Film ist ein wichtiger
Beitrag zum zeitgenössischen Kino und ein kraftvolles Zeugnis
für die anhaltende Bedeutung des Widerstands in all seinen Formen.