„The
Substance“, aber als Märchen? Seit im letzten Jahr Coralie
Fargeats großer Erfolg über die Kinoleinwände flimmerte
und die Filmszene in Aufruhr versetzte, gehört feministischer
Body-Horror zu meine liebsten Subgenres. Dass dieses nun mit einer
märchenhaften Finsternis und bitteren Ironie neu aufgeladen wird,
ist dem bemerkenswert kompromisslosen Spielfilmdebüt der norwegischen
Regisseurin Emilie Blichtfeldt zu verdanken. Mit „The Ugly Stepsister“
liefert sie eine verstörende Neuinterpretation der Aschenputtel-Erzählung,
die keinesfalls an der Oberfläche kratzt, sondern tief ins Fleisch
schneidet.
Im
fiktiven Königreich Swedlandia lebt Elvira (Lea Myren) im Schatten
ihrer bildschönen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss).
Nach dem Tod ihres Stiefvaters und dem finanziellen Ruin der Familie
sieht Elviras Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) nur einen Ausweg: Elvira
soll den Prinzen Julian (Isac Calmroth) heiraten. Um begehrenswert
genug für Prince Charming zu sein, wird die junge Frau mehrmals
zum zwielichtigen Schönheitschirurgen Dr. Esthétique (Adam
Lundgren) gebracht. Was als Märchen beginnt, verwandelt sich
zwischen Bandwürmern und abgehackten Zehen schnell in einen surrealen
Albtraum.
In visuell dichten Bildern, die sich für
mich wie eine Mischung aus Yorgos Lanthimos und Sofia Coppola anfühlten,
erschafft Kameramann Marcel Zyskind eine Welt, in der barocke Märchensymbolik
und kalte Klinikräume miteinander kollidieren. Die düstere
Farbpalette und die musikalische Gestaltung, welche klassische Stücke
mit sphärisch-verstörenden Klängen mischt, erzeugen
eine Atmosphäre der Entrückung, wie ein Fiebertraum, in
dem jeder Schritt Richtung Schönheit ein Stück Menschlichkeit
kostet.
Was „The Ugly Stepsister“ so nachhaltig
beunruhigend macht, ist die schonungslose Konsequenz, mit der Blichtfeldt
das psychologische Innenleben ihrer Protagonistin nach außen
kehrt. Elvira durchläuft keine Heldinnenreise – sie zerfällt.
Ein Zerfall, den die Kamera perfekt als Akt der hässlichen Wahrheit
inszeniert. Hier wird das Märchen entzaubert, entblößt,
aufgerissen, um sichtbar zu machen, was wir sonst so gut verstecken:
die Gewalt, die in Erwartungen steckt.
Der
Film trifft einen Nerv – vor allem bei einer jüngeren,
weiblichen Zielgruppe, die sich im Alltag täglich zwischen toxischer
Vergleichskultur auf Social Media und zwanghafter Selbstoptimierung
wiederfindet. In den sozialen Medien hat sich der Film bereits jetzt
zu einem popkulturellen Phänomen entwickelt, indem Clips und
Edits aus „The Ugly Stepsister“ tausendfach geliket, geteilt
und kommentiert werden. Was dabei immer wieder besonders heraussticht:
Die Frage nach der Täterin. Ist es Agnes aka. Cinderella, die
in dieser Verfilmung in einem deutlich schlechteren Licht dasteht
als in den sonstigen Märchenverfilmungen oder ist es möglicherweise
die Mutter, welche Elvira immer wieder die brutalen Schönheitsprozeduren
durchleben lässt? Und egal wie lang die Diskussionen in den Kommentarspalten
auch sein mögen, das Ergebnis ist immer das gleiche: Es gibt
keine Täterin. All diese Frauen sind Opfer. Opfer ihrer Sozialisierung,
Opfer des Patriarchats.
Wie bereits „The Substance“ zeigt
auch das „The Ugly Stepsister“, dass Horror nicht nur
im Übernatürlichem liegt, sondern oft in den ganz realen
gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, die wir als Gesellschaft
etabliert haben und zur Normalität haben werden lassen. Regisseurinnen
wie Emilie Blichtfeldt gelingt es, auf diese strukturellen Probleme
aufmerksam zu machen, indem sie das Body-Horror-Genre zu einem feministischen
Weckruf instrumentalisieren. Dass Groteskes anzieht, ist kein Geheimnis
und so sehr man es auch will, man kann einfach nicht wegsehen. Wer
die Message nicht hören will, muss fühlen oder in diesem
Fall eben in brutal-fesselnden Bildern ansehen.
„The Ugly Stepsister“ ist ein Film,
der wehtut und das soll er auch. Blichtfeldts Debüt ist. ein
filmischer Befreiungsschlag. Ein zorniges, ästhetisch radikales
Werk, das sich tief ins Gedächtnis brennt und im wahrsten Sinne
des Wortes unter die Haut geht. Er knüpft an einen feministischen
Diskurs an, in dem Schönheitsideale längst nicht mehr nur
Konsumversprechen sind, sondern Formen struktureller Gewalt. Dass
Blichtfeldt all das in die Form eines kunstvoll inszenierten Märchenhorrors
gießt, ohne dabei ins Moralisierende abzurutschen, ist ihre
größte Stärke.
Sie überlässt es dem Publikum, sich
in Elvira wiederzuerkennen oder eben in Agnes, Rebekka oder Julian.
Für einen kurzen Moment wird „The Ugly Stepsister“
wohl jedem die Augen aufreißen. Die wahre Stärke liegt
letztendlich jedoch darin, sie nicht wieder zu verschließen,
nur weil das was man plötzlich erblickt, eben hässlich ist.
Denn das Patriarchat, so zeigt uns dieser Film auf eindringliche Weise,
ist kein Monster mit einem Gesicht, sondern ein Netz, das uns alle
hält. Manche fester als andere.