Tom
ist zehn und anders als die anderen Kinder. Er mag keine Veränderungen,
keine Dinge, die rot sind, und alles Laute wird ihm rasch zu viel.
Sein Spezialgebiet ist der Weltraum. Am liebsten läuft er in
seinem Astronautenanzug herum, in schwierigen Situationen gerne auch
mit Helm.
Sarah
Winkenstettes „Grüße vom Mars“ entpuppt sich
als ein feinfühliger und humorvoller Familienfilm, der das Innenleben
des zehnjährigen Tom auf sensible Weise erkundet. Toms enthusiastischer
Traum von der ersten bemannten Marsmission kontrastiert auf interessante
Weise mit seinem pedantischen Festhalten an Routinen und Strukturen
im Alltag. Seine außergewöhnliche Begabung für mathematisches
Denken dient ihm als Instrument zur Ordnung seiner Welt, doch unvorhergesehene
Ereignisse können rasch zu sensorischer Überforderung und
Panikreaktionen führen. Winkenstette gelingt in ihrem zweiten
Spielfilm eine bemerkenswerte Balance, indem sie die Ängste und
Überforderungen ihres jungen Protagonisten als einen natürlichen
Bestandteil des Lebens darstellt, ohne dabei in stereotype Darstellungen
von Betroffenheit zu verfallen. Stattdessen erzählt sie mit Empathie
und subtilem Humor die Geschichte eines Jungen mit einer Autismus-Spektrum-Störung,
der sich auf einen behutsamen Weg begibt, seine persönliche Komfortzone
zu erweitern und sich seinen individuellen Herausforderungen zu stellen.
Basierend
auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Thomas Möller und Sebastian
Grusnick, die auch das Drehbuch adaptierten, wird Tom dem Zuschauer
zunächst in seinem umgebauten Schrank präsentiert –
einem intimen Rückzugsort, der ihm Sicherheit und die Möglichkeit
bietet, sich seiner Leidenschaft für Astronomie hinzugeben. Bereits
die Szene, in der seine Mutter die Schranktür öffnet und
ihre roten Fingernägel sichtbar werden, verdeutlicht Toms ausgeprägte
sensorische Sensibilität. Die Farbe Rot, für ihn assoziiert
mit Gefahr und Notfällen, droht eine Panikattacke auszulösen.
Winkenstette setzt gekonnt verschiedene audiovisuelle Stilmittel ein,
um die subjektive Wahrnehmung ihres Protagonisten für das Publikum
erfahrbar zu machen.
In
Momenten der Überforderung verzerren sich Geräusche, Stimmen
verschwimmen zu einem unartikulierten Rauschen, und das Bild beginnt
zu flackern und an Schärfe zu verlieren. Diese visuelle und auditive
Umsetzung macht Toms sensorische Reizüberflutung nicht nur verständlich,
sondern auch emotional spürbar. Gleichzeitig integriert der Film
charmante weiße Zeichnungen als Animationselemente, die auf
kreative Weise Toms Fantasiewelt und seine auf Mustern und Zahlen
basierenden Denkprozesse visualisieren. So transformiert sich das
Familienauto kurzerhand in das Raumschiff der Lunau-Mission, und der
überfüllte Dachboden mutiert zu einem wohlgeordneten Observatorium.
„Grüße vom Mars“ zeichnet sich durch eine bemerkenswerte
Leichtigkeit in seiner Erzählweise aus. Obwohl die Ängste
des Jungen, der sich am liebsten in einem Raumanzug bewegen würde,
ernst genommen werden, vermeidet der Film jegliche Schwere. Die unkonventionellen
Hippie-Großeltern, die ihre drei Enkelkinder mit ihrem entspannten
Lebensstil auf dem Land und dem Fehlen von drahtlosem Internet auf
sanfte Weise aus ihren Gewohnheiten locken, sorgen für humorvolle
Intermezzi.
Ohne
Tom als bemitleidenswerten Außenseiter zu inszenieren, verdeutlicht
Winkenstette jedoch die Herausforderungen, denen er und sein Umfeld
bei der Einhaltung oder Veränderung seiner essenziellen Regeln
und Strukturen begegnen. Dabei wird subtil vermittelt, dass es nicht
um eine bloße Anpassung Toms geht, sondern darum, ihm Wege zu
eröffnen, sich auf seine eigene Weise im Alltag zu bewegen. Kleine
Schritte, wie das Überwinden der Angst vor einer roten Tür,
werden dabei zu Symbolen bedeutender persönlicher Fortschritte.
Theo Kretschmer verkörpert den oft fragend und verängstigt
wirkenden Tom mit einer beeindruckenden Sensibilität. Obwohl
es seine erste Filmrolle ist, meistert er die anspruchsvolle Aufgabe,
Toms Verunsicherung, seine Panikzustände, aber auch seine innere
Entschlossenheit glaubhaft darzustellen. Gerade in der finalen Szene,
in der Tom zum ersten Mal ein offenes Lächeln zeigt, entsteht
beim Zuschauer das Gefühl, ihn auf einem bedeutsamen Entwicklungsschritt
begleitet zu haben.
GRÜSSE VOM MARS
Start:
08.05.25 | FSK 6
R: Sarah Winkenstette | D: Eva Löbau, Michael Wittenborn, Theo
Kretschmer
Deutschland 2024 | Farbfilm