Jan-Ole
Gerster, der das Publikum vor mehr als 10 Jahren mit „Oh Boy“
in Berlin-Melancholie versinken ließ, liefert mit „Islands“
nun erneut eine faszinierende Charakterstudie. Mit stiller Intensität,
getragen von hypnotischen Bildern und einer schleichenden Unruhe erzählt
der Regisseur die Geschichte eines Urlaubs, der zur Zerreißprobe
wird. „Islands“ - ein Film wie eine Fata Morgana: flirrend,
verführerisch und nie so, wie es im ersten Moment scheint.
Tom
(Sam Riley) arbeitet als Tennistrainer in einem Hotelresort auf Fuertaventura.
Sein Leben ist ein Kreislauf aus Alkohol, belanglosen Affären
und dem täglichen Spiel auf dem Platz - eine Existenz im Leerlauf.
Als die Familie Maguire anreist, wird sein monotoner Alltag plötzlich
auf den Kopf gestellt. Er entwickelt eine enge Beziehung zu Anne (Stacy
Martin), ihrem Ehemann Dave (Jack Farthing) und dem gemeinsamen Sohn
Anton (Dylan Torrell). Ihn beschleicht das Gefühl, Anne schon
einmal begegnet zu sein, während die Spannung zwischen ihnen
wächst. Eines Nachts verschwindet Dave. Im Zuge der polizeilichen
Ermittlungen geraten sowohl Anne als auch Tom unter Verdacht.
„Islands“ glänzt auch eine
meisterhafte visuelle Gestaltung. Weite Landschaften, verlassene Orte,
ewiges Licht - die Insel wird zum Spiegel innerer Isolation. Die Figuren
erscheinen oft klein, verloren in der Komposition. Der Zoom als zentrales
Gestaltungselement ist dabei kein bloßer Effekt, sondern ein
Ausdruck innerer Zustände: „Wenn man von einer sehr weiten
Brennweite […] heranzoomt, dann verzerrt sich natürlich
auch das Umfeld“, erklärt Gerster. „Und diese Verzerrung
und Veränderung war ein passendes Stilmittel, um die Wahrnehmung
der Figuren zu verdeutlichen.
Die Kamera beobachtet mehr, als dass sie eingreift.
Gerster, selbst Autor des Drehbuchs, lobt die Präzision seiner
Darsteller: „Wir haben beschlossen, wenige Einstellungen zu
drehen und somit weniger zu schneiden, um dadurch den Schauspielern
mehr Raum zu geben. Dazu braucht es allerdings auch Schauspieler,
die genau diesen Raum füllen können.“ Und das gelingt.
Insbesondere Sam Riley beeindruckt mit seiner überzeugenden Darstellung
des innerlich zerrissenen Tom.
Auch
die Figurenwahl folgt keiner rein dramaturgischen Logik. „Wenn
ich mich für eine Figur interessiere, bedeutet das eigentlich
schon für mich, dass es eine persönliche Verbindung gibt“,
erklärt der Regisseur. „Warum ich […] stark auf Figuren
reagiere, die eine gewisse Verlorenheit in sich tragen, hat sicherlich
mit mir und meiner Vergangenheit zu tun.“ Diese Selbstauskunft
verleiht den melancholischen Untertönen des Films eine zusätzliche
Tiefe.
Gersters Umgang mit Dramaturgie ist ebenso
intuitiv wie radikal. Er folgt keiner Spannungskurve, sondern einem
emotionalen Sog. Vieles, was im Film passiert, wirkt geradezu metaphorisch,
denn „Islands“ interessiert sich mehr für die Innenwelten
als für die äußeren Abläufe. Er spricht von einem
Kino, das sich dem Assoziativen und Geheimnisvollen verpflichtet fühlt:
„Geschichten in den alles permanent erklärt, ausgesprochen
und logisch beantwortet wird, gehören meiner Meinung nach dann
doch eher ins Fernsehen.“
Und von diesen metaphorischen und teilweise
unerklärlichen Momenten lebt der Film. Sehr einprägsam ist
beispielsweise ein nächtliches Aufeinandertreffen von Tom und
einem Kamel, das beinahe surreal anmutet und zum Glücksmoment
am Set wurde. „Eigentlich kann man sowas nicht drehen. Also
wenn man Glück hat, geht das mit einem Hund, aber sicherlich
nicht mit einem Kamel. […] Und tatsächlich war es wirklich
im letzten Licht, wo alle Elemente auf Wundersame Art und Weise in
Perfektion zusammengekommen sind“, erinnert sich Gerster. Ein
magischer Take.
„Islands“
ist ein Film, der sich jeder Eindeutigkeit entzieht und genau dadurch
seine Stärke entfaltet. Wer sich auf die Langsamkeit, auf die
Ungewissheit einlässt, wird belohnt mit einem Film, der nicht
belehrt, sondern beobachtet. Ein Film, der zeigt, dass das größte
Drama manchmal in einem einzigen Blick liegt, in einer Umarmung, die
ausbleibt oder in den Worten, die nie ausgesprochen wurden.
Nach
monatelanger harter Arbeit konnte „Islands“ am 28.04.
nun endlich Premiere feiern. Im Cinenova in Köln gingen Jan-Ole
Gerster, Sam Riley und weitere Teammitglieder über den roten
Teppich. Im persönlichen Interview verriet Gerster, dass die
Premiere in Köln besonders wichtig sei, dass die Produktionsfirma
von dort sei und der Film überhaupt erst durch die Förderung
der Filmstiftung aus NRW möglich gemacht worden sei. „Somit
ist eine Premiere hier in Köln auch nochmal eine gute Gelegenheit,
Danke zu sagen.“
Und
freuen können sich Regisseur und Hauptdarsteller nicht nur über
eine gelungene Premiere, sondern auch über mehrere Nominierungen
beim Deutschen Filmpreis. „Islands“ erhielt Nominierungen
in den Kategorien bester Spielfilm, Beste Tongestaltung und Beste
Filmmusik, in letzterer gewann der Film, während Sam Riley als
beste männliche Hauptrolle nominiert war. Für ihn sei es
immer noch etwas Besonderes, eine Hauptrolle zu spielen, verriet er
am roten Teppich und er genieße dabei jede Minute am Set. Und
nach einer gelungenen Premiere konnten Regisseur, Darsteller und das
gesamte Team ihren Erfolg hoffentlich ordentlich feiern. Denn im persönlichen
Gespräch verriet Gerster auf die Frage, welchem seiner Charaktere
er gern einmal im echten Leben begegnen würde: „Also jetzt,
wo ich so viel arbeite und gar nicht mehr dazu komme, den schönen
Dingen des Lebens nachzugehen, würde ich eigentlich gerne mal
mit Dave einen Abend im Waikiki, dem berüchtigten Nachtklub aus
unserem Film, verbringen.“
ISLANDS
Start:
08.05.25 | FSK 6
R: Jan-Ole Gerster | D: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing
Deutschland 2025 | Leonine