KINO | 30.04.2025

GRÜSSE VOM MARS

Tom ist zehn und anders als die anderen Kinder. Er mag keine Veränderungen, keine Dinge, die rot sind, und alles Laute wird ihm rasch zu viel. Sein Spezialgebiet ist der Weltraum. Am liebsten läuft er in seinem Astronautenanzug herum, in schwierigen Situationen gerne auch mit Helm.

von Franziska Keil


© FARBFILM

Sarah Winkenstettes „Grüße vom Mars“ entpuppt sich als ein feinfühliger und humorvoller Familienfilm, der das Innenleben des zehnjährigen Tom auf sensible Weise erkundet. Toms enthusiastischer Traum von der ersten bemannten Marsmission kontrastiert auf interessante Weise mit seinem pedantischen Festhalten an Routinen und Strukturen im Alltag. Seine außergewöhnliche Begabung für mathematisches Denken dient ihm als Instrument zur Ordnung seiner Welt, doch unvorhergesehene Ereignisse können rasch zu sensorischer Überforderung und Panikreaktionen führen. Winkenstette gelingt in ihrem zweiten Spielfilm eine bemerkenswerte Balance, indem sie die Ängste und Überforderungen ihres jungen Protagonisten als einen natürlichen Bestandteil des Lebens darstellt, ohne dabei in stereotype Darstellungen von Betroffenheit zu verfallen. Stattdessen erzählt sie mit Empathie und subtilem Humor die Geschichte eines Jungen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, der sich auf einen behutsamen Weg begibt, seine persönliche Komfortzone zu erweitern und sich seinen individuellen Herausforderungen zu stellen.

Basierend auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Thomas Möller und Sebastian Grusnick, die auch das Drehbuch adaptierten, wird Tom dem Zuschauer zunächst in seinem umgebauten Schrank präsentiert – einem intimen Rückzugsort, der ihm Sicherheit und die Möglichkeit bietet, sich seiner Leidenschaft für Astronomie hinzugeben. Bereits die Szene, in der seine Mutter die Schranktür öffnet und ihre roten Fingernägel sichtbar werden, verdeutlicht Toms ausgeprägte sensorische Sensibilität. Die Farbe Rot, für ihn assoziiert mit Gefahr und Notfällen, droht eine Panikattacke auszulösen. Winkenstette setzt gekonnt verschiedene audiovisuelle Stilmittel ein, um die subjektive Wahrnehmung ihres Protagonisten für das Publikum erfahrbar zu machen.


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In Momenten der Überforderung verzerren sich Geräusche, Stimmen verschwimmen zu einem unartikulierten Rauschen, und das Bild beginnt zu flackern und an Schärfe zu verlieren. Diese visuelle und auditive Umsetzung macht Toms sensorische Reizüberflutung nicht nur verständlich, sondern auch emotional spürbar. Gleichzeitig integriert der Film charmante weiße Zeichnungen als Animationselemente, die auf kreative Weise Toms Fantasiewelt und seine auf Mustern und Zahlen basierenden Denkprozesse visualisieren. So transformiert sich das Familienauto kurzerhand in das Raumschiff der Lunau-Mission, und der überfüllte Dachboden mutiert zu einem wohlgeordneten Observatorium. „Grüße vom Mars“ zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Leichtigkeit in seiner Erzählweise aus. Obwohl die Ängste des Jungen, der sich am liebsten in einem Raumanzug bewegen würde, ernst genommen werden, vermeidet der Film jegliche Schwere. Die unkonventionellen Hippie-Großeltern, die ihre drei Enkelkinder mit ihrem entspannten Lebensstil auf dem Land und dem Fehlen von drahtlosem Internet auf sanfte Weise aus ihren Gewohnheiten locken, sorgen für humorvolle Intermezzi.

Ohne Tom als bemitleidenswerten Außenseiter zu inszenieren, verdeutlicht Winkenstette jedoch die Herausforderungen, denen er und sein Umfeld bei der Einhaltung oder Veränderung seiner essenziellen Regeln und Strukturen begegnen. Dabei wird subtil vermittelt, dass es nicht um eine bloße Anpassung Toms geht, sondern darum, ihm Wege zu eröffnen, sich auf seine eigene Weise im Alltag zu bewegen. Kleine Schritte, wie das Überwinden der Angst vor einer roten Tür, werden dabei zu Symbolen bedeutender persönlicher Fortschritte. Theo Kretschmer verkörpert den oft fragend und verängstigt wirkenden Tom mit einer beeindruckenden Sensibilität. Obwohl es seine erste Filmrolle ist, meistert er die anspruchsvolle Aufgabe, Toms Verunsicherung, seine Panikzustände, aber auch seine innere Entschlossenheit glaubhaft darzustellen. Gerade in der finalen Szene, in der Tom zum ersten Mal ein offenes Lächeln zeigt, entsteht beim Zuschauer das Gefühl, ihn auf einem bedeutsamen Entwicklungsschritt begleitet zu haben.


GRÜSSE VOM MARS

Start: 08.05.25 | FSK 6
R: Sarah Winkenstette | D: Eva Löbau, Michael Wittenborn, Theo Kretschmer
Deutschland 2024 | Farbfilm



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