KINO | 28.05.2025

THE UGLY STEPSISTER

„The Substance“, aber als Märchen? Seit im letzten Jahr Coralie Fargeats großer Erfolg über die Kinoleinwände flimmerte und die Filmszene in Aufruhr versetzte, gehört feministischer Body-Horror zu meine liebsten Subgenres. Dass dieses nun mit einer märchenhaften Finsternis und bitteren Ironie neu aufgeladen wird, ist dem bemerkenswert kompromisslosen Spielfilmdebüt der norwegischen Regisseurin Emilie Blichtfeldt zu verdanken. Mit „The Ugly Stepsister“ liefert sie eine verstörende Neuinterpretation der Aschenputtel-Erzählung, die keinesfalls an der Oberfläche kratzt, sondern tief ins Fleisch schneidet.

von Laura Sternberg


© capelight pictures

Im fiktiven Königreich Swedlandia lebt Elvira (Lea Myren) im Schatten ihrer bildschönen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss). Nach dem Tod ihres Stiefvaters und dem finanziellen Ruin der Familie sieht Elviras Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) nur einen Ausweg: Elvira soll den Prinzen Julian (Isac Calmroth) heiraten. Um begehrenswert genug für Prince Charming zu sein, wird die junge Frau mehrmals zum zwielichtigen Schönheitschirurgen Dr. Esthétique (Adam Lundgren) gebracht. Was als Märchen beginnt, verwandelt sich zwischen Bandwürmern und abgehackten Zehen schnell in einen surrealen Albtraum.

In visuell dichten Bildern, die sich für mich wie eine Mischung aus Yorgos Lanthimos und Sofia Coppola anfühlten, erschafft Kameramann Marcel Zyskind eine Welt, in der barocke Märchensymbolik und kalte Klinikräume miteinander kollidieren. Die düstere Farbpalette und die musikalische Gestaltung, welche klassische Stücke mit sphärisch-verstörenden Klängen mischt, erzeugen eine Atmosphäre der Entrückung, wie ein Fiebertraum, in dem jeder Schritt Richtung Schönheit ein Stück Menschlichkeit kostet.

Was „The Ugly Stepsister“ so nachhaltig beunruhigend macht, ist die schonungslose Konsequenz, mit der Blichtfeldt das psychologische Innenleben ihrer Protagonistin nach außen kehrt. Elvira durchläuft keine Heldinnenreise – sie zerfällt. Ein Zerfall, den die Kamera perfekt als Akt der hässlichen Wahrheit inszeniert. Hier wird das Märchen entzaubert, entblößt, aufgerissen, um sichtbar zu machen, was wir sonst so gut verstecken: die Gewalt, die in Erwartungen steckt.


© capelight pictures

Der Film trifft einen Nerv – vor allem bei einer jüngeren, weiblichen Zielgruppe, die sich im Alltag täglich zwischen toxischer Vergleichskultur auf Social Media und zwanghafter Selbstoptimierung wiederfindet. In den sozialen Medien hat sich der Film bereits jetzt zu einem popkulturellen Phänomen entwickelt, indem Clips und Edits aus „The Ugly Stepsister“ tausendfach geliket, geteilt und kommentiert werden. Was dabei immer wieder besonders heraussticht: Die Frage nach der Täterin. Ist es Agnes aka. Cinderella, die in dieser Verfilmung in einem deutlich schlechteren Licht dasteht als in den sonstigen Märchenverfilmungen oder ist es möglicherweise die Mutter, welche Elvira immer wieder die brutalen Schönheitsprozeduren durchleben lässt? Und egal wie lang die Diskussionen in den Kommentarspalten auch sein mögen, das Ergebnis ist immer das gleiche: Es gibt keine Täterin. All diese Frauen sind Opfer. Opfer ihrer Sozialisierung, Opfer des Patriarchats.

Wie bereits „The Substance“ zeigt auch das „The Ugly Stepsister“, dass Horror nicht nur im Übernatürlichem liegt, sondern oft in den ganz realen gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, die wir als Gesellschaft etabliert haben und zur Normalität haben werden lassen. Regisseurinnen wie Emilie Blichtfeldt gelingt es, auf diese strukturellen Probleme aufmerksam zu machen, indem sie das Body-Horror-Genre zu einem feministischen Weckruf instrumentalisieren. Dass Groteskes anzieht, ist kein Geheimnis und so sehr man es auch will, man kann einfach nicht wegsehen. Wer die Message nicht hören will, muss fühlen oder in diesem Fall eben in brutal-fesselnden Bildern ansehen.

„The Ugly Stepsister“ ist ein Film, der wehtut und das soll er auch. Blichtfeldts Debüt ist. ein filmischer Befreiungsschlag. Ein zorniges, ästhetisch radikales Werk, das sich tief ins Gedächtnis brennt und im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Er knüpft an einen feministischen Diskurs an, in dem Schönheitsideale längst nicht mehr nur Konsumversprechen sind, sondern Formen struktureller Gewalt. Dass Blichtfeldt all das in die Form eines kunstvoll inszenierten Märchenhorrors gießt, ohne dabei ins Moralisierende abzurutschen, ist ihre größte Stärke.

Sie überlässt es dem Publikum, sich in Elvira wiederzuerkennen oder eben in Agnes, Rebekka oder Julian. Für einen kurzen Moment wird „The Ugly Stepsister“ wohl jedem die Augen aufreißen. Die wahre Stärke liegt letztendlich jedoch darin, sie nicht wieder zu verschließen, nur weil das was man plötzlich erblickt, eben hässlich ist. Denn das Patriarchat, so zeigt uns dieser Film auf eindringliche Weise, ist kein Monster mit einem Gesicht, sondern ein Netz, das uns alle hält. Manche fester als andere.


THE UGLY STEPSISTER

Start: 05.06.25 | FSK 16
R: Emilie Blichfeldt | D: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp
Norwegen, Schweden, Polen, Dänemark 2025 | capelight pictures



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