Mit
„Wenn das Licht Zerbricht“ (Originaltitel: Ljósbrot)
gelingt dem isländischen Regisseur Rúnar Rúnarsson
ein stilles Drama über Verlust, Identität und die Zerbrechlichkeit
menschlicher Beziehungen. Der Film, welcher seine Geschichte über
einen einzigen Tag hinweg entfaltet, setzt sich intensiv mit den Nuancen
der Trauer auseinander.
Im
Zentrum der Handlung steht die Kunststudentin Una (Elín Hall),
die sich in einer geheimen Beziehung mit Diddi (Baldur Einarsson)
befindet, der jedoch noch mit seiner Freundin Klara (Katja Njálsdóttir)
zusammen ist. Geplant ist, dass Diddi sich von Klara trennt, um offen
mit Una zusammen zu sein, doch ein tragischer Autounfall reißt
Diddi aus dem Leben, bevor er diesen Schritt gehen kann. Una bleibt
zurück und gefangen zwischen ihrer eigenen Trauer und dem Schweigen,
das ihre Beziehung zu Diddi umgab.
Die narrative Struktur des Films konzentriert
sich auf die 24 Stunden nach dem Unfall. Una navigiert durch eine
Welt, in der sie ihre Trauer nicht ehrlich zeigen kann, während
Klara und Diddis Freunde offen um ihn trauern. Diese Konstellation
erzeugt eine emotionale Spannung, die den ganzen Film durchzieht und
gleichzeitig viele moralische Fragen im Zusammenhang mit Unas Verlust
aufwirft. Hat sie nicht genau so das Recht, ihre Trauer und deren
Hintergründe auszusprechen? Aber gleichzeitig wäre es doch
falsch, Klara in ihrer Trauer nun auch noch damit zu konfrontieren,
dass ihr verstorbener Freund eine Affäre hatte und sich von ihr
trennen wollte? „Wenn das Licht Zerbricht“ gibt keine
konkreten Antworten auf diese Fragen, schafft es aber, die emotionale
Zerrissenheit und Traurigkeit aller Beteiligten wunderschön einzufangen.
Am
meisten überzeugt hat mich persönlich jedoch die musikalische
Gestaltung. An vielen Stellen im Film, besonders bezeichnend aber
zu Beginn und Ende, ist eine Neuinterpretation von Catulls Carmen
85 „Odi et Amo“ zu hören. Das Stück, dessen
Titel aus dem Lateinischen übersetzt „Ich hasse und ich
liebe“ bedeutet ist Bestandteil des Lesbia-Zyklus, für
welchen der römische Dichter bekannt ist. In diesem Zyklus, der
sich aus zahlreichen poetischen Texten zusammensetzt, beschreibt Catull
den Verlauf der Beziehung zu seiner Geliebten Lesbia. Nachdem er von
dieser betrogen wurde, ist er innerlich zerrissen. Zerfressen von
Trauer und Wut, hegt er starken Groll auf Lesbia, gleichzeitig aber
sind seine Liebe und das Verlangen nach ihr so groß sind, dass
er sich noch nicht von ihr lossagen kann. Die Vertonung des Liedes
für den Film ist eine Mischung aus elektronischen Klängen
und beinahe „seelenlosen“, kaum menschlich klingenden
Stimmen, die für ein fast unangenehmes Hörerlebnis sorgen
und ein unwohles Gefühl hinterlassen. Die Bedeutung von „Odi
et Amo“ im Zusammenspiel mit dieser auditiven Gestaltung spiegelt
für mich die Emotionen aller beteiligten Parteien perfekt wider
und macht die kaum aushaltbare Zerrissenheit und Trauer der Charaktere
atmosphärisch spürbar.
„Wenn das Licht Zerbricht“ ist
ein leiser, zutiefst eindringlicher Film, der mit minimalistischer
Inszenierung, starker Symbolik und einer herausragenden musikalischen
Untermalung besticht. Rúnar Rúnarsson gelingt es, große
Gefühle in kleinen Gesten zu zeigen und das Unsichtbare sichtbar
zu machen – insbesondere dann, wenn Worte fehlen oder nicht
gesagt werden dürfen. Die Geschichte von Una ist nicht nur ein
Porträt individueller Trauer, sondern auch eine Reflexion über
moralische Grauzonen, die entstehen, wenn Liebe und Verlust auf tragische
Weise kollidieren.
WENN DAS LICHT ZERBRICHT
Start:
08.05.25 | FSK 12
R: Rúnar Rúnarsson | D: Elín Hall, Mikael Kaaber,
Katla Njálsdóttir
Island, Niederlande, Kroatien, Frankreich 2024 | Neue Visionen Filmverleih