Wo
würde man einen Baum verstecken? Der beste Ort dafür wäre
wahrscheinlich ein Wald. Denn dort, verborgen in der Offensichtlichkeit
würde ihn doch niemand erwarten. Warum dann nicht einfach als
knallharte Drogendealerin einfach auf der Polizei im Drogendezernat
arbeiten? Dort würde man schließlich als letztes suchen.
Patience
(Isabelle Huppert) ist selbstbewusst, unabhängig und vor allem
schlagfertig. Nur bei ihren Finanzen ist Luft nach oben. Als Dolmetscherin
im Drogendezernat übersetzt sie abgehörte Telefonate der
Drogenszene und ist dafür massiv unterbezahlt. Als das kostspielige
Pflegeheim ihrer Mutter wegen unbezahlter Rechnungen droht, die alte
Dame auszuquartieren, gerät Patience unter Handlungsdruck. Der
Zufall will es, dass gerade eine Drogenlieferung auf dem Weg nach
Paris ist. Patience entscheidet sich spontan gegen die Ehrlichkeit
und sabotiert die Beschlagnahmung der Drogen. In Eigenregie fahndet
sie nach dem hochwertigen Hasch – und wird fündig. Patience
macht sich sofort fröhlich ans Werk und zeigt sich von ihrer
besten Seite: Als begnadete Verkäuferin mischt sie den Pariser
Drogenmarkt maximal auf. Mit offensichtlichem Vergnügen an ihrer
neuen Rolle als gebieterische Madame Hasch lässt sie ihrer kriminellen
Kreativität freien Lauf: Ob marokkanische Koffer, Bauchtaschen
oder Keksverpackungen: Patience ist die neue Drogen-Autorität
der Stadt und für die Polizei ein Phantom, das die Nerven ihrer
ahnungslosen Kollegen sichtlich strapaziert. Doch die Drogendiva muss
sich sputen, denn ausgerechnet ihr Verehrer Philippe, Leiter des Drogendezernats,
hat einen Verdacht, wer hinter dem Phantom wirklich steckt…
Der
Film „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ basiert auf
einem Kriminalroman der französischen Anwältin Hannelore
Cayre mit dem Namen „Die Alte“ bzw. „La Daronne“.
Dieser thematisiert auf eine bissige Art und Weise die Zustände,
die in Frankreich herrschen. Die Gesellschaft ist so zerrissen, wie
sie es nur sein könnte. Viele gesellschaftliche Gruppen werden
dabei aufs Korn genommen und scharf kritisiert. Dabei entsteht ein
scharfes und kritisches Bild der französischen Gesellschaft und
des politischen Versagens in unterschiedlichen Bereichen des Lebens.
Sowohl die Sparmaßnahmen bei der französischen Polizei,
als auch die begrenzten Möglichkeiten der Partizipation von Menschen
mit Migrationshintergrund und die Versäumnisse bei der Versorgung
der Alten sind Themen, die sie aufgreift.
Die
Diskussionen, wie nah eine Verfilmung an der Buchvorlage bleiben muss,
welche Veränderungen in Ordnung sind und wie gut die Adaption
ist, sind vermutlich schon so alt wie es Filme gibt. Das könnte
man auch in diesem Fall machen, hat das Buch doch bereits den Deutschen
Krimipreis in der Kategorie „International“ im vergangenen
Jahr gewonnen. Der Film geht allerdings in seiner Tonalität einen
anderen Weg als die literarische Vorlage. Es
handelt es sich hier mehr um eine fast schon romantisch anmutende
Geschichte einer Frau, die von ihrer Familie bestimmte Geisteshaltungen
geerbt hat, mit dem sie aus jeder Situation Kapital – im wahrsten
Sinne des Wortes – schlägt. Sie befindet sich in einer
Lage, in der sie nicht glücklich ist, das Abenteuer und das Geld
fehlen, aber auch ihre Aufgabe bei der Polizei befriedigt sie nicht.
Und so nutzt sie die erste Gelegenheit, die sich ihr bietet um sich
selbst zu helfen. Bis vor kurzem wurden für die Übersetzer,
die bei der Polizei oder der Justiz in Frankreich arbeiten, keine
Sozialversicherungsbeiträge oder Altersvorsorge bezahlt. Also
ist es nur verständlich, dass die Hauptfigur sich Sorgen um ihre
Finanzen und auch über die Zukunft macht. Sie ist eine Frau,
die versucht alte Muster hinter sich zu lassen, indem sie die Schulden
ihres verstorbenen Mannes bezahlt, der – das lässt der
Film zumindest vermuten – auch in kriminelle Geschäfte
involviert war. Dabei vergisst sie allerdings völlig zu „leben“.
Gleichzeitig hat sie eine Beziehung mit ihrem Chef bei der Polizei.
Er ist ruhig, nett und verständig, aber man hat in vielen Momenten
doch das Gefühl, dass sie einsam ist, da sie mit niemandem über
ihre Bedürfnisse reden kann oder möchte. Und so lebt sie
bloß vor sich hin, mit all den Alltagsproblemen, die Eltern
früher immer als „Erwachsen werden“ beschrieben haben.
Isabelle Huppert („ELLE“, „HEAVEN'S GATE“)
spielt eine zerbrechliche und zugleich skrupellose Frau, die in manchen
Situationen fast schon hilflos wirkt, bis sie wieder in ihrem Element
ist. Denn täuschen, das kann sie, sehr gut sogar. In diesen Momenten
kommt dann die Frau zum Vorschein, die sie einige Jahre und über
viele Enttäuschungen hinter einer dicken Schicht Normalität,
Langeweile und sogar Gleichgültigkeit versteckt hat.
Ein
wunderbarer Widerspruch zwischen der zerbrechlichen und schmalen
Patience und den bulligen Männern, die den Drogenhandel von
Paris zwischen sich aufgeteilt haben und um die „Marktanteile“
kämpfen. Immer wieder laviert sie sich mit Geschicklichkeit
und einer gewissen Portion Dreistigkeit durch brenzlige Situationen.
Ein gutes Beispiel dafür ist, wenn sie eine ganze Tasche Haschisch
an ihre beiden Abnehmer verkauft und danach von einer konkurrierenden
Bande verfolgt wird. Sie löst diese Bedrohung, indem sie sich
an zwei Polizisten wendet, die auf der Straße stehen. Diese
beiden glaube natürlich nicht, dass diese kleine Frau in etwas
kriminelles verwickelt sein könnte und tatsächlich von
zwielichtigen Gestalten verfolgt wird.
Sie
bewegt sich als maghrebinische Drogenhändlerin interessanterweise
viel selbstsicherer und bestimmter, als in ihrem normalen Leben,
wo sie fast ein wenig farblos wirkt. Als wäre sie ganz in ihrem
Element und hätte nie etwas anderes getan. Das ist auch deswegen
interessant, weil Isabelle Huppert in Wirklichkeit gar kein Arabisch
spricht und auch die Texte, die sie im Film in dieser Sprache sagen
muss, trotzdem sehr souverän agiert. Tatsächlich musste
sie alle Texte phonetisch lernen, Silbe für Silbe. Und wer
bereits einmal versucht hat sich Dinge einzuprägen, die man
nicht versteht, kann sich vorstellen, wie schwierig das unter Umständen
sein kann.
Auch
ein interessanter Part des Films kommt Hippolyte Giradot („LADY
CHATTERLY“) zu. Er bildet den Konterpart zu Patience,
bodenständig und irgendwie liebenswert, obwohl er als Leiter
des Drogendezernats durchaus Autorität genießt. Auch
er hat, wie die Rolle von Isabelle Huppert, viele Höhen
und Tiefe und strahlt eine Ruhe und Menschlichkeit aus, die
man von einem Polizisten nicht erwarten würde. Bis zu dem
Punkt, an dem er sich wie eine Dogge an einem Thema festbeißt
und einfach nicht mehr loslässt. Er ist so versessen davon
„die Alte“ zu fangen, dass er sich völlig verausgabt.
Er ist also genau wie Patience ebenso von Gegensätzen getrieben,
sie sind dabei aber auch beide als Paar voller Gegensätze.
Insgesamt handelt es sich bei „Eine
Frau mit berauschenden Talenten“ um eine amüsante
Komödie, die ohne übertriebenen Kitsch auskommt. Man
fragt sich eigentlich nur, warum dieser Titel für die deutsche
Veröffentlichung gewählt wurde, denn auch darin verbirgt
sich nur wieder ein saudummes Wortspiel, das dem Charme der
Geschichte nicht gerecht wird. Die Figuren sind interessant
und man mag sie auch irgendwie. Allerdings verschenkt er zu
Gunsten der Komik auf manche durchaus ernsten Themen und kritisierbaren
Zuständen, die es in der französischen Gesellschaft
gibt. Angefangen von der personellen und finanziellen Situation
in den Polizeibehörden. Aber auch die Dealer, denen Patience
ihre Drogen verkauft machen keine besonders gute Figur. Trotzdem
macht der Film Spaß und man freut sich, wie „die
Alte“ doch allen ein Schnippchen schlägt, sowohl
durch Kreativität als auch eine gewisse Portion Dreistigkeit.
EINE
FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN
Frankreich 2020 | Neue Visionen Filmverleih | Start:
08. Oktober 2020 (FSK 12) R: Eric Lartigau | D: Alain
Chabat, Doona Bae, Blanche Gardin