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BELLETRISTIK | 17.02.2021

Zu Beginn dieses Jahres erschienen die George Orwell-Klassiker „1984“ und „Farm der Tiere" als vollständige Lesungen bei Random House Audio, parallel zu den Buchausgaben bei dtv. Auch nach mehr 75 Jahren haben seine Bücher nichts von ihrer Aussagekraft und Aktualität eingebüßt.

von Richard-Heinrich Tarenz

1984 - Als Mitarbeiter des Ministeriums für Wahrheit verbringt Winston Smith seine Tage damit, die Geschichte zugunsten der regierenden Partei umzuschreiben. Aber in seinem Inneren wächst ein Widerstand gegen das totalitäre System, in dem das Leben aufs Strengste reguliert und überwacht wird. Als Winston sich verbotenerweise verliebt, erfährt er, was der Wunsch nach Freiheit kostet…

FARM DER TIERE - Die Tiere auf dem Hof des Säufers Mr. Jones leiden unter seinem gewalttätigen Regiment. Aber genug ist genug! Die intelligenten Schweine arbeiten ein Programm für die Befreiung vom menschlichen Unterdrücker aus. Die Rebellion ist erfolgreich. Doch selbst die, die sich aus der Unterdrückung befreien, können zu Unterdrückern werden – und bald schon leiden die Tiere unter der Diktatur der Schweine…

Vieles ist schon geschrieben worden über das literarische Werk von George Orwell (1903-1950), der mit seinen Romanen, Essays und Reportagen zeitlose Klassiker der Weltliteratur erschuf. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller der englischen Sprache. Seine Dystopien „1984“ und „Farm der Tiere“ sind jetzt als vollständige Lesungen bei Random House Audio erschienen, parallel zu den Buchausgaben bei dtv. Während sich „Farm der Tiere“ (1945) mit dem Sowjetkommunismus beschäftigt, ist „1984“ (1949) eine dystopische Zukunftsvision von einem totalitären Staat. Beide Klassiker wurden von Lutz-W. Wolff neu übersetzt. Dabei wurde sehr behutsam mit dem Originaltext umgegangen. Sprache unterliegt einem stetigen Wandel.

Dabei bedarf es einem hohen Maß an Fingerspitzengefühl, um das richtige Maß zwischen überholten Ausdrucksweisen und einer platten Anbiederung an den Zeitgeist zu finden. Lutz-W. Wolff gelingt dieses Unterfangen sehr gut. Die sehr wichtige und kreative Arbeit von Übersetzerinnen und Übersetzern kann an dieser Stelle gar nicht genug gewürdigt werden. Für die beiden ungekürzten Lesungen von „1984“ und „Farm der Tiere“ konnte Christoph Maria Herbst gewonnen werden, der seine Sache sehr gut macht. Es ist eine wahre Freude ihm zuzuhören. In jedem Wort sind seine langjährigen Erfahrungen als Schauspieler sowie Hörbuch- und Synchronsprecher spürbar. Er findet stets den richtigen und angemessenen Ton und hält sich bewusst im Hintergrund. Auch bei den nur schwer zu ertragenden Folterszenen findet er den richtigen Ton und begleitet den Zuhörer auf diesem Weg. Die Figuren in den Romanen werden durch Herbst lebendig und greifbar.


Bild von Dr StClaire (Pixabay)

Beide Lesungen sind mit einem Vorwort ausgestattet. Bei „Farm der Tiere“ hat diese Aufgabe Ilija Trojanow, seines Zeichens Schriftsteller, Übersetzer und Verleger, übernommen. Diese Wahl ist folgerichtig und passend. 2007 drehte Trojanow die Dokumentation „Vorwärts und nie vergessen – Ballade über bulgarische Helden“ über die Verbrechen und Grausamkeiten der bulgarischen Kommunisten und in der heutigen bulgarischen Gesellschaft verbreitete Lügen. Der Film basiert auf Gesprächen mit politischen Gefangenen und Zeitzeugen, die auf Jahre und Jahrzehnte in den Gefängnissen und Lagern Bulgariens verschwunden waren. 2009 veröffentlichte Trojanow zusammen mit Juli Zeh das Buch „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“. Im Rahmen der Buchvorstellung kritisierten die beiden Autoren, dass der Staat unter dem Deckmantel der Terrorabwehr immer weiter in die Privatsphäre seiner Bürger vordringe. Sein Vorwort zu „Farm der Tiere“ setzt den Roman in einen interessanten gegenwärtigen Kontext und stellt die Zeitlosigkeit des Themas heraus. Der Sowjetkommunismus mag untergegangen sein, die Tendenzen zu einem starken Staat und zu einer wachsenden Überwachung der Bevölkerung sind aktueller denn jemals zuvor. Das Vorwort zu „1984“ spricht Robert Habeck, seines Zeichens Bundesvorsitzender der Grünen.

Das Amt teilt er sich mit Annalena Baerbock. Es ist kritisch zu hinterfragen, warum in einem Superwahljahr der Vorsitzender einer im Bundestag vertretenen Partei, die nach der kommenden Bundestagswahl durchaus in der Bundesregierung vertreten sein könnte, die Gelegenheit erhält, seine politischen Ansichten prominent zu vertreten. In seinem Vorwort vermischen sich treffende literarische Analyse mit parteipolitischen Ansichten. Vorworte sind jedoch generell eine subjektive Angelegenheit, die nicht die zeitlose Bedeutung von „1984“ und „Farm der Tiere“ tangieren. Das 20. Jahrhundert war zutiefst geprägt von Ideologien. Der existentielle Kampf zwischen diesen Ideologien stürzte die Welt zweimal in einen verheerenden Weltenbrand. Totalitäre System waren oft mit diesen Ideologien verbunden. Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus war vielfach vom Ende der Ideologien die Rede. Doch die Gefahren einer totalitären Herrschaft sind weltweit so groß wie nie zuvor. Man denke nur an die VR China oder an die Überwachungspraktiken der NSA, welche die schlimmsten Befürchtungen eines George Orwell übertreffen. Totalitarismus ist nicht an eine bestimmte Ideologie gebunden, er lauert überall. Sein mächtigster Feind sind freie Informationen. Das macht die Bedeutung dieser beiden Romane aus.


1984 & FARM DER TIERE

George Orwell (Autor), Christoph Maria Herbst (Erzähler)
Random House Audio | Vollständige Lesungen | 25. Januar 2021


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