KINO | 08.07.2020

Gretel & Hänsel

Vor langer Zeit, in einem verfluchten Land: Die verzweifelte Suche nach Nahrung und Arbeit zwingt die junge Gretel und ihren kleinen Bruder Hänsel dazu, das elterliche Haus zu verlassen. Völlig orientierungslos irren sie umher und verlaufen sich in einem tiefen, dunklen Wald.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Patrick Redmond

Es war einmal, vor langer Zeit, in einem verfluchten Land: Weil sie großen Hunger haben, sind die junge Gretel (Sophia Lillis) und ihr kleiner Bruder Hänsel (Samuel J. Leakey) gezwungen, das Haus der Eltern zu verlassen. Ohne Orientierung laufen sie umher. Schließlich verirren sie sich in einem dunklen, tiefen Wald. Sie finden eine Hütte, in der eine alte Frau (Alice Krige) lebt, die freundlich wirkt. Gretel und Hänsel glauben, endlich einen Ort gefunden zu haben, an dem sie sicher sind. Doch wer das berühmte Märchen der Gebrüder Grimm kennt, der weiß, dass diese Sicherheit trügerisch ist: Die von der alten Frau gekochten Festmähler sind nur ein Trick, um die Geschwister im Haus zu halten. Das unheimliche Gemurmel von Kinderstimmen und die mysteriösen Erscheinungen bringen Gretel schnell auf den Gedanken, dass die alte Frau Böses im Sinn hat. Wird es der jungen Frau gelingen, sich und ihren Bruder zu schützen?

Die von den Gebrüdern Grimm zwischen 1812 bis 1858 herausgegebenen Volksmärchen erfreuen sich bin in die heutige Zeit eine große Beliebtheit bei Jung und Alt. Zudem dienten sie in der Vergangenheit als Ausgangspunkt für zahlreich mehr oder weniger gelungene Filme. Zu den bekanntesten Volksmärchen der Gebrüder Grimm zählt die Geschichte um zwei Geschwister, die sich im Wald verirren und auf das Haus einer Hexe stoßen, die mit den beiden wenig Gutes im Sinn hat. Ebendiese Geschichte kommt nun unter der Regie von Osgood Perkins („Die Tochter des Teufels“ unter dem Namen „Gretel & Hänsel“ in die Kinos. Der verdrehte Titel deutet an, dass es sich hier um eine innovative Neuinterpretation der altbekannten Geschichte handelt.


© Patrick Redmond

Aber kann dieser Film diese hohen Erwartungen erfüllen? Das Resultat fällt nicht eindeutig aus. In der Tat eröffnet der Film eine neue Sichtweise auf das Volksmärchen, glänzt mit stilvollen Bildern, bleibt aber erzählerisch hinter den Erwartungen zurück. Zu Beginn des Films wird der Zuschauer mit einer Vorgeschichte konfrontiert, nachdem es einmal ein wunderschönes Mädchen gab, welches sehr krank wurde und von seinem Vater zu einer Hexe gebracht wurde. Das Mädchen wurde wieder gesund, doch die Hexe zeichnete es mit einer todbringenden Gabe. Diese Vorgeschichte verdeutlicht, dass im Leben alles seinen Preis hat. Zugleich ist sie wichtig für das furiose Finale des Films. Erzählerisch wird das dunkle Geheimnis um die mysteriöse Frau im Wald bereits nach kurzer Zeit gelüftet.

Gretel hat im Schlaf eine düstere Vision, die wenig Fragen offenlässt. Seltsam nur, dass Gretel danach nicht etwa mit ihrem Bruder panikartig das Haus verlässt, sondern freiwillig dort verweilt. Inszenatorisch versucht sich der Film an bekannten Kunstfilm-Vorbildern, wenn es um aufregend arrangierte Einstellungen geht, kombiniert mit einer furchteinflößenden düsteren Musik. Der Film schneidet viele interessante Themen an, besticht durch grandiose Bilder und eine innovative Inszenierung, bleibt aber auf der emotionalen Ebene oft blutleer. Es fehlen echte Sympathieträger, mit denen der Zuschauer mitfiebern kann. Dort wo der Film einen interessanten neuen Weg einschlägt, wie bei den emanzipatorischen Aspekten rund um Gretel, kratzt er leider nur an der Oberfläche. Hier hätte man sich mehr Klarheit gewünscht. Unterm Strich ist „Gretel & Hänsel“ eine sehenswerte Neuinterpretation einer altbekannten Geschichte, die in erzählerischer Hinsicht schärfer hätte sein können.


GRETEL & HÄNSEL

USA, Kanada, Irland, Südafrika 2020 | capelight pictures | Start: 09. Juli 2020 (FSK 16)
R: Osgood Perkins | D: Sophia Lillis, Alice Krige, Samuel Leakey


 


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