KINO | 11.09.2024

Das Flüstern der Felder

Polen im späten 19. Jahrhundert. Die junge Jagna lebt in einem Dorf, das geprägt ist von Klatsch und Tratsch, vom Wandel der Jahreszeiten, von bunten Traditionen – und von einem tief verwurzelten Patriarchat. Jagna wird dem mächtigsten Bauern im Dorf versprochen, doch eigentlich liebt sie dessen Sohn, den rebellischen Antek. Als sie zum Spielball der Männer wird, lehnt sich Jagna auf und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand.

von Richard-Heinrich Tarenz


© PLAION PICTURES_Breakthrufilm

Spätes 19. Jahrhundert: Jagna (Kamila Urzedowska) lebt in einem kleinen Dorf in Polen, das von einem tief verwurzelten Patriarchat beherrscht wird und in den starren Traditionen das Leben bis in den letzten noch so kleinen Winkel bestimmen. Und so kommt es, dass die junge Schönheit Jagna dem angesehensten Bauern des Dorfes versprochen wird, obwohl sie eigentlich Gefühle für dessen Sohn Antek (Robert Gulaczyk) hegt, der so ganz anders ist als alle anderen Bewohner des Dorfes. Doch sie will ihr Schicksal nicht einfach so hinnehmen, andere über ihr Leben bestimmen lassen und beginnt zu rebellieren.

Der neue Animationsfilm „Das Flüstern der Felder“, basierend auf Wladyslaw Reymonts monumentalem Roman „Die Bauern“, bringt nicht nur eine visuelle Pracht auf die Leinwand, sondern eröffnet auch einen tiefen Einblick in die Rolle von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft. Unter der Regie von DK und Hugh Welchman wird die Geschichte von Jagna, einer jungen Frau, die zwischen den Erwartungen ihrer Familie und ihren eigenen Wünschen gefangen ist, eindrucksvoll erzählt. Der Film bietet eine Plattform für feministische Themen und beleuchtet die Herausforderungen, mit denen Frauen im späten 19. Jahrhundert konfrontiert waren. Jagna ist das Herzstück des Films. Sie lebt mit ihrer Mutter Jagustynka in ärmlichen Verhältnissen und ist umgeben von den strengen Normen und Erwartungen eines patriarchalen Dorfes. Ihre Affäre mit dem verheirateten Antek zeigt bereits zu Beginn, dass sie sich nicht scheut, gegen gesellschaftliche Konventionen zu verstoßen. Doch während ihre Leidenschaft für Antek sie in eine komplizierte Dreiecksbeziehung führt, wird schnell klar, dass ihre Freiheit stark eingeschränkt ist. Die Entscheidung ihrer Mutter, Jagna mit dem wohlhabenden Boryna zu vermählen, verdeutlicht die wirtschaftlichen Zwänge, unter denen Frauen oft leiden.

Diese Heiratsallianzen sind weniger Ausdruck romantischer Liebe als vielmehr strategische Entscheidungen zur Verbesserung der sozialen Stellung. Hier wird deutlich, wie Frauen in dieser Zeit oft als Tauschobjekte betrachtet wurden – ein Thema, das auch heute noch relevant ist. Im Verlauf des Films wird Jagna zunehmend zum Ziel der Neid und des Hasses ihrer Schwiegermutter und der Dorfbewohner*innen. Die Konflikte zwischen den Dorfbewohnern und den Großgrundbesitzern eskalieren und spiegeln die archaischen Machtstrukturen wider, die sowohl Männer als auch Frauen unterdrücken. Während Boryna als Symbol für Reichtum und Macht fungiert, zeigt sich Jagna als Opfer dieser Strukturen – gefangen zwischen den Ansprüchen der Männer in ihrem Leben. Die Darstellung von Jagna als komplexe Figur ist entscheidend für die feministischen Themen des Films. Sie ist nicht nur ein passives Objekt der Begierde oder ein Opfer ihrer Umstände; sie hat Träume und Wünsche, die über das hinausgehen, was ihr zugestanden wird. Ihre Sehnsucht nach Freiheit wird durch ihre künstlerische Ader symbolisiert – sie findet Trost in der Schönheit der Natur und träumt davon, sich von den Fesseln ihres Lebens zu befreien.


© PLAION PICTURES_Kateryna Ocheredko

Ein besonders eindrucksvoller Aspekt von „Das Flüstern der Felder“ sind die fast dokumentarisch anmutenden Szenen von Beerdigungen, Hochzeiten und traditionellen Festen. Diese Rituale sind nicht nur kulturelle Ausdrucksformen; sie zeigen auch die spezifischen Erfahrungen von Frauen innerhalb dieser Traditionen. Die Darstellung dieser Riten gibt dem Publikum einen Einblick in das Leben der Dorfbewohner*innen und verdeutlicht gleichzeitig die Rolle der Frauen als Hüterinnen von Traditionen. Die Musik spielt ebenfalls eine zentrale Rolle im Film. Modern interpretierte traditionelle polnische Lieder untermalen die Szenen und verleihen ihnen emotionale Tiefe. Diese musikalische Untermalung verstärkt das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt unter den Frauen im Dorf – trotz aller Konflikte sind es oft die Frauen, die zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen.

Die visuelle Umsetzung des Films ist beeindruckend; das Regie-Duo hat Schauspieler*innen in realen Sets gefilmt und diese Bilder anschließend übermalt, um einen einzigartigen Animationsstil zu schaffen. Während dies bei ihrem vorherigen Werk „Loving Vincent“ organisch wirkte, kann man argumentieren, dass es hier manchmal wie eine stilistische Übung erscheint. Dennoch gelingt es dem Film durch seine surrealen Bilder und flirrenden Farben, Emotionen zu transportieren – selbst wenn die Handlung gelegentlich dünn wirkt. Die Herausforderung besteht darin, dass das epische Werk Reymonts auf einen zentralen Plot reduziert werden musste. Dies führt dazu, dass einige tiefere gesellschaftliche Kontexte möglicherweise verloren gehen oder für Zuschauer*innen ohne Vorwissen schwer nachvollziehbar sind. Dennoch bietet „Das Flüstern der Felder“ wertvolle Einblicke in polnische Traditionen sowie in die Psyche einer Gesellschaft im Wandel.


DAS FLÜSTERN DER FELDER

Start: 12.09.24 | FSK 12
R: DK Welchman, Hugh Welchman | D: Kamila Urzedowska, Robert Gulaczyk, Miroslaw Baka
Polen, Serbien, Litauen 2023 | Plaion Pictures



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