Wer
hatte nicht schon einmal eine nette Unterhaltung bei einer Fernreise
im Zug? Da vergeht die Zeit schneller und im günstigsten Fall
hat man vielleicht auch noch ein paar nette Bekannte kennen gelernt.
Oder eben genau andersherum: Man kann nicht weg und ist stundenlang
in einer unangenehmen Unterhaltung gefangen. So oder so ähnlich
ergeht es der Verlegerin Helga Pato, die eigentlich nur nach Hause
fahren wollte, nachdem sie ihren Mann in eine psychiatrische Klinik
einweisen ließ.
Die
Verlegerin Helga Pato wird während einer Zugfahrt von dem Psychiater
Ángel Sanagustin angesprochen. Um die Zugfahrt etwas angenehmer
zu gestalten, beginnt er, ihr seine Lebensgeschichte und insbesondere
von seinem ungewöhnlichsten Fall zu erzählen: Die Geschichte
des Patienten, der Soldat war: Im Krieg begegnete er einer Ärztin,
die ein Kinderkrankenhaus unter den widrigsten Umständen erhalten
möchte und dabei auf eine zwielichtige Gestalt stößt,
die Verstörendes erblickt. Nach dem Matroschka - Prinzip wird
Helga Pato in immer tiefere Schichten der Erzählung hineingezogen.
Das zufällige Zusammentreffen mit dem Psychiater wird unwiderruflich
die Zukunft der Verlegerin als auch die der Figuren aus den Geschichten
bestimmen, die in einer Serie von unvorhersehbaren Ereignissen verwickelt
sind, die sich Schicht für Schicht ineinander verweben, bis sie
einen wahnsinnigen Höhepunkt erreichen…
Auf dem Plakat dieses Filmes sollte man am
besten eine Trigger-Warnung anbringen: Achtung, alles, was irgendwie
eklig oder anstößig ist, wird in diesem Film behandelt,
einschließlich, aber nicht ausschließlich, psychischer
Krankheiten, Kindesmissbrauch, Menschenhandel und Sodomie. In episodischer
Form werden drei zuvor scheinbar nicht zusammenhängende Geschichten
erzählt, die sich immer weiter verdichten und schließlich
in einem wirklich wahnsinnigen Höhepunkt enden. Der ist aber
gleichzeitig zu abrupt, so dass man ihn gar nicht kommen sieht, was
ein netter Überraschungseffekt ist. In der ersten Episode trifft
wird Verlegerin Helga Pato (Pilar Castro) im Zug auf den Psychiater
Ángel Sanagustin (Ernesto Alterio). Er schildert ihr seinen
schwerwiegendsten Fall, der sehr verworren ist, da er an gleich drei
Orten und in ebenfalls drei verschiedenen Zeiten spielt. Doch irgendwann
steigt er kurz aus, um sich etwas zu essen zu kaufen und verpasst
wohl den Wiedereinstieg. Danach geht es in weiteren Kapiteln um zwei
junge Menschen mit Behinderung, die sich anzunähern zu scheinen,
bis es völlig schief geht. Oder einer Frau, die von ihrem Mann
immer weiter zu einem Hund „erzogen“ wird, inklusive dem
Zwang ohne Messer und Gabel aus einem Napf zu fressen und das im wahrsten
Sinne des Wortes.
Und
schließlich einem Mann, der seit Jahren in seinem eigenen Müll
lebt, da er Angst hat, sein Müll würde von der Regierung
ausgewertet um alles über ihn zu wissen. Das alles hört
sich erstmal völlig absurd an und das ist es vermutlich auch.
Man muss allerdings sagen, dass die Kapiteleinteilungen zwar willkürlich
sind, aber dennoch wichtig, um die ineinander verschachtelte Geschichte
zu verstehen und dem eigenen Kopf eine Möglichkeit zur Strukturierung
zu geben. Auf der Pro Seite sollte außerdem auch noch erwähnt
werden, dass die Ausstattung, sowie das Licht und Kameraführung
sehr gut gemacht sind und so nicht der Eindruck eines Films entsteht,
der NUR zu schocken versucht. Ebenfalls gibt es einige gute Ideen,
wenn es um die Auflösung von Wahrheit versus Fiktion und Erzählung
geht. In einer Szene wird beschrieben, wie ein Vater am Fenster sitzend
auf Briefe seines Sohnes wartet. Nach und nach verändert sich
die Szene zur vermeintlichen Wahrheit. So ist der Sessel gar kein
Sessel, sondern ein Rollstuhl, ebenso hat er keine Beine und sie verschwinden
einfach schlagartig.
In
einer anderen Szene sind die erzählten Elemente zwar da, aber
der Arm der dargestellten Frau ist einfach nur eine Prothese, die
ihr aus dem Kleid rutscht und auf dem Sofa liegen bleibt. Trotz des
fulminanten Finales, in dem sich schließlich alle zuvor erzählten
Geschichten verbinden und klar wird, wie alles zusammenhängt,
ist es einfach zu viel. Warum man in einem Fall explizite Gewalt,
psychische Krankheiten und auch einfach puren Ekel zusammenpacken
muss, erschließt sich nicht. Auch wenn man am Ende doch noch
eine Erzählung über die Wahnvorstellungen eines einzelnen
Mannes vermischt mit der Geschichte einer toxischen Beziehung. Vielleicht
handelt es sich bei diesem Film von Regisseur Aritz Morena um eine
bizarre Kritik unserer Gesellschaft und ist deswegen auf irgendeiner
Ebene doch interessant und ich habe ihn nicht verstanden. Aber vielleicht
ist er auch genau das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint
und ergeht sich in Provokation mit ziemlich jedem Thema, das man eigentlich
nie sehen wollte.
DIE
OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN
Spanien 2019 | Neue Visionen Filmverleih | Start:
20. August 2020 (FSK 16) R: Aritz Moreno | D: Luis Tosar,
Pilar Castro, Ernesto Alterio