KINO | 07.08.2024

LONGLEGS
Ein fesselndes Spiel mit Angst und Atmosphäre

Im Rahmen der Verfolgung eines Serienmörders stößt eine FBI-Agentin auf eine Reihe von verborgenen Hinweisen, die es zu lösen gilt, um der schrecklichen Mordserie ein Ende zu setzen.

von Richard-Heinrich Tarenz


© DCM

Die junge FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) wird mit einem ungelösten Fall eines Serienmörders (Nicolas Cage) betraut, der seit über 30 Jahren seine Taten begeht – und das auf äußerst mysteriöse Weise. Das Besondere ist nämlich: Es gibt nur ein einziges Anzeichen, dass bei den Morden, bei denen immer Familienväter ihre Familie und sich selbst gemetzelt haben, noch eine weitere Person involviert war: Es wurde jedes Mal ein Brief mit okkulten Symbolen und der Unterschrift „Longlegs“ hinterlassen. Harker gelingt es, die Nachrichten des Killers zu entschlüsseln – aber auch, weil dieser sie kontaktiert und ihr den entscheidenden Hinweis liefert. Der nun endlich ins Rollen kommende Fall nimmt bald eine unerwartete Wendung und die Nachwuchs-Agentin entdeckt eine persönliche Verbindung zu dem Mörder. Doch warum hat dieser ein besonderes Interesse an ihr? Zudem wird ihr klar, dass Longlegs bald wieder zuschlagen wird. Nur sie kann ihn aufhalten.

In der Welt des Horrorkinos gibt es Filme, die sich durch ihre schockierenden Bilder und blutigen Szenen auszeichnen, und dann gibt es Werke wie „Longlegs“, die eine tiefere, psychologische Dimension des Schreckens erforschen. Regisseur Oz Perkins, bekannt für seine Arbeiten wie „Die Tochter des Teufels“ und „Gretel & Hansel“, bringt mit seinem vierten Spielfilm eine Geschichte auf die Leinwand, die nicht nur das Genre des Horrors neu interpretiert, sondern auch die Zuschauer in einen Strudel aus Anspannung und Unbehagen zieht. Die Erzählung entfaltet sich in den 1990er-Jahren – einer Zeit, in der legendäre Serienkiller-Jagden wie „Das Schweigen der Lämmer“ und „Sieben“ populär waren. Doch Perkins gelingt es, diese Vorbilder zu variieren und gleichzeitig eine eigene Identität zu schaffen. Der Film ist kein klassischer Horror-Schocker; vielmehr ist er ein psychologisches Drama mit übernatürlichen Elementen. Ein herausragendes Merkmal von „Longlegs“ ist die dichte Atmosphäre, die Perkins von der ersten Sekunde an aufbaut. Der Prolog zeigt ein junges Mädchen, das durch einen Vorhang beobachtet, wie sich ein Auto ihrem abgelegenen Haus nähert. Diese einfache Szene vermittelt sofort ein Gefühl des Unheils – etwas Böses naht. Das enge quadratische Bildformat verstärkt dieses Gefühl der Beklemmung und wird im Verlauf des Films allmählich in das übliche breite Kinoformat überführt.


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Perkins’ geschickte Bildsprache und der gezielte Einsatz von Sound tragen dazu bei, dass jede noch so banale Szene von Anspannung durchzogen ist. Die offene Tür im Hintergrund von Harkers Büro wird zum Symbol für die ständige Bedrohung – das Böse könnte jederzeit eintreten. Diese subtile Inszenierung macht „Longlegs“ zu einer körperlichen Erfahrung; man fühlt sich als Zuschauer unweigerlich in den Bann gezogen. Maika Monroe brilliert in ihrer Rolle als Lee Harker. Nach ihrem gefeierten Auftritt in „It Follows“ war ihr Weg zur Scream Queen zunächst holprig gewesen. In „Longlegs“ zeigt sie jedoch eine beeindruckende Performance voller Nuancen. Harker ist keine typische Identifikationsfigur; ihre emotionale Distanz und Apathie wirken zunächst suspekt. Doch Monroe offenbart geschickt das Bröckeln dieser Fassade – vom inneren Kampf bis hin zum befreienden Wutschrei. An ihrer Seite spielt Alicia Witt als Harkers streng religiöse Mutter eine entscheidende Rolle. Ihre Interaktionen sind nicht nur emotional aufgeladen, sondern bieten auch einen Blick auf familiäre Dynamiken, die im Kontrast zu den grausamen Taten stehen. Und dann ist da noch Nicolas Cage – ein Schauspieler, dessen Wandlung in diesem Film für Gesprächsstoff sorgen wird. Mit seiner unkonventionellen Darstellung bleibt er lange Zeit ungreifbar; seine Figur hat sowohl feminine Züge als auch eine bedrohliche Präsenz. Cages Stimme wechselt zwischen verletzlich und rau – eine Darbietung voller Facetten, die dem Charakter Tiefe verleiht.

Der Film endet nicht mit einem klassischen Schockmoment oder einer klaren Auflösung; stattdessen hinterlässt er den Zuschauer mit einem Gefühl des Unbehagens und der Reflexion über das Böse in unserer Gesellschaft. Der Abspann wird von dem 1970er-Hit „Bang A Gong (Get It On)“ von T. Rex begleitet – ein unerwarteter Gute-Laune-Ausklang nach einem intensiven Erlebnis. „Longlegs“ ist mehr als nur ein Horrorfilm; es ist eine eindringliche Untersuchung menschlicher Abgründe und familiärer Strukturen vor dem Hintergrund eines übernatürlichen Thrillers. Perkins schafft es meisterhaft, Spannung aufzubauen und gleichzeitig tiefere Themen anzusprechen – ein Werk, das lange nach dem Verlassen des Kinos nachhallt. Dieser packende und spannende Film ist ein bemerkenswerter Beitrag zum Horrorgenre, der sowohl Fans klassischer Thriller als auch Liebhaber psychologischer Dramen anspricht. Es fordert den Zuschauer heraus, über Angst nachzudenken – nicht nur über die äußeren Bedrohungen, sondern auch über die inneren Dämonen, die uns alle begleiten können.


LONGLEGS

Start: 08.08.24 | FSK 16
R: Oz Perkins | D: Maika Monroe, Nicolas Cage, Blair Underwood
USA 2024 | DCM


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