KINO | 26.03.2025

DIE PURPURNEN FLÜSSE

In einer abgeschiedenen Universität hoch in den französischen Alpen verbreitet ein ebenso mysteriöser wie brutaler Serienmörder Angst und Schrecken. Bei den Ermittlungen kreuzen sich bald die Wege des schweigsamen Profi-Cops Pierre Niémans mit denen des jungen, hitzköpfigen Kommissars Max Kerkerian. An der Grenze des Todes und des ewigen Eises ergründen sie schließlich das Geheimnis der purpurnen Flüsse.

von Richard-Heinrich Tarenz


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Weder Hände, noch Augen, stattdessen nur kauterisierte Stümpfe und mit Regenwasser gefüllte Höhlen. Den Körper mit tiefen Schnittwunden versehen und zu einer embryonalen Haltung zusammengeschnürt. Die Leiche, die in Guernon, einer tief in den Alpen liegenden, beinahe surreal anmutenden elitären Universitätsstadt, an einer Felswand hängend gefunden wird, gibt Sonderermittler Pierre Niémans (Jean Reno) verständlicherweise Rätsel auf. 300 km entfernt wird im Örtchen Sarzac etwa zur selben Zeit das Grab eines vor 20 Jahren verunglückten Mädchens gewaltsam geöffnet, und Hakenkreuzschmie-rereien auf der Grabstätte verweisen augenscheinlich direkt auf die ortsansässige Skinhead-Gruppe. Doch wie passen der Einbruch ins Schularchiv und der Diebstahl eben dieses Mädchen betreffender Unterlagen in das Bild? Auch Kommissar Max Kerkerian (Vincent Cassel) steht vor einem Rätsel. Im Laufe der Untersuchungen kreuzen sich die Wege der beiden Ermittler und gemeinsam dringen sie ein in die abstruse Welt elitärer Phantasmen, um vor der bizarren Kulisse der Alpen schließlich das Geheimnis der purpurnen Flüsse zu ergründen.

Mathieu Kassovitz‘ „Die purpurnen Flüsse“, ein Meilenstein des französischen Thriller-Kinos, kehrt am 1. April 2025 in die Kinos zurück und bietet somit eine erneute Gelegenheit, dieses düstere Meisterwerk auf der großen Leinwand zu erleben. Der Film, der bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2000 Publikum und Kritiker gleichermaßen in seinen Bann zog, besticht durch seine atmosphärische Dichte, die herausragenden schauspielerischen Leistungen und die komplexe Handlung. Die Handlung, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jean-Christophe Grangé, entführt den Zuschauer in die französische Alpenregion, wo zwei scheinbar unabhängige Mordfälle die Wege der Kommissare Pierre Niémans (Vincent Cassel) und Max Kerkerian (Jean Reno) kreuzen. Was als konventioneller Kriminalfall beginnt, entwickelt sich zu einer verstörenden Reise in die Abgründe der menschlichen Natur, in der Genetik, Eugenik und eine elitäre Geheimgesellschaft eine zentrale Rolle spielen.


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Kassovitz inszeniert „Die purpurnen Flüsse“ als ein visuelles Meisterwerk, das von einer düsteren und bedrohlichen Atmosphäre geprägt ist. Die schneebedeckten Gipfel der Alpen werden zu einem unheilvollen Schauplatz, der die Isolation und Ausweglosigkeit der Figuren widerspiegelt. Die Kameraarbeit ist dynamisch und fängt die Spannung und Intensität der Handlung gekonnt ein. Vincent Cassel und Jean Reno liefern in ihren Rollen als Niémans und Kerkerian herausragende Leistungen ab. Sie verkörpern zwei grundverschiedene Charaktere, die sich im Laufe der Ermittlungen zu einem ungleichen, aber effektiven Team zusammenfinden. Das Zusammenspiel der beiden Schauspieler ist von einer Intensität geprägt, die den Zuschauer von der ersten Minute an fesselt. „Die purpurnen Flüsse“ ist mehr als nur ein spannender Thriller. Der Film wirft einen kritischen Blick auf die Abgründe der Gesellschaft, auf die Hybris der Wissenschaft und die Gefahren einer elitären Machtkonzentration. Die komplexe Handlung und die vielschichtigen Charaktere regen zum Nachdenken an und lassen den Zuschauer mit einem beklemmenden Gefühl zurück. Die Musik von Bruno Coulais unterstreicht die düstere Atmosphäre des Films und verleiht den Bildern eine unheilvolle Intensität. Der Soundtrack ist ein integraler Bestandteil des Films und trägt maßgeblich zur Spannung bei.

„Die purpurnen Flüsse“ ist ein zeitloser Thriller, der auch nach über zwei Jahrzehnten nichts von seiner Faszination verloren hat. Kassovitz hat ein Werk geschaffen, das durch seine visuelle Kraft, die herausragenden schauspielerischen Leistungen und die tiefgründige Thematik besticht. Die Wiederaufführung des Films am 1. April 2025 bietet die einmalige Gelegenheit, dieses Meisterwerk auf der großen Leinwand zu erleben und sich von seiner düsteren Schönheit verzaubern zu lassen.


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Interview mit MATHIEU KASSOVITZ

Dies ist der erste Film, der nicht auf Ihrem eigenen Drehbuch beruht. Was hat Sie gereizt an diesem Projekt?

Alain Goldmann rief mich eines Tages an und bat mich, den Roman zu lesen. Er fügte hinzu, dass Jean Reno sich für die Rolle des Niémans interessiere. Ich nahm also das Buch und verschlang es in einer einzigen Nacht. Am Ende habe sagte ich mir: „Das wäre tatsächlich eine ziemlich gute Grundlage für einen Film." Morgens rief ich Alain Goldmann zurück und bat ihn, das Drehbuch von Jean-Christoph Grangé lesen zu dürfen.

Von den geographischen und klimatischen Bedingungen her war Die purpurnen Flüsse ein ziemlich schwieriges, z.T. auch gefährliches Projekt.

Es war in der Tat aufregend und gefährlich. Jeder Gletscher ist unvorhersehbar, denn keiner weiß je genau, worauf man sich eigentlich bewegt. Wir hatten immer Bergführer aus Chamonix zu unserer Sicherheit dabei, und sie wurden nicht müde zu erklären, dass es nur zehn Meter weiter Gletscherspalten gäbe, in die schon Hunderte hineingefallen seien, oder auch, dass man von harmlos aussehenden Eisschollen zermalmt oder zersäbelt werden könne. Kurz gesagt: äußerste Vorsicht war durchaus angebracht. Wir ließen Jean und Nadia unglaubliche Dinge tun, Abstiege in 40 Meter tiefe Schluchten mit Hilfe eines Krans, den wir heraufgebracht hatten. Es war ziemlich beeindruckend, es musste alles nach und nach per Helikopter hoch geflogen werden. Es gab eine große Anzahl von Problemen. Beispielsweise wenn Wind aufkam, konnte es passieren, dass Sie innerhalb von zehn Minuten mitten in einem eisigen Schneesturm standen und dass der Helikopter die Crew nicht mehr abholen konnte, weil er einfach nicht gegen den Wind ankam, der mit 100 km/h lostobte. In solchen Schneestürmen kann auch die Temperatur auf Minus 15°C und weniger fallen, die Kameras vereisen, und der Film zerbricht Ihnen einfach.

Wie haben sich diese Erschwernisse auf Ihre Inszenierung ausgewirkt? Haben Sie sich Storyboards bedient, um bestimmte komplexe Aufnahmen überhaupt filmen zu können?

In extremen Situationen ist der Impuls aufzugeben ebenso stark, wie der, es genau nicht zu tun – und letzterer ist gottlob immer etwas stärker. Die Schlusssequenz des Films spielt auf einem Gletscherrücken. Wir befanden uns 3.200 Metern über dem Meeresspiegel. In dieser Höhe ist die Luft schon ziemlich dünn, und einige Mitglieder des Teams waren tatsächlich einer Ohnmacht nahe – einschließlich der Schauspieler, die in diesen Szenen ja auch kämpfen und sich verausgaben mussten. Zu allem Überfluss bleiben einem dort oben nur knapp drei Stunden Drehzeit pro Tag, weil die Sonne sehr schnell untergeht. Es ist sehr kompliziert, aber jedes Zögern oder Zaudern kostet letztlich nur Zeit. Also passt man das Drehbuch ein wenig an. Man weiß, dass man einen Kran nicht für mehrere Tage auf 3.200 Meter heraufbringen kann, weil schon in der ersten Nacht alles einfriert, die Köpfe nicht mehr funktionieren und die Hydraulik verrückt spielt. Sie befinden sich also immer auf einer Gratwanderung, einerseits möglichst optimal und detailliert vorbereitet zu sein, und andererseits aber sich jeden Moment an die äußeren Gegebenheiten anzupassen.

Gab es Momente beim Drehen, die Sie überraschten?

Wir drehten zum Beispiel in einer enormen Bibliothek, und Jean sollte eine große Tür öffnen und in die Bibliothek hereinkommen. Die Aufnahme bestand in einer langsamen Rückfahrt. Es war Jean erster Drehtag. Wir bereiteten die Aufnahmen mit einem Double vor, das Double trat ein, wir regelten Licht und Kadrage und waren drehfertig. Ich hatte das beim Aufbau und den Lichtproben als eine ganz gewöhnliche Aufnahme gesehen, als wir dann aber die erste Probe mit Jean machten, bekam das allein durch seine Erscheinung Gestalt und Atmosphäre: „Ah, das ist es! Auf einmal ist es eine interessante Aufnahme.“


DIE PURPURNEN FLÜSSE

Wiederaufführungstermin: 01.04.25 | FSK 16
R: Mathieu Kassovitz | D: Jean Reno, Vincent Cassel, Dominique Sanda
Frankreich 2000 | Tobis Film



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