KINO | 12.08.2020

Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden

Wer hatte nicht schon einmal eine nette Unterhaltung bei einer Fernreise im Zug? Da vergeht die Zeit schneller und im günstigsten Fall hat man vielleicht auch noch ein paar nette Bekannte kennen gelernt. Oder eben genau andersherum: Man kann nicht weg und ist stundenlang in einer unangenehmen Unterhaltung gefangen. So oder so ähnlich ergeht es der Verlegerin Helga Pato, die eigentlich nur nach Hause fahren wollte, nachdem sie ihren Mann in eine psychiatrische Klinik einweisen ließ.

von Eve Pohl


© Filmax

Die Verlegerin Helga Pato wird während einer Zugfahrt von dem Psychiater Ángel Sanagustin angesprochen. Um die Zugfahrt etwas angenehmer zu gestalten, beginnt er, ihr seine Lebensgeschichte und insbesondere von seinem ungewöhnlichsten Fall zu erzählen: Die Geschichte des Patienten, der Soldat war: Im Krieg begegnete er einer Ärztin, die ein Kinderkrankenhaus unter den widrigsten Umständen erhalten möchte und dabei auf eine zwielichtige Gestalt stößt, die Verstörendes erblickt. Nach dem Matroschka - Prinzip wird Helga Pato in immer tiefere Schichten der Erzählung hineingezogen. Das zufällige Zusammentreffen mit dem Psychiater wird unwiderruflich die Zukunft der Verlegerin als auch die der Figuren aus den Geschichten bestimmen, die in einer Serie von unvorhersehbaren Ereignissen verwickelt sind, die sich Schicht für Schicht ineinander verweben, bis sie einen wahnsinnigen Höhepunkt erreichen…

Auf dem Plakat dieses Filmes sollte man am besten eine Trigger-Warnung anbringen: Achtung, alles, was irgendwie eklig oder anstößig ist, wird in diesem Film behandelt, einschließlich, aber nicht ausschließlich, psychischer Krankheiten, Kindesmissbrauch, Menschenhandel und Sodomie. In episodischer Form werden drei zuvor scheinbar nicht zusammenhängende Geschichten erzählt, die sich immer weiter verdichten und schließlich in einem wirklich wahnsinnigen Höhepunkt enden. Der ist aber gleichzeitig zu abrupt, so dass man ihn gar nicht kommen sieht, was ein netter Überraschungseffekt ist. In der ersten Episode trifft wird Verlegerin Helga Pato (Pilar Castro) im Zug auf den Psychiater Ángel Sanagustin (Ernesto Alterio). Er schildert ihr seinen schwerwiegendsten Fall, der sehr verworren ist, da er an gleich drei Orten und in ebenfalls drei verschiedenen Zeiten spielt. Doch irgendwann steigt er kurz aus, um sich etwas zu essen zu kaufen und verpasst wohl den Wiedereinstieg. Danach geht es in weiteren Kapiteln um zwei junge Menschen mit Behinderung, die sich anzunähern zu scheinen, bis es völlig schief geht. Oder einer Frau, die von ihrem Mann immer weiter zu einem Hund „erzogen“ wird, inklusive dem Zwang ohne Messer und Gabel aus einem Napf zu fressen und das im wahrsten Sinne des Wortes.


© Filmax

Und schließlich einem Mann, der seit Jahren in seinem eigenen Müll lebt, da er Angst hat, sein Müll würde von der Regierung ausgewertet um alles über ihn zu wissen. Das alles hört sich erstmal völlig absurd an und das ist es vermutlich auch. Man muss allerdings sagen, dass die Kapiteleinteilungen zwar willkürlich sind, aber dennoch wichtig, um die ineinander verschachtelte Geschichte zu verstehen und dem eigenen Kopf eine Möglichkeit zur Strukturierung zu geben. Auf der Pro Seite sollte außerdem auch noch erwähnt werden, dass die Ausstattung, sowie das Licht und Kameraführung sehr gut gemacht sind und so nicht der Eindruck eines Films entsteht, der NUR zu schocken versucht. Ebenfalls gibt es einige gute Ideen, wenn es um die Auflösung von Wahrheit versus Fiktion und Erzählung geht. In einer Szene wird beschrieben, wie ein Vater am Fenster sitzend auf Briefe seines Sohnes wartet. Nach und nach verändert sich die Szene zur vermeintlichen Wahrheit. So ist der Sessel gar kein Sessel, sondern ein Rollstuhl, ebenso hat er keine Beine und sie verschwinden einfach schlagartig.

In einer anderen Szene sind die erzählten Elemente zwar da, aber der Arm der dargestellten Frau ist einfach nur eine Prothese, die ihr aus dem Kleid rutscht und auf dem Sofa liegen bleibt. Trotz des fulminanten Finales, in dem sich schließlich alle zuvor erzählten Geschichten verbinden und klar wird, wie alles zusammenhängt, ist es einfach zu viel. Warum man in einem Fall explizite Gewalt, psychische Krankheiten und auch einfach puren Ekel zusammenpacken muss, erschließt sich nicht. Auch wenn man am Ende doch noch eine Erzählung über die Wahnvorstellungen eines einzelnen Mannes vermischt mit der Geschichte einer toxischen Beziehung. Vielleicht handelt es sich bei diesem Film von Regisseur Aritz Morena um eine bizarre Kritik unserer Gesellschaft und ist deswegen auf irgendeiner Ebene doch interessant und ich habe ihn nicht verstanden. Aber vielleicht ist er auch genau das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint und ergeht sich in Provokation mit ziemlich jedem Thema, das man eigentlich nie sehen wollte.


DIE OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN

Spanien 2019 | Neue Visionen Filmverleih | Start: 20. August 2020 (FSK 16)
R: Aritz Moreno | D: Luis Tosar, Pilar Castro, Ernesto Alterio



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